0,01 Gramm Cannabis: Hersbrucker Lehrerin fährt jetzt Rad
15.12.2014, 12:24 UhrWährend sich kürzlich in Frankfurt auf einer Tagung gegen die Entkriminalisierung von Cannabis-Konsum viele Juristen, Suchtexperten und Mediziner einig waren, dass der Eigengebrauch von Cannabis nicht bestraft werden sollte, saß Anna L. (Name geändert) frühmorgens auf dem Fahrrad und strampelte 14,5 Kilometer zur Schule. Wie fast jeden Morgen. Die Lehrerin macht das nicht freiwillig.
Ihr wurde der Führerschein entzogen. Während etwa zur gleichen Zeit 122 Strafrechtsprofessoren aus ganz Deutschland eine Resolution unterschreiben, in deren Zentrum ein liberalerer Umgang mit Marihuana steht, steht sie vor dem hohen Berg, der ihr immer die letzten Kräfte abverlangt. Die Frau hat keinen Führerschein mehr, weil sie mit 0,01 Gramm Marihuana erwischt wurde. Sie beschwert sich nicht - sie versteht es nur nicht.
Ihr Fall sorgte im Spätsommer für Schlagzeilen. Sie wurde wegen des Besitzes von 0,01 Gramm Marihuana - so wenig, dass die Hersbrucker Polizei die „Menge“ nicht zweifelsfrei wiegen konnte - zu 700 Euro Geldstrafe verurteilt. Musiker Hans Söllner sprang der Lehrerin später zur Seite, verklagte die Hersbrucker Richterin wegen des Urteils.
Laut Aussage des Polizisten vor Gericht hätten es auch 0,001 Gramm sein können. Dazu musste sie nur wenige Tage nach dem Urteil ihren Führerschein abgeben. Die Begründung des Landratsamtes: Sie sei eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit aller anderen Verkehrsteilnehmer.
"Unmittelbare Gefahr"
Anna L., die „unmittelbare Gefahr“, fährt also Fahrrad. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hat sie, die in einem Dorf lebt, keine Chance, rechtzeitig in die Schule zu kommen. Die Richterin, die sie damals verdonnerte, hat nach bestehendem Recht und Gesetz gehandelt. Obwohl es in Deutschland Grenzwerte bis zu 15 Gramm Marihuana-Besitz zum Eigengebrauch gibt, in denen ein Richter das Verfahren einstellen kann, hat diese Richterin anders entschieden, weil im Gesetz ein Passus eingebaut ist: Denn als Pädagogin habe Anna L. eine Vorbildfunktion, somit sei eine Fremdgefährdung wegen Nachahmung durch die Schüler gegeben. Anna L. traf die volle Härte des Betäubungsmittelgesetzes. Gegen das sprechen sich jetzt die 122 Strafrechtsprofessoren aus, die sich im sogenannten Schildower Kreis zusammengeschlossen haben.
1994 hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Cannabis-Entscheidung die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Betäubungsmittelstrafrechts grundsätzlich bestätigt. Und das heißt: Null-Grenze bei THC-Produkten. Einer der Professoren, die sich für ein Umdenken in der Drogenpolitik einsetzen, ist Ulfried Neumann vom Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie der Uni Frankfurt. Neumann: „Das Ziel, das mit einer Kriminalisierung verfolgt werden soll, nämlich den Handel und den Konsum zu unterbinden, ist nicht erreicht worden.“
„Kriminalisiert“, so fühlt sich auch Anna L.. „Ich habe an einem Sonntagabend einen sehr kleinen Joint geraucht.“ Als sie zwei Tage später auf dem Weg in die Schule von einer Zivilstreife angehalten wurde, machte sie sich keine Sorgen. Führerschein, Aidshandschuhe - und dann die Frage nach Drogenkonsum. Jetzt sagt sie „wie dumm, dass ich es zugab“, denn als sie die bejahte, war das für sie der Beginn des „Wahnsinns“, wie sie sagt.
Sie willigte in einen Urin-Test ein. Dann wurde auch ihr Blut untersucht. Dort wurden 1,0 Nanogramm THC - der berauschende Wirkstoff im Marihuana - pro Milliliter nachgewiesen. Unter diesem Wert kann sich kein Laie etwas vorstellen. Für Marihuana-Abbauprodukte gibt es keine Grenzwerte wie die Promillegrenze bei Alkohol.
THC lange nachweisbar
Dr. Franjo Grotenhermen hingegen kennt sich aus mit Nanogramm und THC . Der Mediziner aus Köln-Hürth ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin. In seinem Buch „Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt“ schreibt er: „In Deutschland konsumieren etwa drei Millionen Menschen gelegentlich oder regelmäßig Cannabisprodukte. Nach der derzeitigen Gesetzeslage und Rechtspraxis droht diesen drei Millionen der Entzug des Führerscheins, selbst wenn sie nie unter dem Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug führten.“ Die Krux: Jeder Nachweis von THC im Blut gelte als Nachweis eines akuten Rausches. Jedoch sind laut Grotenhermen Kiffer nur im akuten Rauschzustand beeinträchtigt „und selbst dann in der Regel nicht stärker als Alkoholkonsumenten mit 0,5 bis 0,7 Promille“. THC kann aber noch Tage nach dem Konsum im Blut nachgewiesen werden, wenn der Raucher schon längst wieder nüchtern ist.
Grotenhermen ist nicht blauäugig: „Der Konsum von Cannabis beeinträchtigt Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit, Verarbeitung visueller Informationen, die Fähigkeit zur Abschätzung von Entfernungen und der Zeit. Die meisten Studien zeigen allerdings, dass relevante psychomotorische Cannabiswirkungen drei bis vier Stunden nach dem Konsum nicht mehr nachweisbar sind.“
"Realitätsferne des Urteils schockt mich"
Er geht davon aus: In der ersten Stunde nach dem Joint treten Leistungsmängel auf, die denen von 0,5 Promille Alkohol im Blut entsprächen. Bereits im Verlauf der zweiten Stunde verringere sich die Leistungsminderung deutlich. Grotenhermen im Buch: „Es lässt sich ein unterer Grenzwert festlegen, das heißt eine THC-Konzentration im Blutplasma, unter der im Allgemeinen keine relevante psychomotorische Beeinträchtigung besteht. Soll sie eine Beeinträchtigung analog eines Blutalkoholwertes von 0,5 Promille ausschließen, so liegt dieser untere Grenzwert bei etwa 10 Nanogramm pro Milliliter Blut. (…) Oberhalb eines oberen Grenzwertes von 20 ng/ml ist im Allgemeinen von einer Beeinträchtigung auszugehen, die einer Stärke entspricht, wie sie bei 0,5 Promille oder darüber beobachtet werden kann.
Anna L.: „Die Realitätsferne des Urteils schockt mich so. Zum einen wegen der lächerlichen Menge. Und zum anderen wurde ich hart verurteilt, weil ich Lehrerin bin - wo sind wir denn dann ,alle gleich‘ vor dem Gesetz? Ja, ich habe einen Erziehungsauftrag. Dem komme ich aber auch nach, wenn ich ab und zu am Wochenende Marihuana rauche. Welcher Wein liebende Pädagoge wird bestraft“, fragt die Lehrerin, „wenn er am Samstagabend eine Flasche mehr trinkt?“
Kurz nach der Kontrolle war klar, dass sie zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung, kurz MPU, muss. Um so gut gerüstet wie möglich zu sein, suchte sie einen vom TÜV Süd empfohlenen Verkehrspsychologen auf. Der machte ihr Mut und verlangte dafür 99 Euro: Bei ihrem unter „gelegentlich“ fallenden Kiff-Verhalten sah er die Führerschein-Sperre bei drei bis sechs Monaten. Weit gefehlt. Im August musste sie zum Test. Reaktionen, Schnelligkeit, Konzentration, Aufmerksamkeit - überall erreichte sie Spitzenwerte, die medizinische Untersuchung war ohne eine Auffälligkeit. Dann stand noch die psychologische Untersuchung an.
Die Psychologin sei gut informiert gewesen, so erinnert sie sich. Sie hätte Zugang zu Akten gehabt, in denen eine Jugendsünde eingetragen war. 1993 hatte sie aus Blödsinn eine Baustellen-Leuchte mitgehen lassen. Das hätte die Psychologin angesprochen und fragte, ob sie damals auch schon „geraucht“ habe. Anna L. blieb bei der Wahrheit - und bejahte, als Studentin ab und zu gekifft zu haben. Womit für die Psychologin Anna L.s Leben auf eine „20 Jahre andauernde Drogenkarriere“ reduziert wurde, was eine einjährige Führerscheinabstinenz zur Folge hatte.
Beweis liegt jetzt in den Haaren
Anna L. muss nun beweisen, dass sie „clean“ ist. Das geht mit Hilfe ihrer Haare. In ein paar Wochen ist Halbzeit, wenn in den neu gewachsenen sechs Zentimetern Haaren - pro Monat einer - kein THC mehr zu finden ist, ist das gut, dann ist sie auf dem besten Weg, in weiteren sechs Monaten ihren Führerschein zurückzuerhalten. Sind ihre Haare nur fünf Zentimeter gewachsen, ist das schlecht.
Die 0,01 Gramm Marihuana kommen sie teuer zu stehen, mit Anwalts- und Gerichtskosten, TÜV, MPU, Urintest kommen Tausende zusammen. Doch Anna L. gibt nicht auf. Sie will Berufung einlegen. Es geht auch um ihren Job, den sie liebt, es geht darum, einem drohenden Disziplinarverfahren auszuweichen. Und es geht auch darum: „Ich kann dieses große Unrecht, das ich begangen haben soll, nicht sehen.“
Milliarden für Strafverfolgung
Anna L. muss also noch den Weg beschreiten, den Experten wie Strafrechtler Ulfrid Neumann abschaffen wollen. In der Resolution, die auch er unterschrieben hat, heißt es: „Jedes Jahr werden Milliardenbeträge für Strafverfolgung aufgewendet, welche sinnvoller für Prävention und Gesundheitsvorsorge eingesetzt werden könnten.“ Neumann und seine 121 Professoren-Kollegen sind der Meinung, dass Cannabis legalisiert werden sollte. „Die rechtliche Freigabe sollte aber flankiert sein von Aktionen, die vor dem Missbrauch warnen. Wir haben bei der Droge Nikotin ja gesehen, dass Veränderungen durch Aufklärung möglich sind und dass diese vor allem auf einer Veränderung des gesellschaftlichen Klimas beruhen.“
Kurz, nachdem die Resolution online gegangen ist, haben sich mehr angeschlossen: Dr. Jürgen Kühling, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, und die „Neue Richtervereinigung - Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte e.V.
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