Alles anders in Eckental: ATP-Challenger trotzt Corona
7.11.2020, 06:00 UhrGrauer Boden, graue Wände, dazu ein paar einzeln herumsitzende Leute, die auf ihr Smartphone starren. Sucht man ein Sinnbild für die Coronakrise, im Eckentaler Ortsteil Brand findet man es. Dabei ist hier Leben in der Bude, wenn auch längst nicht so viel wie sonst. Das Fitnessstudio im House of Sports hat geschlossen. Sponsoren und Zuschauer müssen zu Hause bleiben. Spieler und Helfer aber sind dabei. Immerhin: Das 24. ATP-Challenger-Turnier findet statt.
Bis zum letzten Tag haben die Organisatoren gezittert
Noch einen Tag vor dem Start der Qualifikation am vergangenen Samstag haben die Organisatoren gezittert, ob sie nicht doch absagen müssen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gerade den "Lockdown light" verkündet, in dem Profisport zwar weiter erlaubt ist - doch man weiß ja nie. Die endgültige Entscheidung lag beim Gesundheitsamt des Landkreises Erlangen-Höchstadt. Also rief Turnierdirektor Marcus Slany dort lieber noch einmal an, zum gefühlt Tausendsten Mal in diesem turbulenten Jahr. Die Antwort war positiv. "Die Zusammenarbeit mit dem Landkreis", sagt Turnierdirektor Marcus Slany, "hat immer wunderbar geklappt." Das Turnier darf stattfinden.
Das liegt auch am penibel ausgearbeiteten Hygienekonzept, mittlerweile 400 Seiten stark. Das House of Sports gleicht aktuell einem Hochsicherheitstrakt. Nur Spieler und Helfer haben Zugang, und wenn sie hineinwollen, dann getrennt. Die Mitarbeiter betreten die Tennishalle über die Tür, durch die im Vorjahr noch Sponsoren und geladene Gäste über einen roten Teppich hineinspazierten. Ein Sicherheitsbeauftragter misst jetzt die Temperatur, dann desinfiziert man sich die Hände und trägt sich über einen QR-Code offiziell bei der ATP ein. Und natürlich alles mit Mund-und-Nasen-Schutz.
Überall spürt man, wie sehr das familiäre Flair fehlt
Danach steht man in der Halle wie in so vielen Herbstferien zuvor. Doch die ist nicht wiederzuerkennen. Normalerweise würde man sich im Sponsorendorf auf grünem Teppich zwischen Info-Ständen, VIP-Bereich und Essensausgabe ins Gewusel stürzen. Die Live-Spiele flimmern auf großen Fernsehbildschirmen, dumpf hört man durch den großen verblichenen Vorhang die aufschlagenden Bälle und Rufe von den Courts. Der Duft von deftigem Essen mischt sich dem von frischem Kaffee und der abgestandenen Luft zahlreicher Begegnungen. Hier kommen alle zusammen. Profispieler, Helfer, Betreuer, Sponsoren. Viele kennen sich schon so lange wie es das Turnier gibt.
Stattdessen: alles Grau in Grau. Der Boden ist im Jahr 2020 mit einer grauen Plastikfolie abgeklebt. Graue Messewände trennen einzelne Bereiche ab. Es gibt je eine Box für Schiedsrichter und Aufseher, eine andere für Helfer und Ballkinder. Jeder sitzt in seinem Bereich, niemand soll sich vermischen. "Wir mussten für alles Zonen einrichten. Es ist irre", sagt Slany. Hinter den grauen Wänden spielen die Profis auf dem knallblauen Teppichboden, zusätzlich eingerahmt von Bauzäunen. Auch hier ist jeder Bereich genau voneinander abgetrennt. Jeder Spieler darf nur einen Betreuer mitnehmen. Tribünen und Zuschauer gibt es gar nicht. Gäbe es auch keine Ballkinder und keinen Schiedsrichter, das ganze würde aussehen wie Training. Und das ist nur das offensichtlich trostlose.
"Fair ist es trotz aller Bemühungen nicht"
Hat man das Turnier einmal hinter den Kulissen kennengelernt, weiß man, wie sehr das familiäre Flair fehlt. In der Players Lounge haben die Spieler normal einen Rückzugsort, hier warten sie auf ihre Matches oder auf das Shuttle, manche hängen hier aber auch einfach ab oder spielen gemeinsam oder mit den Helfern Karten. Daran ist in diesem Jahr nicht zu denken. Der Aufenthaltsbereich der Profis ist nun ebenfalls in der Halle, zwischen den beiden Courts. Über eine extra eingebaute Tür betreten sie ihn zu genau vorgegebenen Zeiten, dort wärmen sie sich auf oder warten in einer kleinen Lounge.
Aufgewachsen im Tennis-Mekka: ATP in Eckental
Gemütlich aber ist anders: Bauzäune rahmen auch diesen "Raum" ein. Er hat den Charme einer Baustelle. Die Helfer sprechen zu den Spielern nur durch Plexiglas. Und selbst untereinander müssen die Profis Abstand halten. Doch sie nehmen alles hin, um spielen zu können. "Die sind so glücklich, dass es überhaupt stattfindet", sagt Slany. Auf der Challenger-Tour geht es für einige um die Existenz. Sie müssen Punkte sammeln, das ist ihr Job. Finden keine Turniere statt, haben sie kein Einkommen. "Fair ist es trotz aller Bemühungen nicht", meint Slany. Da die Profis international unterwegs sind, kann es passieren, dass sie wegen Corona aus ihrem Land nicht ausreisen oder nicht in ein anderes einreisen dürfen.
Vor Eckental hat es den Belgier Ruben Bemelmans erwischt, ein Stammgast und mehrfacher Sieger des Turniers. "Er durfte nicht in Deutschland einreisen, weil er einen positiven Test hatte. Einen Tag später hatte er einen negativen Test, er hätte also spielen können", sagt Slany. Die Spieler auf der Tour werden jede Woche zweimal getestet, erst am Donnerstag waren sie wieder dran. Einen positiven Coronafall gab es im House of Sports bislang nicht.
"Ich bin stolz, dass wir das so hinbekommen und sich alle an die Regeln halten", sagt Slany. Die Hygienemaßnahmen scheinen zu wirken - wenn auch unter größten Anstrengungen. "Jedes Auto und jeder Court müssen desinfiziert werden, nachdem sie ein Spieler benutzt hat." Schon vor dem Finalwochenende war der Bedarf an Desinfektionsmittel viermal größer als ursprünglich geschätzt.
"Wenn wir es in diesem Jahr nicht machen, dann ist es weg"
Auch die Ehrenamtlichen, die zum Teil ebenfalls seit mehr als 20 Jahren dabei sind, müssen sich umstellen. Normalerweise sind sie wie eine große Familie, mittags schmiert schon mal jemand für alle Brötchen, zweimal am Tag gibt es warme Küche vom Caterer. Doch Essen in Buffetform geht ja auch nicht mehr. Jetzt müssen die Turnierorganisatoren alles liefern lassen, ein paar Häuser weiter freut sich der Imbissbesitzer. "Es gibt Pizza, Nudeln oder Indisch", sagt Marcus Slany. Zweimal am Tag. Das ist nicht nur eintöniger, es ist vor allem teurer. Und das ist ein Problem.
Denn Geld ist im kostspieligen ATP-Zirkus immer knapp. In Eckental aber haben sie schon oft bewiesen, dass sie jede finanzielle Hürden irgendwie meistern. Und während in der Vergangenheit oft die ATP hohe Hürden aufstellte, war es nun der Verband selbst, der das Turnier durch Zuschüsse ermöglichte. "Sie haben uns unterstützt, weil sie aktuell weltweit Turniere verlieren", sagt Slany. In Deutschland seien die Hälfte der Turniere insolvent. 20 Prozent des Gesamt-Etats koste das Turnier wegen der Corona-Auflagen mehr als zuvor. "Doch wenn wir es in diesem Jahr nicht machen, dann ist es weg." Das, sagt der Turnierdirektor, sei seine größte Sorge gewesen.
Einschränkungen im Sport: Was erlaubt ist und was nicht
Sportlich bleibt die Challenger-Tour eine spannende Sache, auch wenn die beiden Profis aus der Region, Maximilian Marterer aus Stein in Runde eins und Johannes Härteis aus Postbauer-Heng in Runde zwei, früh ausgeschieden sind. Dennoch tummeln sich in Eckental weiterhin Alt-Stars und aufstrebende Talente, die oft wenig später auf den ganz großen Turnieren antreten.
"Für viele ist das ein Sprungbrett", sagt Slany, vor allem jetzt, da wegen Corona immer mehr Turniere die Anzahl der Teilnehmer einschränken - und es somit noch schwieriger wird, auf der Tour voran zu kommen. "Die jungen Spieler haben so kaum eine Chance." In Eckental bekommen sie diese.
Und auch im Helfer-Team - insgesamt waren wieder rund 200 Ehrenamtliche dabei - ist die Stimmung gut. "Alle haben Spaß, auch wenn alle vorsichtig sind." So ein Turnier schweißt das Team noch mehr zusammen. Viele genießen es, eine Aufgabe zu haben und nicht alleine zu Hause zu sitzen. Das tröstet auch Marcus Slany. Denn sonst fehlt das "Knistern".
In Eckental gibt es Publikumslieblinge wie Dustin Brown, die man vor Corona als Fitnessstudio-Besucher schon mal in der Sauna antreffen konnte. Das gesamte Turnier lebte von der Nähe zwischen Zuschauern, Sponsoren, Helfern und Profis. Das war der "besondere Geist", den alle immer wieder beschwören. Ob er je zurückkehren wird, kann Slany nicht garantieren. "Das jetzt ist kein Zustand, in dem wir zwei Jahre in Folge überleben." Ihn schmerzt das. Das ganze Jahr über steckt er seine Zeit in seine Tennisschule und das Turnier. "Durch Corona geht jegliche Planungsfähigkeit verloren. 2021 wird es das 25. Turnier sein", sagt Slany. Das sei immer das große Ziel gewesen, von ihm und von Turniergründer Markus Giegold. Grau in Grau aber soll das Jubiläum nicht werden.
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