Tiefer Einblick in die Szene
Anwalt mischt sich ins Drachenlord-Game ein - und bekommt vollen Hass der Hater ab
13.2.2022, 09:39 UhrEs ist ein Kampf zwischen Gut und Böse, eine epische Schlacht um moralische Überlegenheit. Finden zumindest die sogenannten Hater. Jeder, der einen Schritt in die Parallelwelt rund um den Drachenlord macht, wird von ihr vereinnahmt. Grauzonen gibt es nicht. Für oder gegen Rainer Winkler, wie das Netzphänomen mit bürgerlichem Namen heißt. Was für Außenstehende wie ein großes Schauspiel wirkt, ist für die Kritiker des Lords bitterer Ernst. Das Internet wird real. Scharmützel finden nicht nur in Kommentarspalten statt, sondern auch an Winklers Wohnort Altschauerberg.
Eine Rolle im Drachengame, also der Auseinandersetzung zwischen Winkler und der Community, die sein Wirken kritisiert, spielt jetzt auch Chan-jo Jun. Widerwillig. Der Jurist ist Experte für IT-Recht, kämpft mit seiner Würzburger Kanzlei gegen Hasskriminalität in sozialen Netzwerken. Regelmäßig beschäftigt sich der Anwalt auf seinem YouTube-Kanal mit mehr oder weniger prominenten Rechtsfällen. Zuletzt auch mit dem Drachenlord, der wegen Gewalt und Beleidigungen womöglich für zwei Jahre in Haft muss.
Am 9. Februar lädt Jun eine Videoanalyse zum Urteil aus dem Oktober hoch. In mehr als 37 Minuten erklärt er, warum er zumindest in der Begründung des Amtsgerichts einige Schwachstellen sieht. Im Zentrum steht die Frage: Hätte Winkler trotz der verbalen Bedrohung der Hater an seinem Hofzaun auf die Polizei warten müssen, bevor er sich physisch wehrte - oder nicht? "Es geht um eine Ausnahme von der Notwehr, die die Richter machen", erklärt der Jurist. Das Gericht ist der Auffassung, es wäre Winkler zumutbar gewesen, auf eine Streife zu warten, die bereits auf der Anfahrt war. Stattdessen wurde er selbst handgreiflich. Jun ist aber überzeugt, dass auch die Verbal-Provokation der Hater ein Motiv für Notwehr sein kann.
"Das ging bis hin zu rassistischen Beschimpfungen"
Als sich der Jurist noch mit den Fakten beschäftigte, rollte die erste Welle bereits los. "Ich war überrascht von der Dynamik", sagt Jun. Innerhalb kürzester Zeit erlebte er eine Hasswelle der sogenannten Hater-Community. Sie fluteten sein Postfach, die Kommentarspalte unter seinen Videos, attackierten ihn persönlich. "Das ging von Häme bis hin zu rassistischen Beschimpfungen." Der Jurist zog die Reißleine, schaltete die Kommentarfunktion zwischenzeitlich ab, nahm die Analyse sogar offline.
Die Episode ist eine von unzählig vielen rund um den Drachenlord. Jeder, der auch nur ansatzweise relativiert, wird verbal gnadenlos niedergemetzelt. Altschauerberg, der Ort, in dem Winker lebt, ist für die Szene ein Pilgerort. Tag für Tag kommen Hater aus ganz Deutschland, um sich am Gartenzaun mit dem Drachenlord zu bepöbeln. Das Wohnhaus in dem 42-Einwohner-Dorf ist übersät mit Farbe und Parolen. Die Kritiker liefern sich hier regelmäßig Scharmützel mit Winkler, die Polizei ist permanent im Einsatz, um zu schlichten - aber auch, um die Anwohner zu schützen. Sie leiden besonders unter den ständigen Massenaufläufen, dem Drachenlord-Tourismus, dem Lärm und dem Ärger rund um das sogenannte Drachengame.
Hater drohen nie mit konkreter Gewalt
In Altschauerberg, das gab der Drachenlord vor Gericht zu, attackierte er einen Mann mit einer Taschenlampe, schlug ihm auf die Stirn. Die Richterin sprachen ihn im Oktober letzten Jahres schuldig. Es geht unter anderem um gefährliche Körperverletzung - und eine mehrjährige Haftstrafe. Ende März wird Winkler in Berufung gehen. Er hofft auf ein milderes Urteil.
Für ausgeschlossen hält Jun das nicht - und das alleine brachte ihm Hass ein. Statt sich aber zu verstecken, ging der Anwalt auf Konfrontation. In einem zweiten Video diskutierte er mit der Szene. Die Debatte ist aufschlussreich, denn: Sie gibt einen Einblick in die Dynamiken der Hater-Community. "Wenn man sie mit Querdenken oder nationalsozialistischen Bewegungen vergleicht, sieht man ganz klar eine andere Ausrichtung", sagt Jun. Die Hater drohen nie mit konkreter Gewalt, sie kippen eher Häme aus, sagt der Jurist. "Die sehen das ein bisschen wie ein Spiel."
Vor allem aber halten sich die Gegner des Drachenlord für besser als Winkler - und genau das ist wichtig zu wissen, sagt Jun. "Sie nehmen für sich selbst Moral in Anspruch." Illusionen, dass das Drachengame aus Einsicht endet, macht sich der Jurist nicht. "Aber sie sind zugänglich gegenüber moralischen Spielregeln. Vielleicht lassen sich die Eckpunkte im Drachengame verändern."
Immer wieder hat Jun Distanzierungen von Gewalt und den konfrontativen Aktionen in Altschauerberg erlebt. Genau hier ist sich die Community uneinig. "Das Rechtssystem ist vielleicht eine Lösung, die die Hater akzeptieren", sagt er. "Ich habe ihnen gesagt, wenn das Ziel ist, Gerechtigkeit herzustellen, wenn Winkler für seine Straftaten bestraft werden soll, dann solltet ihr selbst keine Provokation erzeugen." Ein Rat, den sich viele Hater tatsächlich zu Herzen nahmen. "Sie haben das in einem bekannten Telegram-Channel oben angepinnt und sich zu Eigen gemacht." Der Dialog hilft, ist der Jurist überzeugt. "Vielleicht können wir das Drachengame auf das Spielfeld begrenzen und Kollateralschäden verhindern."
Das Drachengame ist noch lange nicht vorbei
Welche Chancen Winkler auf ein milderes Urteil im März hat? Da will Jun keine Tendenz ausmachen. Das Landgericht werde sich wahrscheinlich mit der Prüfung der Notwehrfrage auseinandersetzen. "Sollten die Richter hier wie ich tatsächlich einen Fehler in der Beurteilung sehen, müsste die Strafe tendenziell niedriger sein." Ausgemacht sei das aber keineswegs. "Es kann sowohl mehr als auch weniger werden." Beobachter halten es für möglich, dass das Landgericht das Strafmaß höher ansetzt.
"Amtsgericht beendet das Drachengame", titelte unsere Zeitung nach dem Urteil im Oktober. Die terrorisierten Anwohner, die überlastete Polizei, die genervte Gemeinde, die in den Fokus der Kritiker geriet - alle atmeten vorsichtig auf. Doch das groteske Spiel ist längst nicht vorbei. Das nächste Level ist die Berufungsverhandlung Ende März.