Corona-Krise: So könnte die Exit-Strategie aussehen

Alexander Jungkunz

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10.4.2020, 09:10 Uhr

Man müsse jetzt schon anfangen mit dem Vorbereiten des Ausstiegs, schreiben die Professoren in ihrem Papier "Die Bekämpfung der Corona-Pandemie tragfähig gestalten". Sie haben "Empfehlungen für eine flexible, risikoadaptierte Strategie" ausgearbeitet. "Handlungsbedarf ergibt sich jetzt sofort, um gezielt Anpassungen der Maßnahmenpakete zu konzipieren, vorzubereiten und einzuleiten", so das Team aus 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Zwei davon lehren hier in der Region: Andrea Abele-Brehm ist Professorin für Sozialpsychologie, Veronika Grimm hat einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Uni Erlangen-Nürnberg - und sie gehört seit wenigen Tagen zu den "Wirtschaftsweisen", jenem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der die Bundesregierung berät.

Mit dabei waren auch Clemens Fuest, Chef des ifo-Instituts München, und der Würzburger Pharmakologe Martin J. Lohse - beide haben das Papier koordiniert. Dazu Rechtsphilosophen, weitere Mediziner und auch Christiane Woopen, Medizinethikerin und Mitglied des Deutschen Ethikrats - der hatte kürzlich ebenfalls eine ständige Überprüfung der Einschränkungen im Kampf gegen Corona gefordert und sich auch für eine öffentliche Exit-Debatte eingesetzt. Vorsitzender des Ethikrats ist der in Fürth lebende und in Erlangen lehrende Theologe Peter Dabrock.

Das Gremium beschreibt in seinem Papier die drohenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen eines sehr langen Lockdowns: Die Konzentration der medizinischen Versorgung auf Covid.19-Patienten führe dazu, dass andere Erkrankte schlechter oder gar nicht betreut würden. Besonders betroffen vom Einfrieren des öffentlichen Lebens seien "alte Menschen, Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehende und Familien mit kleinen Kindern, Alleinlebende, Obdachlose, kranke und psychisch labile Personen".

Das Herunterfahren der Wirtschaft belaste Unternehmen und Arbeitnehmer massiv. Zudem verschärften sich Ungleichheiten in Sachen Bildung. Die Autoren wehren sich gegen das Aufrechnen von medizinischer Vorsorge einerseits und der Sorge um den wirtschaftlichen Schaden des Lockdowns andererseits: Das sei kein Gegensatz - unser "bestehendes und offenbar gerade auch im internationalen Vergleich sehr belastbares Gesundheitssystem" existiere "nur auf der Grundlage hoher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft", schreiben sie.

Es gehe also "nicht um die falsche Alternative; medizinische Vorsorge oder wirtschaftliche Produktivität. Sondern es geht darum, die ökonomische Basis der medizinischen wie der sonstigen Infrastruktur unseres Gemeinwesens kurz-, mittel- und langfristig zu sichern und die verheerenden Folgen zu vermeiden oder doch abzufedern, die ein mehr als wenige Wochen dauernder weitgehender Stillstand weiter Teile der Ökonomie und des öffentlichen Lebens ebenso nach sich ziehen würde wie eine Pandemie mit zahlreichen schwer Erkrankten und Toten".

Was schlagen die Experten nun konkret vor? Einen sehr ausdifferenzierten, für verschiedene Branchen, Lebensbereiche und auch Regionen individuell zu gestaltenden Ausstieg aus den Einschränkungen - sie sprechen von "risikoadaptierter Strategie": Folgende Ziele müssten dabei im Zentrum stehen: Das Verhindern der weiteren Ausbreitung des Virus; die Stärkung des Gesundheitssystems für alle Erkrankten; der Schutz von Hochrisikogruppen für Covid-19-Erkrankungen; die Vermeidung sozialer und psychischer Härten; das Ermöglichen wirtschaftlicher Aktivitäten ohne unnötige gesundheitliche Risiken und das Zurückfahren der Grundrechtseingriffe.


Spahn: Schrittweise Lockerung der Maßnahmen nach den Ferien denkbar


Das Gremium plädiert für eine Corona-Taskforce - und zwar auf nationaler wie auf regionaler Ebene, denn die Exit-Schritte müssten regional unterschiedlich sein. Diese Runden müssten die politischen Entscheidungen auf den Weg bringen - es gelte, "die Maßnahmen für einen effektiven Gesundheitsschutz mit einer graduellen Lockerung von Beschränkungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld zu verbinden".

Dazu gehöre auch eine umfassende, professionelle Kommunikation der geplanten Schritte; die Bürger müssten mitgenommen werden und Vertrauen ins Vorgehen der Politik haben können. Alle Schritte müssten genau erklärt werden. Dringlich seien unter anderem die "massive Steigerung der Produktion von Schutzkleidung und -masken in Deutschland" und "die Sicherung von Produktionskapazität für Impfstoffe und Medikamente in Deutschland.

Nötig sei eine "differenzierte graduelle Öffnung" des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Zuerst könne man "Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr" hochfahren, zum Beispiel hochautomatisierte Fabriken oder auch Kitas und Schulen. Letzteres sei auch wichtig, damit Menschen mit Kindern wieder zur Arbeit gehen können. "Sektoren, in denen gut mit Homeoffice und digitalen Techniken gearbeitet werden kann, haben weniger Priorität als Sektoren, in denen das nicht geht." Vorrangig lockern solle man "Beschränkungen, die hohe soziale oder psychische Belastungen" verursachen. "Regionen mit niedrgeren Infektionsraten und weniger Verbreitungspotenzial können eher geöffnet werden."

So ein differenzierter Plan sei "hochkomplex" und müsse gut vermittelt werden - auch mit aller Vorsicht. "Die Kommunikation sollte ein Wir-Gefühl fördern, realistisch und transparent sein. Sie darf Risiken weder verharmlosen noch übertreiben." Die Autoren weiter: "Es sollte auch kommuniziert werden, dass die Rückkehr zur Normalität aller Wahrscheinlichkeit nach nur langfristig und mit bedeutsamen Anstrengungen und Kosten erreicht werden kann." Daher sei die gesamte Umsetzung der Strategie "zweifellos herausfordernd. Gleichwohl können die anstehenden Aufgaben mit Zuversicht begonnen werden. Kaum ein Land verfügt über so gute Voraussetzungen und Ressourcen wie Deutschland, um die Corona-Pandemie erfolgreich zu bestehen."

Das aber werde dauern, betonen die Experten: Die Pandemie werde wohl "bis weit ins nächste Jahr reichen". Das bedeute, "dass der Umgang mit ihr viel eher einem Marathon als einem Sprint gleichen muss".

Das gesamte Papier findet sich hier.


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