"Corona-Rebellen": Bündnis Nazistopp dokumentiert Proteste

Wolfgang Heilig-Achneck

Lokalredaktion

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3.11.2020, 20:50 Uhr

Ein halbes Jahr lang hat ein Kreis von engagierten Bürgern reichlich Material gesammelt. "Ich habe mehr als 40 Kundgebungen verfolgt und vermutlich keine Rede verpasst", stellt Birgit Mair vom Bündnis Nazistopp fest. Die Ansprachen ausführlich wiederzugeben, hätte freilich den Rahmen gesprengt. So wird in Kapiteln wie "Braune Flecken auf der grünen Wiese" kompakt gebündelt beschrieben und analysiert, was bei den Protestversammlungen etwa auf der Wöhrder Wiese, im Westpark, am Marienberg und andernorts gesagt wurde und welche Akteure dabei prominent in Erscheinung getreten sind.


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Wichtige Belege sind die Fotos von Roland Sauer und Rüdiger Löster - denen unangenehme Belästigungen, üble Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen aus der Szene der "Corona-Rebellen" nicht erspart blieben. "Zu Beginn wie Anfang Mai vor der Lorenzkirche waren sicher noch viele Bürger einfach aus Neugier dabei", stellt ver.di-Sekretär Uli Schneeweiß fest. Und auch jetzt seien keineswegs alle Teilnehmer ohne weiteres dem stramm rechten Spektrum bis hin zu den sogenannten Reichsbürgern zuzuordnen. "Aber die ganze Szene ist eindeutig nach rechts hin sehr offen und lässt vor allem eine klare Distanzierung gegenüber ausgewiesenen Neonazis vermissen."

Gewaltphantasien auf Facebook und Telegram

Neben den öffentlichen Auftritten, bei denen auch in Nürnberg unter anderem überzeugte Holocaust-Leugner und knallhart agierende Nazis gesichtet wurden, haben die Verfasser aber auch Beiträge und Parolen aus internen Diskussionszirkeln ausgewertet. In Facebook- und Telegram-Foren werden auch pure Gewaltphantasien ausgelebt (Beispiel: "einfach hängen , diese Leute"). Eine dort kürzlich verbreitete Anleitung zum Bau von Sprengkörpern wurde zwischenzeitlich wieder gelöscht.


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Zu den häufig wiederkehrenden Bestandteilen der Kundgebungen gehören antisemitische Unterstellungen oder auch unverhohlene Verunglimpfungen von (reichen) Jüdinnen und Juden als Sündenböcke oder gar "Urheber" des Virus. Neben geschichtlichen Parallelen, die das Aufkommen der Nationalsozialisten verharmlosen und dessen Opfer verhöhnen, stehen hanebüchene Behauptungen wie die, schon gegen die "Spanische Grippe" vor 100 Jahre habe Homöopathie am besten geholfen.

Zu den Verharmlosungsstrategien rechnen Mair und Schneeweiß die Etikettierung der Versammlungen unter Titeln wie "Schülerinnen und Schüler gegen Maskenpflicht". Dazu kommen Tarnungen als Friedensinitiative oder Beteuerungen der vermeintlichen politischen Neutralität nach allen Seiten. Grundsätzliches Misstrauen bringen die "Corona-Rebellen" neben den gewählten Politikern vor allem der Wissenschaft entgegen: Noch ehe ein Impfstoff in Sicht oder gar auf dem Markt ist, steht für notorische Gegner schon fest, dass ein solcher auf jeden Fall als gefährlicher anzusehen ist als das Virus selbst.

"Vertreter der schweigenden Bevölkerung"

"Viele sehen sich als Vertreter der, wie sie glauben, schweigenden Mehrheit der Bevölkerung und leiten daraus ab, dass die gewählten Volksvertreter kein Mandat haben", berichtet Roland Sauer. Und im Wahn, in einer Diktatur zu leben, leiten die radikalen Kräfte eine Art Widerstandsrecht gegen das ab, was sie als System verachten.

"Es ist eine soziale Bewegung entstanden, welche die Gefahren der Pandemie als nicht existent erklärt", ziehen die Verfasser der Dokumentation ein "vorläufiges Fazit". Dabei scheine es inzwischen zum Konzept zu gehören, dass sich Realitätsleugner, Esoteriker "und vielleicht auch mitmarschierende, konsumorientierte Egos" nicht nur nicht abgrenzen, sondern mit extrem Rechten und Antisemiten zusammenarbeiten.

In einem erweiterten Bündnis suchen ver.di und die Nazistopp-Initiative nun Ansätze, der "Corona-Rebellen"-Szene nicht länger die Straße zu überlassen. Statt simpler Gegenkundgebungen (bei denen Abstände kaum einzuhalten sind) wird über "kreative Aktionen" nachgedacht sowie noch verstärkte Aufklärungsarbeit.

Die Dokumentation ist unter www.nazistopp-nuernberg.de im Internet einzusehen und auch auf der Seite der Gewerkschaft ver.di zu finden.


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