Erlangen: Schule macht fit fürs digitale Zeitalter
16.8.2016, 15:00 UhrWenn Frank Lohrke durchs Schulhaus geht, wird er freudig begrüßt. Hier ein frecher Spruch, da ein Witz, dort aufgeregtes Winken. Kein Zweifel: Der 33-jährige Lehrer der Biologie, Chemie und Informatik ist bekannt und beliebt in seiner Schule. Das liegt auch daran, dass der Lehrer auf YouTube sendet. Nicht etwa privat. Der Pädagoge wird wegen seiner vielfach geklickten Video-Tutorials, also kleinen Lehrfilmchen, hoch geschätzt.
Lohrkes erstes Video, eine Abhandlung für die Schüler der achten Klassen zum Sezieren eines Schweineherzens, wurde bereits rund 20.000-mal angesehen. "Das freut mich, heißt es doch, dass auch Schüler von anderen Schulen damit etwas anfangen können", sagt Lohrke. Noch mehr eingeschlagen hat ein weiteres Lernvideo von ihm. Darin erklärt Lohrke das Aufstellen chemischer Formelgleichungen. Über 100.000 Klicks hat das Video bekommen. Viele von Lohrkes Kollegen ziehen mit und produzieren ebenfalls Videos. Die Schule unterhält einen eigenen YouTube-Kanal.
Die Idee, Unterrichtsstoff in ein kurzes Anleitungsvideo zu packen, kam dem Lehrer spontan. "Die Schüler sind den ganzen Tag auf YouTube, da erreiche ich sie dann wenigstens", sagt er. Viel Aufwand, der sich bislang gelohnt hat. An der Schule gibt es wohl kaum noch einen Schüler, der Lohrkes Schweineherz-Video noch nicht gesehen hat, sämtliche Informationen über Aufbau und Struktur inklusive.
In Lohrkes Biologiestunden sitzen die Schüler mit einem Ohrstöpsel im Ohr an ihren Tischen, die iPads vor sich. Nach einer kurzen Einführung sehen sich die Schüler ein Lehrvideo mit Arbeitsanweisungen auf ihren Tablets an und legen los. "Ich halte mich als Coach im Hintergrund und bin für diejenigen da, die Probleme haben", erzählt der junge Lehrer. So sei es möglich, den Unterricht zu individualisieren.
Nächste Stunde: Lohrke muss in einer neunten Klasse vertreten und gibt den Schülern einen Such-Auftrag im Internet. Mittels Google-Maps sollen sie einen Stadtrundgang in München oder Berlin entwerfen, inklusive Sehenswürdigkeiten. "Generation digital", sagt Lohrke schulterzuckend, als nach einer Viertelstunde die ersten Ergebnisse vorliegen.
Fortbildungen sind selbstverständlich
Schulleiter Markus Bölling ist ebenfalls Digitalist. Die Web-Seiten seiner Schule hat Bölling selbst mal auf die Schnelle programmiert, die WLAN-Infrastruktur der Schule mit ihren Hotspots ist ausgezeichnet. Ständige Lehrerfortbildungen im Bereich der digitalen Medien sind an der Realschule am Europakanal in Erlangen selbstverständlich.
Auch wenn nicht alle der 84 Lehrer im Kollegium mitziehen, die Marschroute ist klar: "Wir wollen, dass Schüler selbstverständlich mit digitalen Medien unabhängig von Zeit und Raum lernen können, so dass sie für ein erfolgreiches Leben und Arbeiten im 21. Jahrhundert gewappnet sind", betont Bölling.
Das von Zeit und Raum unabhängige Lernen, das er anspricht, findet ab dem nächsten Schuljahr in der "EduZeit" statt. Viermal pro Woche verlassen die Schüler dazu ihren Klassenverband, um sich mit Mitschülern ihrer Wahl und Jahrgangsstufe bei einem Lehrer ihrer Wahl einzufinden und Arbeitsaufträge zu erledigen.
In der Edu-Zeit sind die Schüler angehalten, sich gegenseitig zu unterstützen. Ebenso wie im regelmäßig stattfindenden Projektunterricht, der dazu dient, dass Schüler sich Themen selbst erarbeiten und ihre Ergebnisse in der Klasse präsentieren. Denn auf Präsentationstechniken und freies Reden wird an der Schule besonders Wert gelegt.
Frontalunterricht war gestern
Ein Log-Buch, das jeder Schüler führt, dient laut Bölling dazu, "die Selbsteinschätzung zu trainieren und das Ergebnis mit den Lehrern abzugleichen". Der Schulleiter und Vater zweier Kinder ist der festen Überzeugung, dass Schule, wie man sie bislang kennt, dringend einen Paradigmenwechsel benötigt. "Früher war man der Ansicht, der Lehrer bringt einem etwas bei. Heute weiß man, dass Lernen ein eigenaktiver Prozess ist, den der Lehrer allenfalls unterstützen sollte." Deshalb soll es an der Schule auf absehbare Zeit auch keinen klassischen Frontalunterricht mehr geben.
Auch vom Notensystem würde sich Bölling am liebsten verabschieden. "Das ist veraltet, wir müssen Schule endlich fit fürs 21. Jahrhundert machen", sagt er. Was er darunter versteht, kann man in weiten Teilen an seiner Schule sehen. Soziale Kompetenzen spielen eine große Rolle, es gibt eine Schulcharta, die jeder Schüler unterzeichnen muss.
"Die Schüler werden von uns wertgeschätzt und geben diese Wertschätzung an uns zurück", erzählt Bölling. Darüber hinaus werden die digitalen Möglichkeiten nicht nur im Unterricht ausgeschöpft. Transparenz ist für den Schulleiter ein wichtiges Thema, so sind Vertretungs- und Lehrpläne online einsehbar. Eltern können ihre Kinder mit Hilfe einer App entschuldigen. Schule 3.0 eben.
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