Grund- und Mittelschule Thalmässing geht neue Wege
29.6.2016, 19:33 UhrSchon beim Betreten des Schulhauses wird klar, hier weht ein anderer Wind. Es herrscht weder hoheitsvolle Stille, die zum Flüstern anregt, noch liegt der typische Schulhausgeruch in der Luft. Diese Mischung aus altem Papier, Bohnerwachs und muffiger Sportkleidung. Die Aula der Grund- und Mittelschule Thalmässing (Kreis Roth) ist gut gelüftet, sie wirkt freundlich und heiter. Die mit Kunstwerken und Handarbeiten der Schüler dekorierten Wände verbreiten heimelige Atmosphäre.
Stimmengewirr plätschert durch die Gänge. Überall im Schulhaus tummeln sich Schülerinnen und Schüler. Dabei ist gar nicht Pause. An halbmondförmigen Pulten, die überall in den Fluren zu finden sind, sitzen Kinder und Jugendliche zu zweit oder in kleinen Gruppen und lernen. Hängen hier über einem Laptop, oder bearbeiten dort gemeinsam die vor ihnen liegenden Arbeitsblätter. Es wird sich ausgetauscht - und das soll auch so sein. Das soziale Miteinander, sich gegenseitig helfen und unterstützen, ist eines der Markenzeichen der Schule.
n Thalmässing wird schon seit dem Jahr 2000 Inklusion gelebt. Mehrere Kinder mit Behinderung sind fest in die Schulgemeinschaft integriert. Das liegt daran, dass die Schule das Verständnis vertritt, dass alle Kinder eigentlich Inklusionskinder sind und ihren Stärken, Talenten, Neigungen und Schwächen entsprechend unterrichtet werden müssen.
"Egal ob ein Kind hochbegabt, mit Diagnose ADS oder sonderpädagogischem Förderbedarf zu uns kommt, wir fordern und fördern sie individuell, denn wir wollen eine Schule für alle Schüler sein", sagt Schulleiter Ottmar Misoph beim Gang durchs Schulhaus. Ein ungewöhnlicher Ansatz, wenn man bedenkt, dass trotz der vom bayerischen Kultusministerium vorgegebenen Inklusion an Schulen dieser vor einigen Jahren bislang noch viel zu wenig umgesetzt wurde.
Eine Gruppe von sechs Viertklässlern hat sich in ein leeres Klassenzimmer zurückgezogen. Ein Gemeinschaftsprojekt wird diskutiert. Wenn einer spricht, hören die anderen interessiert zu. Die Tür ist offen, wie bei allen Unterrichtsräumen hier. "Die offenen Türen und unsere flexiblen Lernorte hier im Schulhaus irritieren Besucher am meisten", sagt Misoph und lacht. Das ist nicht das Einzige, was zum Staunen anregt.
Für Misoph ist es selbstverständlich, dass die Schüler ein Mitspracherecht bei vielen schulinternen Prozessen haben. Sie werden oft nach ihrer Meinung gefragt. Ebenso selbstverständlich durchlaufen alle Schüler von der 1. bis zur 9. Klasse ein systematisches Teamtraining und verfügen so über hohe Teamfähigkeit. Es motiviere die Kinder, sich einzubringen und gemeinsam etwas zu erreichen, sagt der Pädagoge.
Keine Angst vor Fehlern
Aktiv und eigenverantwortlich, so sollen Schüler seiner Ansicht nach lernen. Ohne Angst, Fehler zu machen und mit großer Freude am Ausprobieren und Experimentieren. "Stärken stärken durch eigenaktives Lernen", lautet daher auch das Motto der Schule. Für den Schulleiter bedeutet es, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Lerninhalte selbst und in der eigenen Geschwindigkeit erschließen. Dafür gibt der Pädagoge ihnen in seiner Schule Raum und Zeit.
Kontrolle und Frontalunterricht hat er durch Vertrauen und freies Arbeiten, die sogenannte freie Lernzeit ersetzt. Jeden Tag haben die Schüler von der 5. bis zur 9. Klasse mindestens zwei Stunden, in denen sie frei das lernen können, wozu sie gerade Lust haben oder wobei Nachholbedarf besteht.
Den Lernort im Schulhaus suchen sie sich in dieser Zeit selbst aus. Durch die offenen Unterrichtsformen gelingt es, so Misoph, dass die Schüler nach und nach selbst erkennen, in welchen Bereichen sie Neigungen, Potenziale, Kompetenzen oder Talente besitzen. Die eigenverantwortlichen und "freien Lernphasen mit unterschiedlichem Lernmaterial führen dazu, dass jeder Schüler zu einem anderen Zeitpunkt die erforderlichen Kompetenzen erreicht", erklärt der Schulleiter. Deshalb habe man damit begonnen, die Schüler in einzelnen Fächern den Termin für die im bayerischen Schulsystem leider noch zwingend benoteten Proben selbst wählen zu lassen. Jeder Schüler hat nach einer eigenverantwortlichen Lernphase eine Woche Zeit, seine Prüfung zu schreiben.
Flexibel gestaltet
Bemerkenswert sind auch die Unterrichtsräume: Alle Klassenzimmer sind flexibel gestaltet. Es gibt keine zentrale Tafel, sondern ein umlaufendes Schienensystem mit frei verschiebbaren Tafelelementen. Die Dreieckstische sind beweglich, und jeder Schüler von der 1. bis zur 9. Klasse sitzt an diesen Tischen. Die unterschiedliche Körpergröße wird durch einstellbare Stühle ausgeglichen.
"Das Gefühl der Gleichberechtigung und der eigenen Wertigkeit fängt schon beim Stuhl an", sagt Misoph. Hat er eigentlich Probleme, Lehrer für seine Schule zu gewinnen? Der Schulleiter lacht. Es sei für neue Kollegen oft nicht einfach, sich umzugewöhnen. Auch deshalb, weil diese Art, Schule zu machen, zeitintensiv sei.
Doch der Einsatz lohne sich, weil das Klima zwischen den Lehrern, aber auch zwischen Lehrern und Schülern sehr gut sei. Lehrer sind für die Schüler zu jedem Zeitpunkt ansprechbar. Selbst im Lehrerzimmer sind Schüler willkommen. Auch unter den Pädagogen herrsche Einigkeit, sagt Misoph, "weil sie alles mittragen und mitgestalten, was hier passiert".
Dazu gehören sorgfältig ausgewählte Lernprogramme ebenso wie die Verwendung von interaktiven Whiteboards anstelle von Tafeln. Auf Medienkompetenz wird großer Wert gelegt. Die Schüler nutzen die Whiteboards in den Unterrichtsräumen, PCs, Tablets und SkoolPads ganz selbstverständlich.
Ständige Optimierung
Eigentlich fast skandalös, was die Grund- und Mittelschule Thalmässig da treibt, denn immerhin handelt es sich um eine staatliche Regelschule, die ebenso wie alle anderen der bayerischen Volksschulordnung verpflichtet ist. "Mit Ausnahmen", sagt Misoph und lächelt verschmitzt.
Er kennt die Schlupflöcher - und nutzt sie seit Jahren. Über den Status "Modus-Schule" zum Beispiel. Das gibt ihm fünf Jahre Zeit, auszuprobieren, wie es noch besser laufen könnte. Denn Misoph ist keiner, der stehen bleibt. Ständig hält er Augen und Ohren offen, überdenkt, was besteht, und gibt neuen Ideen eine Chance, um sein Konzept ständig zu optimieren. Vor dem bayerischen Kultusministerium muss sich der Pädagoge deshalb nicht fürchten - im Gegenteil. Zahlreiche Auszeichnungen für seine Konzepte auch auf Bundesebene betätigen den Schulleiter auf seinem Weg.
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