Gefährliche Kräutertrips in Forchheim: Eine Bilanz
13.4.2016, 12:20 UhrDer Junge torkelt durch die Wiesentstraße, schwankt in alle Richtungen. "Wie eine Marionette, bei der alle Fäden locker sind", beschreibt eine Augenzeugin den 16-Jährigen. "Seine Freunde standen um ihn herum und haben ihn ausgelacht", erzählt sie. Weil sie Angst hat, an der Gruppe vorbei die Brücke zu überqueren, wählt sie einen Umweg und informiert dabei eine Polizeistreife, die in unmittelbarer Nähe unterwegs ist. Auch Ermittler in Zivil kommen zur Hilfe. Der Junge wehrt sich zwar mit allen Kräften, doch schaffen es zwei Polizeibeamte schlussendlich, ihn mit Handschellen ruhig zu stellen.
"Früher waren Engelstrompeten und Pilze im Trend, jetzt sind es die Kräutermischungen", sagt Nicole Kupfer. Die 42-jährige arbeitet seit 2007 hauptamtlich in der Suchtberatung der Caritas und weiß: "Das Zeug ist unberechenbar, man macht sich zum Versuchskaninchen." Kupfer beschreibt Fälle, bei denen die Konsumenten Lähmungserscheinungen hatten, Herzrasen, von den psychischen Auswirkungen "ganz zu schweigen".
Die Vorfälle mit der Modedroge häufen sich. Wir sind "sehr geplagt", so Robert Schaffranietz, stellvertretender Leiter der Polizei Forchheim. "Wir erleben tagtäglich Vorfälle mit Kräutermischungen", sagt er. Zum einen gehören zu den Konsumenten die "Kids, die der Reiz des Abenteuers in Versuchung bringt", andererseits sind es auch einschlägig bekannte Suchtkranke, die für einen Einkaufstrip nach Forchheim kommen würden. Denn obwohl Kräutermischungen sehr einfach über das Internet bestellt werden können, wählen "solche bekannten Problemfälle eher das schnelle Geschäft im Laden", so Schaffranietz. "Die konsumieren die Mischungen dann auch gleich in unmittelbarer Nähe."
Über Forchheim hinaus bekannt
Dadurch erklärt sich, warum in letzter Zeit so viele Fälle publik wurden, bei denen Menschen vollkommen benebelt durch die Innenstadt torkelten, so der Polizist: Am 29. Februar eröffnete ein Head Shop in Forchheim. Der Fachbedarf für Rauchzubehör ist sehr versteckt gelegen, aber weit über Forchheim hinaus bekannt. Seit dem Tag der Eröffnung, also etwa seit sechs Wochen, musste die Polizei 38 Mal wegen "Kräuter-Opfern" ausrücken. Im Vergleich: Im gesamten Jahr 2015 waren es deutlich weniger Einsätze, nämlich insgesamt bloß 28.
In dem Fachbedarf gibt es neben Shishas und Kifferbedarf auch unterschiedliche Kräutermischungen, wie der 22-jährige Betreiber ganz frei zugibt. An seiner Tür hängt zudem ein Schild, das unter 18-Jährigen den Zutritt verbietet: "Ich pass da auf."
Ist es so? Die Mehrzahl der zuletzt bekannt gewordenen Fälle hat in besagtem Laden gekauft, sagt Schaffranietz. Der Betreiber widerspricht: Damit habe er genauso wenig zu tun wie mit dem inzwischen geschlossenen Head Shop in der Berliner Straße. Zudem steht auch ein weiterer Laden in derselben Straße - ein Stück weiter nördlich - unter Verdacht.
Problem für umliegende Einzelhändler
Probleme haben inzwischen auch umliegende Einzelhändler. Sascha Hassel hat in der Straße einen Laden für E-Zigaretten, aber mit den Kräutermischungen nichts am Hut. "Momentan kommen jeden Tag mindestens 20 Personen und fragen nach Kräutermischungen", ärgert sich Hassel, der inzwischen seinen Laden aus diesem Grund gekündigt hat.
Auch der junge Inhaber des Headshops ist verärgert. Dass seit Tagen ein Polizeibus vor seinem Laden steht und die Beamten "seine Kunden filzen", nervt ihn. "Das ist unsere einzige Möglichkeit: Die Abschreckung und Aufklärung", erklärt Schaffranietz. Razzien gebe es nicht. "Wir können nicht strafverfolgend handeln, nur präventiv."
Dem stimmt auch Oberbürgermeister Uwe Kirschstein zu: "Mit Verboten hat man aktuell keine Handhabe". Sein Plan: Die Stadt muss stark mit der Polizei kooperieren. Weil die aber letztendlich auch nicht viel tun kann, kam das Landratsamt ins Spiel. Könne man so einem Geschäft nicht einfach das Gewerbe entziehen, fragte man sich bei der Polizei.
"Nein", sagt Ulrike Martin, stellvertretende Fachbereichsleiterin der Abteilung für öffentliche Sicherheit und Ordnung. "Eine Gewerbeuntersagung ist nicht so einfach", sagt sie. Dazu muss der Gewerbetreibende "unzuverlässig sein", also entweder mehrere Verurteilungen hinter sich haben oder beispielsweise große Steuerschulden. Beides sei bei Johannes Wetzel nicht der Fall.
Der Wunsch nach Gewerbeentzug und Verboten ist zwar verständlich, doch bringt es "überhaupt nichts", die Substanzen immer wieder aufs Neue zu verbieten, sagt Suchtberaterin Kupfer: "Das ist wie beim Hasen und dem Igel: Man kommt einfach nicht hinterher."
Dieser Artikel wurde am 13. April 2016, 12.22 Uhr, aktualisiert.