Dullnraamer-Chefin

Die Klartexterin aus Fürth: Trauer um Ute Weiherer

Matthias Boll

Lokalredaktion Fürth

E-Mail zur Autorenseite

8.5.2021, 06:00 Uhr
Mit Kanalratz auf der Schulter rockte sie mit dem Ensemble der Dullnraamer Jahr für Jahr die Bühne der großen Halle im Kulturforum: Ute Weiherer (28.9.1956 - 1.5.2021)

© Hans-Joachim Winckler Mit Kanalratz auf der Schulter rockte sie mit dem Ensemble der Dullnraamer Jahr für Jahr die Bühne der großen Halle im Kulturforum: Ute Weiherer (28.9.1956 - 1.5.2021)

Am liebsten hätte sie die Allerliebsten vor der Kamera versammelt, die kleine Familie, die zusammenhielt wie Pech und Schwefel. Doch das wäre zu Bunte-mäßig geworden, zu prätentiös, eitel. Das genaue Gegenteil von Ute Weiherer. Also entschied sie sich, vor wenigen Wochen von den FN zu ihrer höchstpersönlichen "Herzenssache" befragt, für ein Buch, das "Kinderbuch" von Bertolt Brecht. Wie schön wäre es, sagte Weiherer, würde auch der kleine Enkelsohn dereinst in diesem reich illustrierten Band blättern und lesen. Eine Begegnung, die mitzuerleben ihr nun nicht mehr vergönnt sein wird.

Man muss das alles erst einmal sacken lassen. Fraglich ist etwa, was aus der freien Theaterszene der Stadt wird, jetzt, da nach Brigitte Döring – sie starb Ende 2018 – auch Ute Weiherer nicht mehr ist. Die Ensembles der Fürther Bagaasch und der Dullnraamer ohne diesen Freigeist, dessen lebensgegerbtes Lachen Felsformationen sprengen konnte, ohne die Autorität und den Enthusiasmus dieser streitbaren Streiterin für Freiheit, Frauen, Gleichheit und Gerechtigkeit, ohne diese Zusammenhalterin, die lieber auf Klartext achtete statt auf Gendersternchen – wie soll das gehen?

Energie und Furor

Zur Ironie des Schicksals zählt das leise Schmunzeln eines unbekannten Strippenziehers – "Gott" heißt er nicht, denn der stand in Ute Weiherers Adressbuch nicht in Großbuchstaben – darüber, dass sie just am Tag der Arbeit ging, am 1. Mai. Ihr SPD-Parteibuch hat sie trotz mancher Versuchungen dann doch nicht zerrissen und zertrampelt; die Energie und den Furor aber hätte man ihr ohne Weiteres zugetraut.

Wo die Kabarettistin, Autorin und Regisseurin politisch stand, teilte sie Zuschauern und Zuhörern umstandslos mit. Gleichwohl bedeutete dies in keiner Dullnraamer-"Sidzung", dass sie dem alten Zausel Sozi den Bart gekrault hätte. Falls Polit-Kabarett heißt, nach allen Seiten auszuteilen, dann rotierte Ute Weiherer vorbildlich, mit bösen, boshaften, galligen Texten. Mittelmaß? Nicht mit ihr.

Am deutlichsten in Erinnerung werden, Dutzenden Theaterabenden zum Trotz, die Dullnraamer bleiben. Was sie 1994 nach dem Vorbild der Kölner "Stunksitzung" im Schlachthof ins Leben rief, sendete bald auch über Fürths Grenzen hinaus das Signal: Fasching kann tatsächlich anarchisch und unangepasst sein.

Stets drei Stunden lang bezog diese aufgedrehte Kanalaufräumer-Truppe – Schlachtruf: "Gulli Gulli!" – Stellung. Gegen Homophobie, Nazi-Hohlbirnen, Chauvinismus, Sexismus lieferten die Dullnraamer 27 "Sidzungen" lang zuverlässig. "Einen Liter Kaffee, eine Flasche Wein, dann schlafen gehen", so beschrieb die Chefin die heiße Phase beim Texten des neuen Programms. Die "fränkische Unterhaltungsstarre" wollte sie Jahr für Jahr lösen.

Anfänge im Burgtheater

Der größte Gegner aber hieß "Veitshöchheim" – oder, wie sie es nannte: "Sehr junge Frauen in sehr kurzen Röcken." Und sie wusste nur zu gut, wovon sie redete. In ihrer Geburtsstadt Nürnberg hatte die Fotohandelskauffrau Ute Klöpfel Uwe Weiherer kennen gelernt, der ihr Lebensmann wurde und Aktiver war in der Buchnesia. Gemeinsam waren sie das Präsidentenpaar der Nürnberger Faschingsgilde und 1987 mit von der Partie bei der ersten "Fastnacht in Franken" aus Lichtenfels. Wer die Weiherers später, nach dem Umzug nach Fürth, entfesselt auf der Dullnraamer-Bühne erlebte, muss diese Begebenheit für so surreal halten, als hätte Wolfgang Niedecken erst den "Musikantenstadl" moderiert und dann BAP gegründet.

Die Begegnung mit dem handelsüblichen Fasching empfand sie als traumatisierend, alles Folgende glich einer Fluchtbewegung. Zum echten Kabarett und immer schon zum Theater zog es die belesene Italien-Liebhaberin Ute Weiherer, deren Hausgötter Pasolini, Goethe und Shakespeare hießen. Als "Die Weiherers" machten sie sich Anfang der neunziger Jahre im Nürnberger Burgtheater einen Namen, eine kurze Zeit hielt sie es als "Frau Pfännlein" im "Morgentelegramm" von Bayern 3 aus mit tagesaktuellen Spitzfindigkeiten. Man suchte eine Comedienne und bekam eine Kabarettistin. Prompt kam eine Abmahnung des Rundfunkrates aus München wegen ungebührlicher Bemerkungen zum Schwangerschaftsabbruch-Paragrafen 218. Ute Weiherer war nie Frau Pfännlein. Wenn schon, dann Frau Vulkangesteinspfanne. Das konnte nicht gut gehen.

Stattdessen ging sie ihren eigenen Weg und erfüllte sich 2001 einen Lebenstraum. "Fürther Bagaasch" hießen Ensemble, Theater und Veranstaltungsort in der Kofferfabrik. Hier, teils auch im Lindenhain und in der Foerstermühle, entstanden Produktionen, die von Weiherers Begabung kündeten, in Klassiker-Stoffen umstandslos Verbindungslinien zur gesellschaftspolitisch maroden Gegenwart zu finden. "Faust I", "Amphytrion", "Sommernachtstraum" und immer wieder zeitgenössische Stoffe, Mankell, LaBute. Schauspieler wie Tatjana Grumbach, Bert-Peter Wendt, Karsten Kunde wurden hier groß und gut.

Letzte Regie: "Mein Kampf"

2004 Pasolinis Beziehungsendzeitdrama "Orgia", gemeinsam mit Brigitte Döring, der anderen widerständigen Frau der hiesigen Theaterszene. Der Lebenstraum endete 2008, da war bereits Stadttheater-Intendant Werner Müller auf die impulsive Theaterfrau aufmerksam geworden. Die letzte von fünf Koproduktionen seit 2005, Taboris Farce "Mein Kampf", hätte kurz vor Weihnachten 2020 Premiere gehabt. Verschoben ist sie pandemiebedingt auf den 20. Mai und wird nun zum Requiem für die Regisseurin.

Das Theatergen bleibt dieweil in der Familie; die einzige Tochter Rike, die 1984 zur Welt kam, war schon in jungen Mädchenjahren bei den Dullnraamern an Bord. Kunst oder Leben? Bei den Weiherers wurde es Lebens-Kunst, unentwegt raschelten Buch- und Theater-Manuskript-Seiten. Auch der Fernseher hatte zu tun, "Tatort"-Fan Ute Weiherer hatte eine Schwäche für TV-Werbung und deren Abstrusitäten, die sie kopfschüttelnd in Dullnraamer-Sketche einfließen ließ.

"Für immer bleed" hieß der Song, der am Ende jeder Sidzung, zuletzt am 22.2.20, erklang, eine umgetextete Fassung von Wolfgang Ambros’ "Für immer jung". Bei Ambros heißt es: "Die Zeit läuft weiter, sie bleibt nicht stehen, und uns’re Erde wird sich weiterdreh’n, wer kennt den Weg und wer weiß wohin, kennt die Antwort auf die Fragen?" Am 1. Mai ist Ute Weiherer in ihrer Altstadt-Wohnung gestorben. Sie wurde 64 Jahre alt.

Keine Kommentare