Kreuz-Erlass: Dieser Professor unterstützt Markus Söder
24.6.2018, 05:39 UhrNN: Herr Professor Nass, der Verdacht liegt ja nicht völlig außerhalb jeder Vorstellung, dass Ministerpräsident Markus Söder die Kreuz-Pflicht eingeführt hat, um Wähler mit Blick auf die Landtagswahl im Oktober zu binden. Kann das Kreuz der Christen politisch missbraucht werden?
Elmar Nass: Grundsätzlich kann es natürlich missbraucht werden. Die ursprünglich Bedeutung des Kreuzes ist eine religiöse, und wenn es für Zwecke genutzt wird, die dem widersprechen, oder wenn man nur den Anschein erweckt, etwas im Sinn des Kreuzes zu tun, dann ist das so ein Missbrauch. Dafür gibt es in der Geschichte genug Beispiele. Auch heute geschieht aber auch viel Glaubwürdiges sichtbar unter dem Zeichen des Kreuzes, das der Botschaft Jesu entspricht.
Bayerns Regierungschef Söder hat das Kreuz zunächst ausdrücklich nicht als religiöses Symbol gesehen, sondern als Zeichen einer kulturellen Tradition.
Nass: Das hat er später noch etwas ergänzt. Man kann aus meiner Sicht das Kreuz nicht für irgendwas nehmen, ohne den religiösen Bezug mitzudenken. Als reines Kultursymbol kann man das nicht sehen.
Beim bayerischen Kreuz-Erlass sehen Sie keinen Verstoß gegen Ihre Maxime?
Nass: Nein, aber ich habe Verständnis für die, die das so werten. Wenn man zu der Interpretation kommt, das ist allein ein Mittel, um im Wahlkampf Punkte zu machen, dann kann man von einer Instrumentalisierung des Kreuzes sprechen. Das würde ich auch nicht gutheißen. Es gibt sicher einen Bezug zum Wahlkampf — ich bin ja nicht naiv —, aber setze jetzt einfach mal voraus, dass es dem Ministerpräsidenten nicht allein darum geht. Ich glaube, er meint es wirklich ernst mit dem Kreuz. Es ist ihm eine Herzensangelegenheit.
In der Erklärung, die Sie mit unterschrieben haben, drücken Wissenschaftler ihren Dank über das sichtbare Kreuz im öffentlichen Raum aus. Von einer Pflicht, eines aufzuhängen, ist nicht die Rede. Stört Sie die Pflicht?
Nass: Wir haben den Text so formuliert, dass wir alle hundertprozentig dahinterstehen können. Hätte der Staat zum Beispiel nur eine Empfehlung ausgesprochen, ein Kreuz anzubringen, hätte das vielleicht in der Öffentlichkeit weniger Widerstand ausgelöst, aber auch wenig Resonanz. Die dadurch angestoßene Diskussion um das Kreuz begrüße ich.
Das Kreuz war nicht immer ein Symbol für die in Gott gründende Würde des Menschen. Es kann auch Triumphkreuz sein, ein Zeichen brutalster Verfolgung und Unterdrückung. Was ist mit dieser Perspektive?
Nass: Man muss den Missbrauch des Kreuzes für Ausgrenzung, Gewalt oder Zwang sicher schonungslos benennen. Der diskreditiert aber aus meiner Sicht in keiner Weise, wofür dieses Zeichen vom Ursprung her steht, nämlich für die Botschaft Jesu, wie sie etwa in Diakonie und Caritas sichtbar ist.
Sie haben in der ökumenischen Erklärung das Judentum und den humanistischen Islam als Quelle unserer Wertetradition mit genannt. Müssten in den bayerischen Landesbehörden dann nicht auch deren Symbole zu sehen sein?
Nass: Was soll das für ein Symbol sein? Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich nicht dafür plädieren, weil das Christentum gegenwärtig noch die Religion ist, die unsere Region prägt. Und die Gründerväter der Verfassung haben zwar nicht vom christlichen Gott gesprochen, hatten aber damals die christliche Idee als Anker unserer Grundwerte im Blick. Wie es in hundert Jahren aussieht, ist eine ganz andere Frage.
Wir erleben derzeit nicht zum ersten Mal eine Diskussion über das Kreuz im öffentlichen Raum. 1995 kippte das Bundesverfassungsgericht die Vorschrift, in bayerischen Schulräumen Kreuze aufzuhängen. Es hielt in seiner Entscheidung fest, dass der Staat keine weltanschauliche Position beziehen darf, dass er das Nebeneinander der Religionen fördern soll. Sehen Sie die Neutralität des Staates durch den bayerischen Kreuz-Erlass verletzt?
Nass: Verhaltensweisen des Staates, die den Eindruck erwecken, dass Religion und Staat eins werden sollen, sind ganz klar abzulehnen. Solche Ideen gab es auch im Christentum schon. Der Staat darf sich nicht einseitig mit einer Religion identifizieren. Das ist bei dem bayerischen Kreuzerlass nicht der Fall. Das Kreuz steht hier für ein Wertefundament der ganzen Gesellschaft. In diesem Sinne darf sich der Staat mit dem Kreuz gemein machen.
Das hat das Bundesverfassungsgericht beim Schulkreuz damals anders gesehen.
Nass: Ich bin kein Verfassungsrichter. Auch gegen den bayerischen Kreuz-Erlass gibt es ja schon Klagen, übrigens nicht von Muslimen oder anderen Religionsangehörigen, sondern von der Vertretern des Laizismus. Das war zu erwarten.
Beim Aufhängen von Kreuzen geht es um die Inhalte, die mit diesem christlichen Symbol verbunden sind. Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die derzeit heftige Diskussion um Abweisung von Flüchtlingen ein?
Nass: In der christlichen Ethik gibt es nicht die eine allgemeingültige Antwort. Man kann aus der verbindenden Botschaft von Jesus Christus unterschiedliche Schlüsse ableiten. Ich finde es unklug, hier bestimmte Regelungen einfach als unchristlich anzusehen. Dass alle eine Willkommenskultur auf Dauer pflegen, mag man sich wünschen, es ist aber nun mal nicht so. Das mit zu berücksichtigen, ist auch eine politische Verantwortung für den sozialen Frieden.
Geht es zu weit, den Unionsparteien das "C" für christlich in ihrem Parteinamen wegen ihrer Haltung in den Flüchtlingsfrage abzuerkennen?
Nass: So kann man als Christ argumentieren, muss das aber nicht tun. Wir sollen um eine christlich verantwortbare Flüchtlingspolitik ringen und streiten und unterschiedliche Meinungen nicht verteufeln. Da es unterschiedliche Meinungen gibt, möchte ich hier keinem das "C" aberkennen. Sonst behauptet man einen Alleinvertretungsanspruch. Das kann zur Spaltung führen.
Wir bekommen in Bayern vermutlich bald ein Landesamt für Asyl. Da muss dann auch ein Kreuz hängen. Da kann man auf die Idee kommen, an die Jesus-Worte zu erinnern: "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen" oder "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan". Das kann peinlich werden für alle, die das ernst nehmen. Geht das: Kreuz ohne Jesus?
"Es gibt auch Grenzen"
Nass: Nein, nein, nein. Es ist natürlich legitim zu sagen, wenn da ein christliches Kreuz hängt, passt auch ein Bibelwort daneben. Damit hätte man sich aber als Staat erst recht zu sehr das Christliche zu Eigen gemacht. Es ist unbestritten, dass es den christlichen Auftrag der Nächstenliebe auch gegenüber Fremden gibt. In der Ethik gibt es aber zwei konkurrierende Stränge.
Der eine sagt, wenn ich jemandem in Not nicht helfe, verstoße ich gegen Gebote meines Glaubens. Der andere sagt, wir müssen die Begrenztheit der Möglichkeiten und Schwächen von Menschen sehen. Nicht jeder kann alles. Es gibt auch Grenzen. Außerdem muss man die Folgen bedenken, die eine gewisse Haltung für die ganze Gesellschaft und den sozialen Frieden konkret hat, wenn man etwa möglichst viele Flüchtlinge aufnimmt. Das mag man als theologischen Winkelzug sehen oder als pragmatisches Argument. Ich halte diesen Gedanken aber für legitim.
Sie müssten große Sympathien für das Kirchenasyl haben. Da nehmen Gemeinden sehr überlegt in einem sehr konkreten Einzelfall Schutzbedürftige auf.
Nass: Das kann man mit sehr guten Gründen vertreten, aber auch darüber kann man diskutieren. Mit welchem Recht schaffen sich Teile der Kirche in einem Rechtsstaat solche Schutzräume?
Sie beschäftigen sich viel mit der Sprachfähigkeit der Kirche. In beiden großen christlichen Kirchen gibt es zum bayerischen Kreuzerlass entgegengesetzte Positionen. Ist das Sprachfähigkeit oder schon babylonische Verwirrung?
Nass: Das war früher vielleicht noch so, dass man vor allem in der katholischen Kirche in solchen Fragen mit einer Stimme gesprochen hat. Heute gibt es eine größere Vielfalt. Auch das, was der Papst sagt, ist in der katholischen Kirche nicht mehr automatisch für alle gesetzt.
Da wird es für ein gläubiges Kirchenmitglied mit der Orientierung schwierig.
Nass: Ja, das stimmt. Etwa in Fragen einer lebendigen Jesus-Beziehung oder beim Wert kranken, behinderten oder sterbenden Lebens gibt es wohl eindeutige christliche Positionen. Das ist in dieser Frage hier anders. Das positive an diesem Stimmengewirr ist, dass wir ernsthaft darüber diskutieren, was uns das Kreuz wert ist, dass wir Christen ringen und streiten über etwas, was in der Mitte unseres Glaubens steht. Das finde ich erst einmal gut.
Aber es gibt bei manchen Gläubigen schon den Wunsch nach einer klaren Position ihrer Kirche. Der Kreuz-Erlass ist ein Thema, bei dem eine einfache dogmatische Entscheidung eher schädlich wäre. Als Christ kann man dazu eine Pro- und eine Contra-Position haben. Das ist für mich als Katholiken auch legitime Freiheit eines Christenmenschen.
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