Lehrer spricht Klartext: Das läuft aktuell an Schulen falsch

Franziska Holzschuh

Leitung Lokalredaktion Nürnberg und Stadtanzeiger

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21.11.2020, 05:44 Uhr
Präsenz- oder Distanzunterricht: Diese Frage ist hoch umstritten.

© Hans-Joachim Winckler, NN Präsenz- oder Distanzunterricht: Diese Frage ist hoch umstritten.

Herr Kohl, Sie sind richtig sauer auf das bayerische Kultusministerium. Warum?

Die vom Robert Koch-Institut empfohlenen Maßnahmen regeln überall das gesellschaftliche Leben. Der einzige Bereich, in dem das keine Geltung hat, ist die Schule, da wird nicht auf den Abstand geachtet. Es fängt schon morgens mit dem Transport in die Schulen an. Zwar gibt es zusätzliche Busse, aber trotzdem ist es viel zu eng. Und in der Schule sieht es auch nicht besser aus. In den Klassenzimmern sitzen 20 bis 30 Kinder ohne Abstand. Das wäre ja in Ordnung, wenn wir einen Inzidenzwert unter 50 hätten. Nürnberg liegt aber deutlich über 200.

Lehrer spricht Klartext: Das läuft aktuell an Schulen falsch

© Florian Kohl

Aber es gibt doch eine Maskenpflicht an Schulen?

Folgte der Freistaat dem Arbeitsschutzgesetz müsste er als erstes organisatorische oder technische Maßnahmen treffen: Das wäre die Teilung von Klassen oder das Einbauen von Lüftern. Erst wenn das ausgeschöpft ist, kann er eine persönliche Maßnahme wie eben das Tragen von Masken verordnen. Der Freistaat macht es sich aber ganz einfach: Er verfügt eine Maskenpflicht und setzt den Regelbetrieb durch. Er verletzt dadurch seine Fürsorgepflicht massiv. Viele Lehrkräfte sind über 55 Jahre alt, die arbeiten nur noch mit selbstgekauften FFP2-Masken. Die Leute haben Angst, sich anzustecken.

Allerdings wird immer wieder betont, dass Schulen keine Treiber der Pandemie sind.

Die positiven Fälle nehmen zu, die Intensivstationen werden voller, es sterben Menschen. Da kann man in Schulen nicht so weitermachen wie bisher. Was mich maßlos ärgert: Die Schulen hatten über die Sommerferien andere, gute Konzepte entworfen. Die sind auf einmal alle hinfällig. Es sind immer mehr Lehrer und Klassen in Quarantäne. Das ist ein schleichender Lockdown der Schulen.


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Welchen Plan hatten die Schulen über die Ferien erarbeitet?

Anfang der Sommerferien erging ein entsprechender Auftrag an alle Schulen, einen 4-stufigen Plan, angelehnt an die Inzidenz-Werte, zu erarbeiten: 1. Regelbetrieb. 2. Maske im Unterricht. 3. Wechselunterricht. 4. Distanzunterricht. Darauf haben sich alle vorbereitet. Nach den Sommerferien gab es dann einen 3-stufigen-Plan - der Fernunterricht fiel komplett raus. Und nun ist alles ausgehebelt. Jetzt heißt es: Auf jeden Fall Präsenzunterricht. Dabei war es doch klar, dass die Zahlen im Herbst steigen. Wir hätten genug Zeit gehabt, uns gut auf tragfähige Modelle vorzubereiten - und die dann auch durchzusetzen.


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Was würden Sie aktuell präferieren?

Dass wir uns wie in allen Bereichen an die Vorschläge des RKI halten - es sind die Experten in der Pandemie. Wir könnten in den Wechselunterricht gehen. Das Kultusministerium müsste aber den Rahmen stecken: Was ist mit dem Abitur? Was ist mit dem Übergang auf die weiterführende Schule? Wie geht man mit den Lehrkräften um? Was kann man im Lehrplan umstellen? Im Moment passiert da nichts. Das Kultusministerium will mit dem Kopf durch die Wand.

Dass der Unterricht weitergeführt wird, hat ja auch eine soziale Komponente: Beobachtungen zeigen, dass besonders Kinder aus bildungsfernen Schichten vom Präsenzunterricht stark profitieren.

Ich weiß, welche meiner Schüler zu Hause die notwendige Unterstützung bekommen und welche nicht. Da hätte ich gerne maximale Flexibilität. In Brennpunktschulen ist das natürlich schwieriger, aber da kann Corona nichts für. Bildungsungerechtigkeit war vorher schon riesiges Thema. Corona legt aber das Brennglas drauf. Der Freistaat hätte auch anders planen können, zum Beispiel Container aufstellen. Damit hätte man Klassen teilen können: Die eine Hälfte wird von einer Assistenz betreut, während die andere unterrichtet wird und dann gibt es einen Wechsel. Aber dazu hätte man sich eben Gedanken machen müssen.

Für Eltern ist es ein wahnsinniger Kraftakt, Kinder zu Hause zu betreuen zu müssen - und den Unterricht zu beaufsichtigen.

Man spielt klar mit den Ängsten der Eltern: Eltern brauchen Unterstützung, denn arbeiten und gleichzeitig Kind zu betreuen, funktioniert wirklich nicht gut. Der Staat schießt Milliarden in ein Unternehmen wie die Lufthansa - stattdessen müsste er Eltern finanziell entlasten. Für die Kinder ist es auch eine große Belastung: Mein Sohn kann gerade nicht konzentriert in der Schule lernen. Ihn beschäftigen viele Dinge, etwa, dass er seine Oma nicht sieht, die zur Risikogruppe zählt. Da gibt Schule gerade nicht genug Raum, das zu verarbeiten.

Wie gehen Sie selber mit der Situation um?

Wir sind ziemlich frustriert. Meine Frau, auch eine Lehrerin, ist in Quarantäne, da es in ihrer Klasse einen positiven Fall gibt. Nachdem die Stadt die Nachverfolgung der Fälle nicht mehr schafft, waren wir auf uns alleine gestellt. Wir haben einen Schnelltest organisiert. Ich gehe in die Schule, aber mit einem schlechten Gefühl. Ebenso die Kinder. Wir haben als Familie knapp 250 Sozialkontakte am Tag zusammen. Uns geht es damit nicht gut.

Florian Kohl, 42 Jahre, ist Lehrer an der Nürnberger Bertha-von-Suttner-Schule, einem Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung, ist Personalrat und engagiert sich in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Er ist Vater dreier Kinder, die Kindergarten, Grundschule und das Gymnasium besuchen.

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