Bewährungsstrafe

Nach Urteil gegen "Drachenlord" Rainer W.: Staatsanwaltschaft prüft Revision

Ulrike Löw

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dpa

24.3.2022, 18:28 Uhr
Entscheidung gefallen: Der fränkische YouTuber Drachenlord muss doch nicht ins Gefängnis.

© Stringer/dpa Entscheidung gefallen: Der fränkische YouTuber Drachenlord muss doch nicht ins Gefängnis.

Auch nach dem Urteil gegen den Youtuber "Drachenlord" ist eine Ende des Konflikts um ihn nicht in Sicht. Die Staatsanwaltschaft prüfe nun, ob sie Revision einlege, sagte eine Anklage-Sprecherin am Donnerstag. Als nächste Instanz wäre das Bayerische Oberste Landesgericht in München zuständig.

Das Landgericht in Nürnberg hatte den 32-Jährigen am späten Mittwochabend zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr wegen gefährlicher Körperverletzung und anderer Straftaten verurteilt. Außerdem muss er eine Geldauflage von 2500 Euro zahlen.

Die Staatsanwältin hatte in der Berufungsverhandlung zwei Jahre und drei Monate Haft für den Videoblogger gefordert - auch weil er schon vorbestraft gewesen sei und während der Bewährungszeit weitere Straftaten begangen habe, sagte sie.

"Pausenhof-Martyrium": Gerichtsurteil fiel am Mittwoch

Rainer W. hat vier Einträge in seinem Strafregister, er stand bereits unter laufender Bewährung und hat in dieser Bewährungszeit versagt.

"Die Hater haben ihm nachgestellt, sich über seine Videos mokiert und hielten es für einen Akt der Zivilcourage, ihn in die Schranken zu weisen. Doch tatsächlich ist es nicht ihre Aufgabe, einen anderen zu maßregeln. Das Gewaltmonopol liegt immer noch beim Staat. Die Hater haben den Angeklagten provoziert", so der Vorsitzende Richter Axel Dunavs am Mittwoch in der Urteilsbegründung des Landgerichts Nürnberg-Fürth.

Er spricht von einem "Pausenhof-Martyrium", das sich fortgesetzt habe. Rainer W. habe vielleicht sinnfreie Videos gepostet, doch was er damit losgetreten hat, habe er "nicht umrissen". "Sicher haben Sie die Gewinne durch das YouTube-Geschäft gerne mitgenommen, aber dies führte nun eben auch dazu, dass ein anderer Arbeitgeber Sie nicht mehr nimmt", begründet Dunavs.

"Die Hater haben gefeixt, sie haben gewusst, dass der Angeklagte unter Bewährung steht, sie haben ihn mit voller Absicht provoziert, um Situationen zu schaffen, in denen er ausrastet." Die Beleidigungen seien schwere Angriffe auf W.s Ehre gewesen.

Dunavs: "Einige der körperlichen Verletzungen, die der Angeklagte anderen zugefügt hat, sind juristisch eigentlich nichts wert. Das soll jetzt auch kein Ansporn sein, dass Sie das nächste Mal einem die Kauleiste raushauen!"

In einigen Fällen der vorgeworfenen Körperverletzungen sieht die Strafkammer W.s Recht auf Notwehr, doch nicht in allen: Denn nicht immer hatten die später geschädigten Haider das Grundstück tatsächlich betreten, als sie Prügel von Rainer W. einsteckten mussten. Diese Schläge außerhalb des Grundstücks seien völlig überzogen gewesen. Dass Rainer W. eine kurze Zündschnur hat, ist in der Haider-Gemeinschaft bekannt, doch dass jene, die zur Schanze pilgerten, in Kauf nahmen, im so genannten Drachengame mit Backsteinen beworfen zu werden, nennt die Strafkammer abwegig.

Beleidigungen der Polizei

"Wenn einer wie Sie im Bereich einer kleinen Polizeiinspektion lebt, und so häufig die Polizei ruft, sorgt dies für Unmut. Das kann ich nachvollziehen. Sie schaffen Arbeit, und vielleicht wartet man an anderer Stelle sogar länger oder gar vergeblich auf die Polizei. Ihr persönlicher Dienstleister sind die Polizisten sicher nicht und Beleidigungen sind alles andere als angebracht", führt Dunavs aus.

Provokationen der Anti-Fans

Vorher hatte W.s Rechtsanwalt den Sachverhalt "recht banal" genannt - der Schwerpunkt der Verurteilung solle die Beleidigung und Verleumdung der Beamten der Polizeiinspektion Neustadt an der Aisch sein. Mit Blick auf die Körperverletzungen gegen die Hater betonte der Strafverteidiger die vorausgegangenen Provokationen der Anti-Fans, sie hatten Rainer W. malträtiert und schikaniert.

So seien zwei "schlaue und oberintellektuelle Medizinstudenten" nach Altschauerberg gekommen, nur um Rainer W. zu ärgern, erbärmlich sei dies. Er bedauere, dass das Amtsgericht Neustadt an der Aisch diesen Herren nur eine Geldstrafe statt einer Freiheitsstrafe aufbrummte. "Dann hätten diese supergescheiten Medizinstudenten ihre Approbation vergessen können."

Auch an den Hater, der am Vormittag als Zeuge in der Hauptverhandlung ausgesagt hatte, erinnerte der Anwalt. Auch dieser junge Mann habe W. dazu aufgefordert, ihn doch endlich zu schlagen - und mit seinem Verhalten vor Gericht, er trat provokant auf und war angetrunken, habe er gezeigt, was er für ein unsozialer Mensch sei. Am Nachmittag war jener Zeuge brüllend und betrunken vor dem Gerichtsgebäude mit Polizisten in Streit geraten, er trat einem Beamten gegen das Schienbein und wurde festgenommen.

Die Angriffe dieser Hater seien nichts anderes als provozierte Körperverletzungen, die Geschädigten fühlten sich als Mitspieler im "Drachengame", sie hatten Rainer W. dazu angestachelt, sie zu schlagen - und dies sei nichts anders als ein Foul bei einem Fußballspiel. "Und heute jammern sie über ihr kleines Aua!"

Zum Strafmaß äußerte sich der Anwalt nicht, doch beantragte, Rainer W. nur für die Beleidigungen zu verurteilen und vom Vorwurf der Körperverletzungen freizusprechen. Die Hater hätten sich doch selbst aufs Spielfeld begeben und quasi schon im Vorfeld eingewilligt, Schläge einzustecken.

All die Schläge seien kein "kleines Aua" setzte die Staatsanwältin entgegen, einige der Geschädigten haben Narben zurückbehalten. Der schwergewichtige Rainer W. habe mit voller Wucht seine Faust auch in Gesichter gerammt, dies sei gefährlich. Und fest gelegte Spielregeln, etwa dass Rainer W. mit der Taschenlampe andere gegen den Schädel schlagen dürfe, gebe es in diesem so genannten Drachengame nicht, auch wenn es sicher nicht die beste Aktion der Anti-Fans gewesen sei, überhaupt nach Altschauerberg zu pilgern.

Doch den Anlass liefere erst Rainer W.; würde er seine grenzwertigen Videos nicht veröffentlichen, böte er auch keine Plattform für die entsprechenden Angriffe der Hater. "W. will doch, dass die Hater kommen! Ohne sie verdient er kein Geld." Jede Provokation steigere seine Reichweite im Internet, und all dies gehöre doch auch zu seinem Geschäft, so die Anklägerin. Die Handy-Videos der Hater zeigten aus ihrer Sicht nicht nur, dass deren Beleidigungen Rainer W. erst in Rage brachten, die Filmchen belegten auch, dass Rainer W. minutenlange Hasstiraden vom Stapel ließ, noch lange nachdem er provoziert wurde.

W. stehe unter laufender Bewährung, er habe genau gewusst, dass es nicht gerechtfertigt sei, auf seine Anti-Fans einzudreschen. Es gab Situationen, in denen er sich in sein Haus zurückzog und dann wieder heraus stürmte, um auf die ungebetenen Besucher loszugehen. Es könne ja wohl nicht sein, dass die Hater damit rechnen mussten, nach einem Besuch in Altschauerberg "gleich einen Arm weniger zu haben".

Sie nennt Rainer W. einen Bewährungsversager, er sei einschlägig vorbestraft. Und auch wenn nach dem Gutachten des Psychiaters von einem vermindert schuldfähigen Täter auszugehen sei, hält sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten für angemessen.

Eine Strafaussetzung zur Bewährung, so betonte sie in ihrem Plädoyer, sei nicht drin. Eine positive Sozialprognose könne man Rainer W. beim besten Willen nicht attestieren. "Wenn er und die Hater aufeinander treffen, dann kracht es. Und dies wird auch in Zukunft so sein."

Der Bewährungshelfer hatte geschildert, dass er Rainer W. in den letzten Monaten als kooperativ erlebt habe. W. hätte die früher gegen ihn verhängten Sozialstunden gerne abgeleistet, doch angesichts der Hater und des zu erwartenden Medienansturms fand sich keine Einrichtung, die sich bereit erklärte, W. auch zu beschäftigen. Auch an dem angeordneten Anti-Aggressions-Training nahm W. nicht teil.

Rainer W. könne von seinen Aktivitäten als Videoblogger leben, eine andere berufliche Perspektive könne und wolle er sich nicht vorstellen. W. falle in eine Opferrolle, die Verteidigung seines Grundstückes halte er für sein Recht, eine Idee, wie er sich beruflich verändern könne, habe er nicht. Die einzig denkbare Lösung für ihn war lange die Unterstützung der Polizei gegen die Hater.

Mittlerweile hat Rainer W. sein Anwesen, die "Drachenschanze", verkauft. Die Gemeinde hat das Haus abgerissen. Sein Wohnort ist unbekannt, die Hater haben ihren Pilgerort verloren. Er setzt zwar noch Videos ab, doch ist - nicht ganz unauffällig - mit seinem babyblauen Ford unterwegs. Die grundsätzliche Situation, so der Bewährungshelfer, habe sich nicht geändert. Werde Rainer W. in seinem Versteck aufgestöbert und wieder beleidigt, sei absehbar, dass er erneut gewalttätig werde. Seine Arbeit als Bewährungshelfer beinhalte Chancen und Grenzen, doch der Fall von Rainer W., so der Bewährungshelfer, zeige ihm vor allem die Grenzen der sozialpädagogischen Arbeit.

"Ich habe mir all dies nicht ausgesucht", sagt Rainer W. selbst. Er schildert seine berufliche Vita, beschreibt, dass er schon als Schüler gemobbt wurde. Es sei immer die Hölle gewesen. Er bedauere, dass er einigen Hatern Schmerzen zugefügt habe und Narben hinterließ. "Doch ich wurde von hunderttausenden angegriffen".

Dieser Artikel wurde am Donnerstag gegen 18.20 Uhr aktualisiert.