1. Dezember 1966: Kurze Strecke für viel Geld

1.12.2016, 07:23 Uhr
1. Dezember 1966: Kurze Strecke für viel Geld

© Ulrich

Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter, Bürgermeister Franz Haas und Baureferent Heinz Schmeißner durchschnitten nach herkömmlicher Zeremonie das rot-weiße Band quer über die neue Sigmundstraße und eröffneten damit eine Verbindung, die samt der Brücken für den Westast der Schnellstraße und drei Bahnlinien über 18,4 Millionen DM gekostet hat. Mehr als ein Drittel des Geldes hat der Bund beigesteuert.

Die 150 Meter nach Südosten verlegte Sigmundstraße führt von der Fürther Straße mitten in das Industriegebiet, das im Westen entsteht. Über die breite Asphaltbahn können außerdem die Bauern des Knoblauchslandes bequemer den Großmarkt an der Leyher Straße erreichen.

1. Dezember 1966: Kurze Strecke für viel Geld

© Ulrich

Die Prominenz von Stadt und Bundesbahn fror im kalten Morgenwind und hörte den Baureferenten die Schwierigkeiten schildern, unter denen das große Werk – bei laufendem Bahnbetrieb – gediehen ist. Außer der Erschließung des Industriegebietes und dem Anschluß der Gemüsefelder im Norden der Stadt könne die Trasse helfen, das innerstädtische Verkehrsnetz zu entlasten, erklärte Heinz Schmeißner, bevor er versprach: "Wo wir im Verkehrsnetz Krampfadern haben, müssen wir neue Arterien bauen!"

Wie teuer diese Therapie den Nürnbergern zu stehen kommt, wußte anschließend das Stadtoberhaupt. Nachdem er insbesondere den Steuerzahlern gedankt hatte, mit deren Märkern der Durchstich gebaut worden ist, schätzte er die Kosten für die Verkehrssanierung auf insgesamt 1,8 Milliarden DM, die U-Bahn nicht gerechnet.

Den Zweiflern, die sich überhaupt nicht vorstellen können, daß im Nürnberger Boden noch Platz für eine solche Riesensumme vorhanden ist, bietet sich die neue Sigmundstraße geradezu als Paradefall an – besonders aber der 350 Meter lange Abschnitt, der unter der Schnellstraße und den drei Bahnlinien hindurchführt. Die Straße – je zwei Fahrbahnen von sieben Metern und zwei Gehsteigen – verläuft in einem Betontrog, der 3,80 Meter tief im Grundwasser liegt. Damit bei heftigen Regengüssen aus dem Trog kein Bassin wird, verlegten die Ingenieure eine Rohrleitung, die zu einem Niederschlags-Pumpwerk führt. Dort wird mit Hilfe von drei leistungsfähigen Pumpen das Wasser in den höher liegenden Abwasserkanal befördert.

Den Trog überquert zunächst einmal die Schnellstraße. Die Breite der Brücke ergibt sich annähernd aus zwei 8,50 Meter breiten Fahrbahnen, zwei Standspuren von 2,50 Metern, zwei Randstreifen von eineinhalb Metern und einem vier Meter breiten Mittelstreifen. Die Spannweite beträgt fast 22 Meter. Zum Straßenbau gehören außerdem die Auffahrten zur Hunding- und Mathiasstraße, die im nächsten Frühjahr vollendet werden. Soweit sie noch im Grundwasser liegen, werden sie ebenfalls in Trogbauweise ausgeführt. Für den nur im Einschnitt liegenden Teil wurden Stützmauern zu beiden Seiten vorgesehen. Die Kosten für den „städtischen Teil“ betragen fast 7,4 Millionen DM.

Aber nicht nur die Männer vom Bauhof haben an dem imponierenden Bauwerk mitgewirkt, auch die Bundesbahn war daran beteiligt, weil über die Sigmundstraße Züge vor allem Richtung Fürth und Bamberg, Würzburg und Frankfurt rattern.

Diese wichtige Schienenstrecke konnte nicht kurzerhand gesperrt werden. Die Bundesbahnbrücke "BBR 17", wie sie im amtlichen Sprachgebrauch heißt, mußte abschnittsweise errichtet werden, während der Bahnbetrieb ohne Einschränkungen aufrechterhalten blieb. Über das 38,50 Meter breite Bauwerk, das den bisher vorhandenen (und meist geschlossenen) schienengleichen Bahnübergang an der alten Sigmundstraße und jetzigen Tassilostraße ersetzt, laufen die beiden Hauptgleise der Linie Nürnberg-Bamberg, zwei Überholungsgleise und ein Anschlußgleis zum Großversandhaus Quelle. 5,8 Mill. DM mußten für den Neubau ausgegeben werden.

Insgesamt, so haben die Männer vom Bauhof ausgerechnet, wurden 91.000 Kubikmeter Erde bewegt. Es mußten 21.725 Kubikmeter Beton, darunter 16.200 Kubikmeter Stahlbeton verbaut werden. Der verwendete Betonstahl wog 650 Tonnen, der Spannstahl 165 Tonnen. Trotzdem fehlte gestern bei der Übergabe noch eine Kleinigkeit. Es ist mittlerweile so winterlich geworden, daß zwischen Leyher und Wittekindstraße erst im Frühling 1967 die Verschleißdecke aufgebracht werden kann. Am östlichen Gehweg fehlt zum Teil noch die Befestigung, weil noch zahlreiche Kabel verlegt werden müssen.

Trotzdem: das Werk lobt seinen Meister, wenn es auch – so meinte Oberbürgermeister Dr. Urschlechter – nur ein Mosaiksteinchen in der Verkehrssanierung ist, ein Mosaiksteinchen freilich, das zu schöneren Hoffnungen berechtigt. Schließlich ist damit wieder eine Schnellstraßen-Brücke fertiggeworden, so daß Baureferent Heinz Schmeißner sogar eine Vorhersage wagte, obwohl er sonst mit Prophezeiungen sehr vorsichtig umgeht: Mitte Juli 1967 kann voraussichtlich die Schnellstraße von der Stadtgrenze bis zur Jansenbrücke befahren werden.

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