11. Juli 1968: Blome durfte sitzen
11.7.2018, 07:00 UhrDoch der Staatsanwalt hat seinen Antrag bereits gestellt: fünf Monate Ge-fängnis wegen Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Beleidigung der katholischen, evangelischen und jüdischen Glaubensgemeinschaften und 150 DM Geldstrafe, ersatzweise 15 Tage Gefängnis, wegen Erregung öffenftlichen Ärgernisses.
Amtsgerichtsrat Dr. Meier hatte es diesmal erst gar nicht versucht, Blome zum Aufstehen zu bewegen. Im Sitzen ging es dann auch recht gut. Nur einmal schien eine Ordnungsstrafe wieder in der Luft zu liegen, als der Richter den Angeklagten davon verständigte, daß er Medizinaldirektor Dr. Bittner als Sachverständigen gebeten habe, weil sich „aufgrund der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten und seines Verhaltens in den beiden vorausgegange-nen Sitzungen Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit ergeben hätten“.
Frische Kräfte
Da wurde Blome ungemütlich und kopierte einen Gag des Berliner Kommu-narden Teufel. Er wollte eine Begutachtung seiner Zurechnungsfähigkeit nur dann anerkennen, wenn auch der Richter auf seine Zurechnungsfähigkeit gete-stet werde.
Der soeben mit frischen Kräften aus dem Urlaub zurückgekehrte Sachverständige brauchte indessen gar keine ernsthafte Beobachtung durchzuführen. Ihm war sofort klar, daß bei Blome weder eine Geisteskrankheit, noch gar eine Geistesschwäche vorliegt. Nachdem sich Blome in durchaus vernünftiger Rede und Gegenrede mit dem Richter etwa eine Stunde lang unterhalten hatte, meinte der Gutachter sogar: „Ich hätte durchaus Interesse, einmal länger mit ihm zu sprechen!“ Worauf Blome den heiteren Vorschlag machte: „Setzen uns doch alle einmal zusammen!"“
„Heilige Tour“
Recht einfühlsam zeigte sich der Gutachter auch mit seiner Bemerkung, daß Blome wohl ein Mensch eigener Prägung sei, der aus der allgemeinen Linie herausfalle. Es sei, so meinte er, aber zu begrüßen, wenn es Menschen gebe, die Impulse für Veränderungen setzen, nachdem es offenkundig geworden sei, daß auf die alte „heilige Tour“ nichts zu erreichen ist, sondern nur durch grobe Stöße.
Der Staatsanwalt freilich hatte die an zwei Kirchen angeschlagenen „Thesen“, in denen Blome nur eine „progressive Obszönität“ im Sinne des Nürnberger Kulturreferenten, Dr. Glaser, erblicken wollte, als abscheulich bezeichnet und es als unzüchtig empfunden, daß sich Blome im letzten Programm seiner „Hintertreppe“ in einer literarisch untermalten Entkleidungsszene bis auf die Strümpfe ausgezogen hatte. Assistiert wurde der Ankläger in dieser Auffassung von einem Beamten der Sittenpolizei, der in Blomes Nacktheit den „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ erblickt und Anzeige erstattet hatte.
Dankend abgelehnt
Blome, der seinen totalen Nacktauftritt (das Programm hatte den Titel: „Bis zum letzten Blutstropfen“) als eine männliche Emanzipationsforderung gegen den weiblichen Striptease aufgefaßt wissen wollte, bestritt, damit ein geschlechtliches Ärgernis erregt zu haben. „Bei meiner Figur“, so witzelte er, „wäre es gar nicht möglich, das Publikum aufzuregen!“ Als Amtsgerichtsrat Dr. Meier mit den Worten Zweifel äußerte: „Das kann ich nicht beurteilen“, erbot sich Blome, den „Vorgang“ im Gerichtssaal zu wiederholen, worauf aber nie-mand Wert legte.
Evolution durch Revolution, diese Parole schließlich war die Quintessenz von Blomes wohlgesetzten Worten.
Kunstexperte abgelehnt „Sohn vom alten Wolf" sorgte für einen Zwischenfall — Der große Anhang fehlte
Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Wolfgang Vetter, dessen Antrag auf Beiziehung eines Kunstsachverständigen – „weil die Justiz immer in den Geruch des Lächerlichen komme, wenn sie sich mit künstlerischen Ausdrucksmitteln befasse“ – abgelehnt wurde, forderte Freispruch. Die Würfel werden am Freitag fallen.
Vorübergehend festgenommen wurde gestern nur ein älterer Herr, der unbedingt in den vollbesetzten Zuhörerraum eindringen wollte, weil er „doch an dem Prozeß beteiligt sei“. Auf die Frage des Richters, wer er sei, hätte er zur Antwort gegeben: „Ich heiße Wolf, ich bin der Sohn vom alten Wolf!“ Die energische Aufforderung des Richters, sich zu entfernen, war von ihm mit der Bemerkung quittiert worden: „Sie sind ein sehr autoritärer Herr!“ Nach Feststellung seiner Personalien konnte auch dieser „Revoluzzer“ – er hatte etwas von fehlender Kinderstube gesagt – seines Weges ziehen. Im übrigen fehlte diesmal jeglicher Anhang Blomes, auf den ein großes Polizeiaufgebot gewartet hatte.
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