12. Juli 1968: Mit Erlaubnis: "Ran an die Wand"
12.7.2018, 07:00 UhrDiese überraschende Wendung nahm gestern der Konflikt zwischen einer Gruppe von Lernenden an der Akademie, die provozieren wollte, weil sie etwas auf dem Herzen hatte und Lehrenden, die sich durch das nichtgenehmigte „painting“ persönlich provoziert fühlten.
Die Studierenden hatten am Donnerstag früh fest mit dem Erscheinen der amtlich bestellten Tüncher gerechnet. Sie waren entschlossen, Widerstand bis zum letzten zu leisten, vor ihrem Werk auf dem Fußboden der Mensa in einen Liegestreik zu treten und sich gegebenenfalls von der Polizei ins Freie tragen zu lassen.
Lange Diskussion
Es kam jedoch ganz anders, Akademiepräsident Professor Otto Michael Schmitt, dessen Ultimatum am Mittwoch abgelaufen war, diskutierte zusammen mit anderen Professoren über drei Stunden mit den erregten Kunstschülern. Er machte ihnen klar, daß er als Hausherr von seinen Rechten und Pflichten Gebrauch gemacht und dies durch das Ultimatum unterstrichen habe. Er habe sich jedoch von ernsthaften Absichten überzeugt, die hinter der Wandbemalung steckten.
Als Experimentier-Fläche
Deshalb gestattete er, daß die Wand als Experimentierfläche benützt werden darf. Die Dozenten erwarten jedoch auch künftig Aktivität am einmal gewählten Objekt, die sich im Ergänzen und Erweitern, Erneuern und Umwandeln niederschlagen müßte.
Nachdem man sich über die Wand einig war, ging es in der Diskussion um die dahinter aufgestapelten Wünsche. Statt Lehren und Lernen streben die Studierenden auf künstlerischem Gebiet ein mehr partnerschaftliches Verhältnis mit ihren Professoren an. Sie möchten ein Mitspracherecht im Kollegium erreichen und zeitgemäßer unterrichtet werden, wozu vor allem der künstlerische Umgang mit Metallen und Kunststoffen zählt.
Durchaus positiv wurde der Vorschlag aufgenommen, Studenten und Dozenten könnten gemeinsam eine neue, zeitgemäße Akademieverfassung ausarbeiten. Die Lehrer haben auch nichts dagegen einzuwenden, wenn die Schüler selbständig aus ihren Werken eine Ausstellung gestalten und dadurch einen Gegenpol zu der Ausstellung in der Pädagogischen Hochschule schaffen. Dort werden Arbeiten gezeigt, die Professoren ausgewählt haben.
Die progressiven Studierenden werten das Ergebnis der Diskussion als Teilerfolg, mit dem sie sich jedoch nicht zufriedengeben wollen. In der Aussprache habe sich einmal gezeigt, wie weit die einzelnen Professoren neuen Ideen zugänglich seien, zum andern sei die Opposition in den eigenen Reihen deutlich geworden.
Fortsetzung montags
Am Montag soll die Diskussion vor der Experimentierwand weitergehen. In einem Hearing werden namhafte Künstler ihre Meinung sagen, darunter die Professoren Grieshaber, Reutlingen, Beuys, Düsseldorf, der Kritiker Jürgen Claus, München, und der Geschäftsführer des Deutschen Künstlerbundes, de la Motte.
Soviel Prominenz wollen Nürnbergs Jungkünstler selbstverständlich etwas Besonderes bieten. Deshalb hieß die Parole gestern nachmittag: „Mit Farben und Pinsel: ran an die Wand.“
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen