18. Dezember 1966: Die Qual der Wahl
18.12.2016, 07:00 UhrDie Frau griff leicht verlegen zu. Sie konnte sich eine schlanke Tanne aus Schweden sichern, er durfte sich neuen Fragen und Klagen seines pp. Publikums widmen.
Gelassen hören sich die Händler, von denen die meisten auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken können, die Wünsche der Kundschaft an. Vor allem das Feilschen um den Preis gehört zu ihrem Geschäft. Ab und zu sind aber auch sie aufgebracht. Da will eine ältere Frau partout nur zwei Mark für eine Miniatur-Steckerlas-Fichte aus dem Frankenwald bezahlen. „Etz woll‘ns tatsächlich bei Zwamarkfuffzig a nu handeln. Aber dou ist fei goar nix drinn“, empörte sich der Kaufmann in Sachen Weihnachtsbäume.
Wesentlich geschickter stellt sich eine andere Frau an, die sich eine gutgewachsene Vier-Mark-Fichte aus dem Berg von Bäumen geangelt hatte. „Da haben‘s 2,50 Mark dafür. Mehr will und kann ich auch gar nicht bezahlen, weil ich einfach nicht mehr Geld habe“, überrumpelte sie den Händler. Mit dem Bäumchen unterm Arm macht sie sich eilig davon. Zurück bleibt der verdutzte Verkäufer. Als er die Silberlinge – ein Zweimark- und ein Fünfzig-Pfennig-Stück – in die weite Manteltasche versenkt hat, schmunzelt er jedoch schon wieder.
Lange wählt ein junges Paar, bis es die richtige Tanne gefunden hat. Die Bäume sind ihnen zu lang, zu kurz oder nicht voll genug. Nach einer halben Stunde entscheiden sich die beiden für eine schlanke 2,50 m hohe Tanne und – werden dafür 20 Mark los. Der Händler hat auch ihnen sein bestes Stück, eine herrliche, bläulich schimmernde Schwedentanne, angeboten. Mit beredten Worten versichert er, daß sie 50 Mark wert ist, und die Nachbarn bestimmt vor Neid erblassen werden, „Aber die ist viel zu groß für uns“, lehnt die Dame ab. Eilfertig langt der Händler nach einer Säge und sagt: „Macht gar nichts, da schneid‘n wir die untere Reihe einfach ab.“ – „... und damit 20 Mark!“ kontert die adrette Frau schlagfertig.
Erst an der dritten Verkaufsstelle findet die junge Frau den Christbaum der ihr vorgeschwebt hatte. Hier wechselt ein Zwanzig-Mark-Schein den Besitzer. „Geht der dabei auch nicht kaputt“, lautet ihre bange Frage an den Händler, der die Tanne zusammenschnürt.
Das Erstaunlichste am Christbaummarkt 1966: obwohl die Tannen, die überwiegend aus Schweden und Dänemark importiert werden, nahezu dreimal soviel kosten wie Fichten vergleichbarer Größe, greifen immer mehr Leute nach den teuren Nadelbäumen. Sie zahlen dafür durchschnittlich an die 25 Mark; die Fichten dagegen werden für Preise zwischen 2,50 und acht Mark gehandelt.
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