2. Dezember 1966: Minister – eine Frau
2.12.2016, 07:00 UhrBekanntlich tritt die Sozialdemokratin aus Nürnberg die Nachfolge von Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) an, die ihr Ministeramt im Herbst 1961 als erstes weibliches Kabinettsmitglied übernommen hatte.
Für die 59-jährige Käte Strobel, die der Parteivorsitzende Willy Brandt bereits 1961 in die erste Reihe der SPD-Wahlmannschaft stellte, beginnt ein noch größeres Stück Arbeit als das, was sie bisher schon zu bewältigen hatte. Doch die Tochter einer kinderreichen Arbeiterfamilie, die 1949 direkt in den Deutschen Bundestag gewählt worden war und in der Politik als "unbeschriebenes Blatt" begann, hat es bisher als Parlamentarierin stets gewußt, ihre politischen Fähigkeiten geschickt auf einen Nenner zu bringen.
Eines ihrer Hauptanliegen war es, einen gerechten Ausgleich zwischen den Verbraucherinteressen und den Interessen der Landwirtschaft zu finden. In den Bundestagsausschüssen für Ernährung und Landwirtschaft, Außenhandel und Gesundheitswesen hat sie jahrelang mit Fleiß und Sachkenntnis gewirkt. Die frühere kaufmännische Angestellte (im Bayerischen Landesverband für Obst- und Gartenbau) erreichte, daß das Lebensmittelgesetz zum Schutz der Verbraucher wesentlich verbessert wurde. Auch die im Bundestag Ende 1964 beschlossene Frauen-Enquete (Untersuchung über die Lage der arbeitenden Frau) geht auf eine Anregung der SPD-Abgeordneten zurück.
Terminpläne und immer neue Aufgaben bestimmen seit 17 Jahren das Leben dieser tüchtigen Frau, von den Nürnbergern schlicht "unsere Kättl" genannt. Die Vorsitzende des Straßburger Europa-Parlaments fand sich überall zurecht: ob in Bonn, Luxemburg, Rom oder Brüssel – überall redete die Fränkin entscheidend mit, wo die Politik der europäischen Einigung gestaltet wird. Gestützt auf ihr staatsbürgerliches Recht, ihre Intelligenz und ihre Überzeugungskraft, stieg sie zu höchsten Funktionen in Staat und Gesellschaft auf und widerlegte das Schlagwort, daß Politik Männersache sei.
Nun als Minister für Gesundheit, werden viele Aufgabengebiete ihr Ressort umschließen, mit denen sie sich immer schon befaßt hat: Reinhaltung der Luft, Lärmbekämpfung, Wassergüte, Hygiene der Wasser und Abwasser, Gesundheitsschutz gegen die Gefahren ionisierender Strahlen, Verbraucherschutz vor Täuschung bei Arznei- und Lebensmitteln. Aber ihre freie Zeit wird noch knapper bemessen sein, als das schon bisher der Fall war.
"Obwohl ich mich freue, daß die viele Arbeit meiner Frau Anerkennung gefunden hat, bin ich mir doch im klaren, daß die Familie noch weniger von ihr hat", sagte gestern Ehemann Hans Strobel, Leiter der städtischen "Druckvergebung". Zur Familie von Frau Minister Strobel gehören Tochter Traudel, verheiratet in München, die als Referendarin gegenwärtig ihr Praktikum macht und Tochter Ilse, die vor 14 Tagen ihr zweites Kind geboren hat. Mutter, Vater, Bub und Mädchen wohnen am Maxtorgraben.
In der Eigentumswohnung, die Käte Strobel mit ihrem Mann im Hochhaus in der Gartenstadt erworben hat, häufen sich Blumengebinde und stapeln sich Telegramme und Glückwunschschreiben.
Gestern abend kam die Frau Minister kurz mit einer Bundeswehrmaschine nach Nürnberg, nicht nur um sich diese Pracht anzusehen, sondern um vor allem an einer SPD-Parteiausschußsitzung teilzunehmen. Heute früh fliegt sie nach Bonn zurück.
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