27. Dezember 1966: Weiße Weihnacht ließ sich Zeit
27.12.2016, 07:00 UhrAm Heiligen Abend noch peitschte ein orkanartiger Sturm dicke Regentropfen durch Straßen und Gassen. Die Wende zum erwarteten Wintermärchen kündigte sich erst am Morgen des ersten Feiertags an, als der erste Schnee leise vom Himmel rieselte – so leise, daß ihn die meisten gar nicht bemerkten.
So bot das Wetter die einzigen Aufregungen an den stillen Tagen, die selbst der Polizei, den Sanitätern und der Feuerwehr friedliche Stunden bescherten. In der Innenstadt machte sich der Wandel vom vorfestlichen Hasten und Hetzen zur Stille des Heiligen Abends am stärksten bemerkbar. Noch am Samstag vormittag erlebten die Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte einen letzten Ansturm, der vor allem auf die Lebensmittel-Abteilungen abzielte.
Aber es kamen auch noch jene "unverbesserlichen" Kunden, die alle Jahre wieder bis zur letzten Minute mit dem Geschenkkauf warten. Auf dem Christkindlesmarkt herrschte Schlußverkaufs-Stimmung. Das Urteil der Geschäftswelt über die letzten Stunden lautete: "Sehr reger Weihnachtsbetrieb".
Kaum aber war der letzte Schaufensterrollo herabgelassen, die letzte Ladentüre verschlossen, da setzte die große Flucht aus dem geschäftigen Zentrum ein. Alle zog es in die warmen Stuben daheim, in denen die geputzten Christbäume im Schmuck der Kugeln und des Lamettas erstrahlten, in denen die Großen die Gaben aus den Verstecken hervorholten und die Kleinen ungeduldig auf das Christkind warteten. Überall machte sich Weihnachtsstimmung breit, selbst im Hauptbahnhof.
Dort sprach Pfarrer Heimo Liebel, der Leiter der Stadtmission, in einer besinnlichen Feier zu Reisenden und Passanten. Er verglich das Weihnachtsfest mit einer Aktion Sorgenkind Gottes, die zur Krippe weise, denn von dort komme der Gewinn für alle Menschen. Nach dem gemeinsamen Lied "O du fröhliche" verteilten Helfer der Stadtmission 100 Tüten mit kleinen Geschenken an jene Menschen, die sonst von niemandem eine Bescherung zu erwarten hatten.
Als die Dämmerung hereinbrach, leuchteten hinter vielen Fenstern die Tannenbäume auf. Von Wohnung zu Wohnung setzten sich die Lieder fort: "Stille Nacht, heilige Nacht". Draußen aber zerrte der Sturm an den großen Christbäumen mit Windstärke 9 oder 76 Stundenkilometern. Bis eine Stunde vor Mitternacht trommelten die Regentropfen wie fast den ganzen Tag über an die Fensterbretter.
Im Kreise der Familie
Wie froh durften bei einem solchen Wetter die Menschen sein, die um den warmen Ofen versammelt den anheimelnden Duft von Tannreis und Lebkuchen erleben konnten. Wie viel einsamer aber mußten sich jene vorkommen, die in diesen Abendstunden durch die Straßen zogen, um auf diese Weise ein wenig vom Glanz der Lichterbäume zu erhaschen.
Der erste Feiertag wurde nach altem Brauch von den meisten Nürnbergern im Kreise der Familie zugebracht, die nicht selten ein zünftiges Gansbratenessen mit Klößen zusammenführte. Aber manche brachen auch auf, um die Wintersportfreude zu genießen, die ihnen ihre Heimat versagte, die wohl aber im reichen Maße in den Skigebieten nah und fern zu erwarten war. Auf den Zubringerstraßen zur Autobahn waren viele Wagen zu entdecken, die mit Skiern auf dem Dach vom Ziel ihrer Fahrer kündeten.
In der Stadt selbst hatte der starke Regen vom Vortage zu Erscheinungen geführt, die eigentlich nur im Frühjahr oder im Herbst an der Tagesordnung sind. Die Pegnitz führte Hochwasser und war in Wöhrd ein ganz schönes Stück über ihre Ufer getreten. Die Baustelle des Talüberganges, die zu den empfindlichen Stellen zählt, wurde von reißenden Wassermassen umspült. Aber all das schien gestern vergessen, als sich am Morgen die Häuser "verzuckert" zeigten.
So blieb dieses Weihnachtsfest für die Nürnberger von Anfang bis Ende ungetrübt. Es gab nicht einmal einen Christbaumbrand, zu dem die Feuerwehr hätte gerufen werden müssen. Und das mag schon etwas heißen in einer Stadt mit 470.000 Menschen...
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