28. August 1969: Gefahr kommt per Luft
28.8.2019, 07:00 UhrMit den Maschinen aus Übersee treffen täglich Passagiere aus aller Herren Länder in Nürnberg ein, die vielleicht schon den Keim einer unheilvollen Krankheit wie Pocken, Cholera, Gelbfieber oder Typhus mitbringen. Nicht alle Gäste aus Asien, Afrika und Südamerika besitzen einen gültigen Impfpaß.
Eine internationale Vorschrift mit vielen Lücken und Tücken verbietet es der Nürnberger Grenzpolizei am Flughafen, diese Reisenden kurzerhand in ihre Heimat abzuschieben oder vorübergehend in einer Quarantänestation festzuhalten. Dem Kontrollpolizisten bleibt nur eine Möglichkeit: er zeigt dem Passagier den Weg zum Sanitätsraum, wo bereits ein Arzt des Gesundheitsamtes mit dem Impfstoff wartet.
Doch jetzt beginnen die Schwierigkeiten erst. Der Fluggast kann die Spritze verweigern – er darf es kraft Gesetz. Auf Treu und Glauben muß er lediglich die Anschrift seines Zielortes hinterlassen. Dort überwacht ihn dann das jeweilige Gesundheitsamt – falls es den Passagier findet. Für eine gezielte Vorbeugung sind den Ärzten die Hände gebunden, sie können allenfalls der Krankheit hinterherlaufen. Der Kreis der Kontaktpersonen ist dann meist schon unübersehbar groß geworden.
Seit Nürnberg München-Riem vertritt, wurden auf dem Flughafen 73 Passagiere, meist aus dem Orient, gegen Pocken geimpft; 17 erhielten die Auflage, sich beim zuständigen Gesundheitsamt zu melden.
Obermedizinaldirektor Dr. Eduard David ist bisher mit seinen Patienten gut zurechtgekommen. Einem jordanischen Doktor, der angeblich seinen Impfschein nur verlegt hatte, schaute er einmal tief von Arzt zu Arzt in die Augen – und schon wurde er sein Impfserum los. Mit dieser sanften Gewalt überwand er auch den Widerstand von arabischen Fellachen – auch sie hielten schließlich bereitwillig ihren Arm hin. Lediglich einen Ölscheich ließ Dr. David laufen. Er hatte die Gewähr, daß dieser Patient in einer Münchner Augenklinik unter bester Kontrolle steht. Auch der Obermedizinaldirektor bedauert, daß die internationalen Vorschriften an manchen Flughäfen, besonders im Vorderen Orient, sehr lax ausgelegt werden. Ein gültiger Impfschein sollte ebenso zum Reisegepäck gehören wie der Paß oder Personalausweis.
„Wir können nur dann Zwang ausüben, wenn wir bei einem Passagier bereits verdächtige Anzeichen einer Krankheit feststellen.“ Selbst die Inkubationszeit von 18 Tagen brauchen die Fluggäste nicht einzuhalten. Wer seine Spritze bekommen hat – oder auch nicht – darf sofort weiterreisen.
Fast schon zum gewohnten Bild des Flughafens gehört der Einsatzwagen einer privaten Reinigungsfirma, die ebenfalls mithilft, daß Nürnberg seiner neuen Position gerecht wird. 21 Kabinenpflegerinnen sorgen dafür, daß kein Krümel mehr auf den Polstern liegt, wenn ein Flugzeug in Nürnberg startet. In einem Kombiwagen liegen sie auf der Lauer, um sich in dem Augenblick auf die Maschine zu stürzen, wenn der letzte Passagier die Gangway verlassen hat. Mit Besen und Bürsten bemächtigt sich der Trupp des großen „Vogels“. In Windeseile wird das Interieur generalüberholt. Keine Zigarettenkippe, kein Kleiderfusel darf die Zusteiger an ihre Vorgänger erinnern. Der „Saubermacht“ des Flughafens bleibt dafür nur acht Minuten, in den Ballungszeiten zwischen 10 und 12 und zwischen 14 und 16 Uhr oft nur knapp fünf Minuten.
Zu der jüngsten Reinigungstruppe ganz Deutschlands – Durchschnittsalter 18 Jahre – gehören 14 Schülerinnen, die am Flughafen eine dreiwöchige Ferienarbeit gefunden haben. Die Stipvisiten der miniberockten Putzmädchen werden vielleicht auch deshalb von den Stewards und Captains gern gesehen. Auch Kommandoleiter Peter Reichel ist mit seiner Gruppe sehr zufrieden. Einige Mädchen hatten zuvor noch nie ein Flugzeug von innen gesehen – jetzt fühlen sie sich in der Kabine schon fast zu Hause.
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