29. Dezember 1966: Böse Überraschung

29.12.2016, 07:00 Uhr
29. Dezember 1966: Böse Überraschung

© Kammler

In den Schreiben werden sie aufgefordert, nach der "Erschließungsbeitragssatzung und dem amtlichen Plan" umgehend Beträge zwischen 400 und 1.000 DM zu berappen. Die Stadtverwaltung beruft sich bei ihrer Forderung auf das Bundesbaugesetz.

Die Leute sind nicht nur über den Zahlungsbescheid empört, sie halten es auch für ein starkes Stück, dass ihnen dieser kurz vor dem Fest ins Haus geschneit kam. Während die meisten anderen Bürger dieser Stadt geruhsame Weihnachtstage verbrachten, war den "Neulandsiedlern" die Freude auf das bevorstehende Fest gründlich verdorben, als ihnen der Briefträger die städtischen Schreiben überbrachte.

"Für die Feststellung und Berechnung des Erschließungsbeitrages", so heißt es darin unter anderem, "sind Paragraph 10 der Erschließungsbeitragssatzung und der amtliche Plan vom 15.8. 1966 mit den Festsetzungen innerhalb des Abrechnungsgebietes maßgebend. Der nach Pragraph 8 der Erschließungsbeitragssatzung um 10 v. H. gekürzte beitragsfähige Erschließungsaufwand wird nach den Bestimmungen des Paragraphen 10 a. .a O. auf der Grundlage des vorgenannten amtlichen Planes auf die unmittelbar oder mittelbar erschlossenen Grundstücke des Abrechnungsgebietes entsprechend der Grundstücksfläche und der auf einem Grundstück zulässigen Großfläche verteilt."

Widerspruch kann erhoben werden

Es folgt eine Rechtsbelehrung, dass gegen diesen Teilbescheid Widerspruch erhoben werden kann. Außerdem hat die Erschließungsabteilung des Bauverwaltungsamtes ein "Entschuldigungsschreiben" beigefügt, das wie folgt lautet: "Leider lässt sich wegen der Einhaltung von Fristen nicht vermeiden, die Beitragsbescheide auch im Weihnachtsmonat zuzustellen. Sollte die fristgemäße Einzahlung der Beiträge aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sein, wird anheimgestellt, unverzüglich Stundungsantrag schriftlich mit entsprechender Begründung und Vorschlag, in welchen Raten die Beiträge bezahlt werden können, beim unterfertigten Amt einzureichen. Gewährte Stundungen sind entsprechend den rechtlichen Bestimmungen zu verzinsen."

Zum Wortführer der Betroffenen macht sich ihr ehemaliger Vorsitzender im Verein "Neulandsiedlung", Karl Pittroff. "Wie kann die Stadt von uns Geld für die Herstellung der Gehbahn, Parkflächen und eines Teiles des Straßenbegleitgrüns an der Zollhausstraße (früher Koblenzer Straße ) verlangen? Für uns bleibt sie eine Durchgangsstraße. Schließlich mußten wir ja unser eigenes Straßennetz danach ausrichten. Dieses wäre bedeutend einfacher ausgefallen, wenn wir nicht die Auflage hätten übernehmen müssen. Es ist doch schier eine Unmöglichkeit, prachtvolle Baumaßnahmen, die letzten Endes im Interesse der Gesamtheit liegen, auf die zufällig angrenzenden Anlieger umzulegen", sagte er.

"Sadistische Rücksichtslosigkeit"

Die Neulandsiedler stoßen sich auch an dem Wort Teilbescheid. "Was wissen wir, was der Stadt noch alles in unserer Gegend einfällt? Sollen wir dann wieder bezahlen? Man kann doch nicht einfach hurtig drauflosbauen und dann die Bürger bezahlen lassen, so wie es jetzt der Fall ist." Sie stellen auch noch eine andere Frage: "Ist es überhaupt möglich, nach Abschluss einer Baumaßnahme und Beteiligung an den Erschließungskosten nachträglich durchgeführte Arbeiten noch umzulegen?"

Die Siedler wollen die Stadt auf jeden Fall erst einmal bitten, die angeforderten Beträge zu stunden, auch wenn sie sich im klaren darüber sind, dass dann erneute Lasten – Zinsen – auf sie zukommen. "Außerdem werden wir auch prüfen lassen, ob die Stadt von uns zu Recht Geld verlangt", ist der einhellige Tenor.

Nun, die Stadt ist von der Rechtmäßigkeit ihrer Forderung überzeugt. Die Erschließungsabteilung beruft sich dabei auf das Bundesbaugesetz. "Die Zollhausstraße ist ein Zufahrtsstraße. Wie sollten die Bewohner der Neulandsiedlung sonst zu ihren Häusern kommen?", sagt Verwaltungsoberamtmann Thaler. Die Stadt habe ordnungsgemäß den Mindestanteil verlangt und dabei weder die Trennstreifen noch die Fahrbahn umgelegt.

Der Oberamtmann bedauert ebenfalls, dass die Bescheide so kurzfristig verschickt werden mussten, aber das Bauverwaltungsamt habe dabei die mögliche Verfallsfrist berücksichtigen müssen.

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