Bäume gegen Autos: Nürnberg steht vor einem Dilemma

12.3.2020, 05:50 Uhr
Immer wieder werden Bäume in Nürnberg gefällt wie hier erst kürzlich im Stadtteil St. Jobst.

© Foto: Franziska Simon Immer wieder werden Bäume in Nürnberg gefällt wie hier erst kürzlich im Stadtteil St. Jobst.

Mehr Standorte für Straßenbäume, das bedeutet in den meisten Fällen, dass Parkplätze wegfallen. Und so sehr immer wieder der Trend weg vom Individualverkehr beschworen wird, so wenig äußert sich das in den harten Zahlen. Im Gegenteil: Nie gab es mehr Autos in Nürnberg als jetzt. Im Juli 2019 waren 296 942 Fahrzeuge zugelassen.

"Dass junge Leute heutzutage kein eigenes Auto mehr kaufen, stimmt einfach nicht", sagt Baureferent Daniel Ulrich. "Sie kaufen es nur sechs bis sieben Jahre später als früher, weil vorher das Geld nicht reicht – oder das teure Smartphone erst mal wichtiger ist", so Ulrich. "Spätestens wenn Kinder da sind, haben sie alle ein Auto vor der Tür stehen."

Mehr als ein Pkw pro Haushalt fährt mittlerweile durch die Stadt – oder besser: Er steht herum. Denn die Nürnberger kaufen zwar mehr Autos, aber sie fahren weniger damit – durchschnittlich 33 Minuten pro Tag. Entsprechend viele öffentliche Parkflächen sind nötig: 600 Hektar Fläche beanspruchen sie, sagt Baumexperte Mathias Schmidt, der Sprecher des Arbeitskreises Baum in der Stadt vom Bund Naturschutz (BN). Das entspreche der Fläche sämtlicher Grünanlagen in Nürnberg.

Mut und Fantasie sind notwendig

Die Nürnberger wollen mehr Bäume, aber sie wollen auch einen Parkplatz für ihr Auto. Ein Dilemma, das an vielen Stellen in der Stadt sichtbar wird: auf den Parkplätzen großer Discounter und Gartencenter, auf denen wenige kümmerliche Bäumchen ungepflegt vor sich hin vegetieren ebenso wie in der Nordstadt, wo viele alte Bäume in viel zu kleinen Baumscheiben stehen.

Die Folgen: Sie können nicht richtig bewässert werden, weil das Wasser sofort über die Platten abläuft. "Mit ein bisschen Mut und Fantasie könnte man die Situation mit wenig Aufwand verbessern", sagt Mathias Schmidt. Man könnte Gehwegplatten heraus- und Parkplätze wegnehmen, um den mächtigen Bäumen mehr Platz zuzugestehen. Ein Ansinnen, das vom Baureferat nicht unterstützt werde – und wohl auch bei den Autobesitzern vor Ort auf wenig Begeisterung stoßen würde.


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Der Widerspruch zwischen dem Wunsch nach mehr Bäumen und der Bereitschaft, selbst einen Beitrag zu leisten, zeigt sich auch bei der Zahl der Baumpatenschaften. Zwar ist die Zahl in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – von 715 im Jahr 2014 auf 1215 im vergangenen Jahr –, doch nicht so sehr, wie die Empörung über jeden gefällten Baum im Stadtgebiet es vermuten ließe. Bürgermeister Christian Vogel kann davon ein Lied singen. Er antwortet seit drei Jahren auf jede derartige Beschwerde mit einem persönlichen Brief, in dem er für eine Baumpatenschaft wirbt. "Aus 100 Zuschriften sind vielleicht drei Patenschaften entstanden", schätzt er.

"Werden keine Bäume aus böser Absicht gefällt"

Baumexperte Mathias Schmidt nimmt den Servicebetrieb Öffentlicher Raum (SÖR) vor Kritikern in Schutz: "Es werden keine Bäume aus böser Absicht gefällt. Die Pläne sind vielleicht nicht immer perfekt, aber alle sind guten Willens." Seit 28 Jahren setzt sich Schmidt für die Bäume in der Stadt ein. Gebetsmühlenartig hat er immer wieder darüber aufgeklärt, wie wichtig sie sind. Der Klimawandel habe dazu geführt, dass mittlerweile Politiker aller Fraktionen den hohen Stellenwert anerkennen und Maßnahmen umgesetzt werden, die er schon lange fordert. "Das ist ein gutes Gefühl, wenn der Grund dafür auch ein trauriger ist", sagt der Baumexperte.

Eine alte Forderung des BN ist, dass es einen Masterplan für Straßenbäume braucht. "Es gab zwar immer wieder Initiativen, aber die versandeten dann auch wieder", erinnert sich Mathias Schmidt. Und tatsächlich hat SÖR beim letzten Werkausschuss für den Stadtrat nun einen "Baumplan" vorgestellt: Vorhandene Bäume sollen besser gepflegt und neue Standorte erschlossen werden (s. Artikel unten). "Das ist ein riesiger Schritt in die richtige Richtung", freut sich Baumexperte Schmidt.


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Allerdings seien die Pläne noch ausbaufähig: 50 neue Standorte für Bäume pro Jahr, das findet der Baumexperte zu wenig. "Es gibt nur 10.000 Bäume in der Kernstadt, 30.000 sind es im gesamten Stadtgebiet", sagt der Baumexperte. Vergleichbare Städte hätten doppelt so viel Bäume. Mit 50 zusätzlichen Bäumen pro Jahr könne man dieses große Defizit niemals aufholen.

25.000 Hektar Wald umsäumen die Stadt

Dass Nürnberg vergleichsweise wenig Straßenbäume habe, bestätigt auch Bürgermeister Christian Vogel. Das liege zum einen daran, dass Nürnberg nie einen Herzog oder Fürsten hatte, der die Stadt mit Alleen schmückte. Hinzu komme, dass Nürnberg wie keine andere Stadt von Wald umschlungen ist. Rund 25.000 Hektar Wald umsäumen die Stadt. Dennoch setzt sich Vogel für mehr Bäume in der Stadt ein: "Während meiner nun ablaufenden Amtszeit wurden 1400 zusätzliche Straßenbäume gepflanzt – Ersatzpflanzungen nicht eingerechnet."

Mathias Schmidt hat viele Ideen, wie man den Baumbestand noch weiter aufstocken könnte: Etwa, indem man verfügt, dass Bau- und Supermärkte mehr Bäume auf ihre Parkplätze pflanzen müssen. "Bei bestehenden ist das schwierig zu verfügen, aber bei neu geplanten würde es gehen." Ein Schatten spendender Baum à vier Parkplätze, das ist der Vorschlag des BN. Zudem müsse die Stadt Nürnberg die Bauherren und ihre Bäume besser kontrollieren. Viele würden nicht vernünftig gepflegt und nicht ersetzt, wenn sie eingehen.

"Oder große, alte Bäume werden bei Bauprojekten zum Teil durch kleine ersetzt. Man könnte es in jede Baugenehmigung schreiben, dass für adäquaten Ersatz gesorgt werden muss", sagt der Baumexperte. In Bamberg etwa stehe ganz genau in der Baumschutzverordnung, wie viele kleine, junge Bäume welcher Art einen großen, alten Baum ersetzen. "Das wünsche ich mir für Nürnberg auch."

 


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