Corona-Impfstart bei Nürnberger Hausärzten: Zu wenig Nachschub
9.4.2021, 15:00 Uhr"Beruhigend." So findet, in einem Wort, Heidi Götz den Piks an ihrem Oberarm. Erst am Vortag, als die Diabetikerin zum Blutabnehmen kam, hatte sie einfach mal am Tresen nach der Impfung gefragt. Und sofort den Termin bekommen.
Die 72-Jährige zählt zu jenen 90 Menschen, die in der Medic-Center-Praxis Ziegelstein an einem der ersten Tage nach dem Impfstart bei Nürnbergs niedergelassenen Ärzten eine Covid-19-Impfung erhalten – und die wenig Aufhebens darum machen. "War harmlos", sagt ein Mann im Wartezimmer, 79, und winkt lachend ab: "Was soll einem fast 80-Jährigen denn passieren? So verhindere ich wenigstens, dass ich andere anstecke." Ab und zu mischt sich auch jemand Jüngeres darunter, Angehörige von Pflegebedürftigen oder Schwangeren etwa.
Kaum jemand hat Fragen
Im Zehn-Minuten-Takt treffen die Patienten ein, bleiben hinterher zur Kontrolle noch eine Viertelstunde sitzen. Kein Schnickschnack, kaum jemand hat Fragen. Wer positive Nachrichten zum Thema Corona-Impfung sucht, muss nur mal eine halbe Stunde hier zusehen. "Der mediale Hype um die Impfung entspricht nicht dem Erlebnis", stellt Notfallmediziner Falk Stirkat fest, der als einer der angestellten Ärzte gerade seinen ersten Impf-Großeinsatz absolviert. "Eine absolute Minderheit steht hier der Impfung kritisch gegenüber." Stirkat freut das. "Mit der Beteiligung der Hausarztpraxen tragen wir dazu bei, der Immunität der Bevölkerung und damit der Normalität näher zu kommen."
Lieferungen, Impfquoten, Tageswerte: Der große Impf-Überblick
Das Medic-Center, ein Medizinisches Versorgungszentrum mit 130 Medizinern an 36 Standorten in und um Nürnberg, ist am Osterdienstag groß ins Impfen eingestiegen. Es bündelt die Termine in seinen größeren Praxen, nutzt dazu auch die leerstehenden Räume der früheren Schön-Klinik an der Stadtgrenze. Auch am Karsamstag haben die Helferinnen ihre Patientenlisten abtelefoniert. Fast 1000 Dosen bekam das Versorgungszentrum in der ersten Woche zugeteilt. Am Donnerstag dann der ernüchternde Bescheid aus der Apotheke: Für kommende Woche kann sie nur 138 Dosen auftreiben.
"Falls Sie was übrig hätten, komme ich vorbei"
Die Geduld vieler Impfwilliger wird weiter auf die Probe gestellt, weil es an Impfstoff mangelt. "Die Nachfrage ist riesig", sagt Veit Wambach, in dessen Doppelpraxis in Nürnberg-Nord man erst nach eineinhalb Stunden Besetztzeichen durchdringt. "Wir führen Wartelisten. Viele rühren sich von selbst und sagen, dass sie auch schnell am Abend vorbeikämen, falls was übrig bliebe."
Die Belohnung für den Stress: "Wir sehen nur glücklich strahlende Gesichter", sagt der Vorsitzende des Praxisnetzes QuE. Den Appell der Kassenärztlichen Vereinigungen und Hausarztverbände, nicht in der Praxis anzurufen, sondern auf die Einladung zu warten, kann Wambach nicht unterschreiben. "Ich bin froh, wenn sich jemand meldet. Wir wissen ja nicht alles über unsere Patienten."
FAQ: Was, wenn man Nein zum Impfstoff von Astrazeneca sagt?
Für die vier Tage seit Ostern erhielt Wambachs Praxis von ihrer Apotheke 90 Dosen, für nächste Woche sind 54 angekündigt. "Ich nehme, was ich kriegen kann." Denselben Satz hört man von Nicolas Kahl, Hausarzt in Fischbach. Auch ihm gewährt der Apotheker weniger als bestellt – 50 darf er höchstens fordern. "Undurchsichtig" laufe das. Trotzdem sei die ganze Belegschaft "freudig gestimmt, weil jetzt endlich was vorangeht".
Im Moment nur Biontech
Sprechstundenzeiten blockieren, Patienten priorisieren nach Alter und Vorerkrankungen. Zu den Schwerkranken mit der Impfspritze auf Hausbesuch fahren, die bereits im Impfzentrum Registrierten erinnern, ihren Termin dort abzusagen – all das bedeutet Mehrarbeit für Bayerns 8500 impfende Hausärzte. Eine "kommunikative Herausforderung" nennt es Nicolas Kahl.
Was die Gespräche erleichtert: Momentan erhalten die Niedergelassenen in Nürnberg nur den Impfstoff von Biontech/Pfizer. Das Konkurrenz-Präparat von Astrazeneca stoße auf viele Vorbehalte, besorgt erkundigten sich viele am Telefon nach den Zwischenfällen mit Hirnvenenthrombosen, erzählen Stirkat, Wambach und Kahl. Wenn man sich aber die Zeit nehme, um über die Hintergründe gut aufzuklären, änderten viele Patienten ihre Meinung. Ab Mitte April soll auch Astrazeneca in die Hände der Niedergelassenen gelegt werden. "Das wollen wir mal als Vertrauensbeweis sehen, dass der Impfstoff vom Arzt des Vertrauens zu den Leuten gebracht werden soll", findet Veit Wambach.
"Logistische Katastrophe"
Nicht alle Kollegen erleben die Lage ganz entspannt. Als "logistische Katastrophe" kritisiert Beate Müller den Auftakt. Die Allgemeinärztin im Knoblauchsland und Bezirksdelegierte im Bayerischen Hausärzteverband sagt: Den Niedergelassenen müsse mehr Eigenverantwortung überlassen werden. "Die Leute wollen lieber zu ihrem Hausarzt als ins Impfzentrum. Ich könnte impfen, impfen, impfen." Dass die Ärzte erst donnerstags erfahren, welche Mengen sie am darauffolgenden Dienstag erhalten, erschwere die Terminplanung sehr. "Wir bekommen nächste Woche nur 18 Dosen. Meine Mädels müssen sich viel anhören." Dazu komme auffallend viel Papierkram zur Dokumentation und Fitzelarbeit, weil man die winzigen Klebe-Etiketten für den Impfpass erst herunterladen und ausdrucken müsse.
Zufrieden äußert sich hingegen Margit Schlenk, die Sprecherin der Nürnberger Apotheken. "Die Lieferkette zwischen Großhandel, Apotheken und Ärzten läuft reibungslos." Einzig die Knappheit an Impfstoff bleibe noch zu lösen, worin Schlenk sogar etwas Gutes sieht. So bleibe Zeit, um Abläufe zu trainieren. Bei zu viel "Druck im System" laufe man Gefahr, die Haltbarkeit des hochempfindlichen Impfstoffs zu riskieren. Aber es sei klar: "Wir müssen jetzt in die Masse kommen und alles in die Arme bringen!"
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