Das plant Mittelfrankens neuer Polizeipräsident Fertinger
18.7.2018, 06:00 UhrNZ: Herr Fertinger, vor rund 40 Jahren haben Sie als Streifenpolizist angefangen – nun sind Sie Präsident des zweitgrößten Präsidiums in Bayern. Der erfüllte Lebenstraum?
Roman Fertinger: Solch eine Karriere kann man nicht planen. Ich hatte das Glück, Vorgesetzte zu haben, die Leistung anerkannt haben, die mich gut bewertet und mich immer wieder gefördert haben. Aber das ist schon ein Marathon durch alle Sparten der Polizei – und ganz oben anzukommen, da ist natürlich schon ein Traum in Erfüllung gegangen.
NZ: Neue Besen kehren gut – wo werden Sie kehren?
Fertinger: Es ist nicht so, dass man jetzt absolute Veränderungen herbeiführen müsste. Ich bin mehr für die sanfte Entwicklung anhand der Notwendigkeiten. Ich denke, der Fokus liegt darauf, dass wir auch weiterhin gute Rahmenbedingungen schaffen, damit die Kolleginnen und Kollegen ordentlich arbeiten können. Etwas schwer fällt uns das aktuell im Schichtdienst bei den Basisdienststellen, weil hier in der Vergangenheit deutlich Personal abgeschmolzen wurde. Dadurch entstehen für den Bürger Wartezeiten bei bestimmten Einsätzen, und die Kolleginnen und Kollegen sind höchst belastet. Hier hoffen wir, dass wir von dem Kuchen der bayernweit angekündigten zusätzlichen Stellen deutlich mehr Personal bekommen.
NZ: Ein großes Thema ist schon seit Jahren die Arbeitszeit – also die Frage der Schichtmodelle. Wo soll die Reise hingehen?
Fertinger: Ich würde mir beim Thema Arbeitszeit einen Rahmen wünschen, innerhalb dessen die einzelnen Dienststellen in der Gestaltung relativ frei sind. Wie das am Ende genau aussieht, wird man sehen und sollte weitgehend den Kolleginnen und Kollegen freigestellt sein. Es gibt heute so vieles zu berücksichtigen: die Familienteilzeit, die Gesundheit im Dienst, der Altersdurchschnitt – kann man nach 30 Jahren im Schichtdienst den normalen Schichtdienst noch durchhalten? Hier unternehmen wir große Anstrengungen, damit die Kolleginnen und Kollegen auch gesundheitlich fit bleiben und dadurch den Anforderungen im Schichtdienst länger gewachsen sind.
NZ: Wie wollen Sie Frauen fördern?
Fertinger: Wir haben seit 1990 Frauen in der Schutzpolizei. Viele gestalten natürlich ihr Familienleben, damit ergibt sich eine Unterbrechung der Karriere. Wir versuchen, befähigte Frauen, die ihre Karriere fortsetzen möchten, nach der Kinderzeit flexibel einzusetzen und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, in Führungspositionen zu kommen. Im gehobenen Dienst – der dritten Qualifikationsebene – haben wir jetzt konkret vier Frauen für Spitzenpositionen in der Förderung, sie werden sicherlich auch auf Führungspositionen aufrücken.
NZ: Für die Bürger steht aber die persönliche Sicherheit im Vordergrund. Man hört in vielen Gesprächen, dass sich das subjektive Sicherheitsempfinden offenbar verschlechtert hat.
Fertinger: Die objektiven Zahlen sprechen hier eine andere Sprache: Wir zählen zu den sichersten Großstädten Deutschlands. Aber ich kann es nachvollziehen. Wenn von Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum oder von Straftaten wie Fußtritte gegen den Kopf immer wieder berichtet wird, dann hat das auf die subjektive Wahrnehmung der Bevölkerung sicher eine Auswirkung. Ich selbst würde in Nürnberg überall hingehen, auch zu jeder Tages- und Nachtzeit, denn die Sicherheit ist schon auf einem sehr hohen Standard. Gleichwohl gilt das Pareto-Prinzip: 20 Prozent unserer Straftäter sorgen für 80 Prozent der Delikte. Gegen diese Intensivtäter müssen wir sehr koordiniert und konsequent vorgehen.
NZ: Aber es sind doch eher die kleinen, tagtäglichen Vorfälle, die das Sicherheitsempfinden beeinträchtigen: die zunehmende Zahl der Rotlichtsünder, die rücksichtslosen Fußweg-Radler, die Raser auf den Straßen, die illegalen Autorennen... Eine Entwicklung zur Regellosigkeit, der die Polizei entgegentreten müsste.
Fertinger: Einen solchen Erziehungsauftrag allein zu stemmen würde auch die Polizei überfordern. Wir wirken punktuell ein. Beispielsweise die Raserei: Es ist unglaublich, welche Geschwindigkeiten gefahren werden, auf Landstraßen ebenso wie im innerstädtischen Bereich. Bei anonymen Referenzmessungen auf Bundesstraßen haben wir vor kurzem festgestellt, dass hier Geschwindigkeiten bis zu 200 Stundenkilometer gefahren wurden. Wir werden künftig stringenter darauf achten, solche Raser aus dem Verkehr zu ziehen. Wir werden hier Schwerpunkte setzen, aber wir haben nicht das Personal, um überall überwachen zu können – einen Überwachungsstaat will ja auch keiner.
NZ: 20 Prozent der Straftäter verüben 80 Prozent der Delikte – wo liegen die Kriminalitätsschwerpunkte im Stadtgebiet?
Fertinger: Die sind verteilt. In der Innenstadt haben wir naturgemäß mehr Kaufhaus-Diebstähle. Mehr als 50 Prozent der Kaufhaus- und der Fahrraddiebstähle sowie 40 Prozent der Wohnungseinbrüche haben mit indirekter Beschaffungskriminalität zu tun. Das heißt: Menschen, die Drogen konsumieren, aber nicht dazu in der Lage sind, diese Drogen zu bezahlen, begehen diese Straftaten. Wenn man dann sieht, dass der Täter durch Hehlerei am Ende maximal 20 Prozent des realen Warenwertes bekommt, dann kann man sich vorstellen, wie viele Straftaten es braucht, um diese Sucht zu finanzieren.
NZ: Als besonders brenzlig galten zuletzt der Hauptbahnhof und die Königstorpassage samt Umfeld.
Fertinger: Hier haben wir mit besonderen Maßnahmen im vergangenen halben Jahr mehr als 400 Straftäter dingfest machen – sowohl im Rauschgifthandel als auch nach Gewalttaten. Hier ist auffällig, dass viele dieser Auseinandersetzungen ganz spontan, ohne Vorgeschichte passieren. Da sitzt ein Angetrunkener auf einer Bank, ein anderer kommt vorbei, ein kurzer Dialog und plötzlich fliegen die Fäuste – schließlich folgen Tritte gegen den Kopf... Die Videoüberwachung an einem solchen Kriminalitätsschwerpunkt und die Speicherungsfrist von sieben Tagen sind für uns Gold wert, weil wir so im Nachhinein den Tatzusammenhang erkennen und die Täter einer effektiven Strafverfolgung zuführen können.
NZ: Gibt es Stadtteile, die sich zu Kriminalitätsschwerpunkten entwickeln? Wir hören Klagen, die sich etwa auf Gostenhof, St. Leonhard oder auf Schweinau beziehen, dass dort vieles "heruntergekommen" sei.
Fertinger: Das kann ich so nicht bestätigen. Natürlich gibt es bestimmte Schwerpunkte etwa zu Kirchweihzeiten, es gibt das Wochenend-Ausgehverhalten. Aber dass Stadtteile heruntergekommen wären, ist für mich im Moment nicht feststellbar.
NZ: Die Aufklärungsquote insgesamt lag zuletzt bei 67 Prozent – ein Rekordwert. Andersherum betrachtet wird ein Drittel der Straftaten nicht geklärt. Wie wollen Sie das verändern?
Fertinger: Die Statistik stellt nicht alles ganz klar dar. Man muss in die Details schauen und polizeiliche Maßnahmen darauf abstellen. So sind Schwarzfahren oder Kontrolldelikte der Polizei per se bereits aufgeklärt. Im Bereich des Wohnungseinbruchs ist uns eine deutliche Steigerung auf hervorragende 26,7 Prozent gelungen. Daran werden wir weiterhin intensiv arbeiten, um internationale Banden abzuschrecken und um solche Bandendiebstähle genau aufzuklären und die Täter langjährig hinter Gitter zu bringen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden für uns die Straftaten im öffentlichen Raum: Sachbeschädigung, Vandalismus, aber auch Körperverletzungsdelikte. Hier werden wir weiter konsequent einschreiten und im Benehmen mit der Staatsanwaltschaft auch sehr niederschwellig Strafanzeigen vorlegen.
NZ: Welche Rolle spielt hier die Gewalt gegen Polizeibeamte?
Fertinger: Das ist für uns ein großes Problem. Zwei Drittel der Täter sind alkoholisiert, stehen unter Drogen oder unter einer Mischung von Stoffen. Sie können heute zu einem Einsatz fahren, und plötzlich sind Sie selbst Konfliktpartei, obwohl sich zwei andere vorher gestritten haben. Gerade alkoholisierte Personen sind manchmal mit der Problemlösung so nicht einverstanden. Diese Gewaltanwendung erfolgt meistens sehr spontan.
NZ: Noch mal zurück zu den personellen Problemen: Wird es demnächst eine neue Polizeiinspektion Nord geben?
Fertinger: Wenn sie heute eine neue Polizeiinspektion aufbauen, dann haben Sie mindestens 20 Prozent im Überbau – Sie brauchen Dienststellenleiter, Dienstgruppenleiter rund um die Uhr, Stellvertreter, all dieses Personal. Dieses setzen wir aktuell lieber auf der Straße ein und erhöhen die Präsenz dort, wo diese dem Bürger unmittelbar zugutekommt. Momentan bestehen keine Planungen, eine Polizeiinspektion Nord einzurichten.
NZ: Aber es laufen Gespräche mit dem Ziel, der Bundespolizei die Grenzsicherung im Flughafen zu übergeben – wie das in München seit Jahrzehnten der Fall ist. Was passiert dann mit der Polizeiinspektion Flughafen?
Fertinger: Für die Grenzabfertigung sind derzeit etwa 20 Beamte eingesetzt. Die PI Flughafen würde diese Grenzsicherung an die Bundespolizei abgeben und dafür erweiterte Aufgaben im Stadtgebiet wahrnehmen. Ich gehe nach momentanem Stand fest davon aus, dass die Inspektion Flughafen dann als normale Polizeiinspektion mit einer entsprechenden Größenordnung erhalten bliebe, so dass die Bürger dann dort jederzeit eine Anlaufstelle hätten.
NZ: Auch in Nürnberg kommen immer mehr harte Drogen auf den Markt. Wie sieht Ihre Gegenstrategie aus?
Fertinger: Zum einen gilt es, die Verteilwege der Drogenhändler stärker in den Fokus zu nehmen. Was mich wirklich erschreckt ist, dass Drogen in Kilo-Größenordnungen über das Darknet bestellbar und auf dem Postweg erhältlich sind. Da wird sich die strategische Ausrichtung der Polizei noch verändern müssen. Zum anderen wollen wir uns in der Drogenprävention engagieren. Andererseits bin ich kein Befürworter von Drogenkonsumräumen, denn dort werden ja illegale Drogen konsumiert. Das entspricht nicht unserer Zielsetzung. Wir stellen anhand unserer Zahlen fest, dass die meisten Drogenopfer in Wohnungen zu Tode kommen; weil man dort gemeinsam konsumiert oder weil der Körper durch andauernden Drogenkonsum irgendwann so schwer geschädigt ist, dass ein Weiterleben fast unmöglich wird.
NZ: Die Zahl der Drogentoten ist in diesem Jahr bislang aber überraschend niedrig.
Fertinger: Wir haben große Mengen an Drogen aus dem Verkehr gezogen. Zudem kommt hier die eben genannte gesundheitliche Situation der Konsumenten ins Spiel. Offenbar entwickelt es sich immer in Wellen, dass bestimmte Altersgruppen in eine körperliche Schwächephase kommen. Das ließ sich auch in der Vergangenheit beobachten. Aber eine hundertprozentige Erklärung habe ich auch nicht.
NZ: Ein weiteres großes Problem stellt – europaweit – der internationale Terrorismus dar. Im Polizeipräsidium wurde kürzlich das K15 als Fachkommissariat Terrorismus eingerichtet – mit welchen Zielen?
Fertinger: Die Kollegen beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit Extremismus und Islamismus und nehmen auch Gefährder in der Region genau unter die Lupe. Zudem arbeiten sie Ermittlungsersuchen der Polizei anderer Bundesländer ab. Hier ist ganz erhebliches Spezialwissen notwendig. Aktuell bearbeiten wir auch den Ansbacher Anschlag für den Generalbundesanwalt, wo ja die Täter in Syrien identifiziert sind. Jetzt müssen wir sehen, dass wir ihrer habhaft werden. Dazu ist es ebenfalls nötig und wichtig, eine straffe Organisationsform zu schaffen, mit der wir den modernen Herausforderungen Rechnung tragen.
NZ: Kann man Großveranstaltungen wie den Christkindlesmarkt überhaupt schützen? Wenn jemand mit einem Sprengstoffrucksack nach dem Strickmuster von Ansbach dort hineinspaziert, gibt es doch gar keine Kontrolle.
Fertinger: Wir müssen auf solche Dinge gefasst sein, und es gibt bestimmte Standards, durch die solche Leute auffallen. Auch die Ausbildung hat sich hier inzwischen geändert: Ein Schusswaffengebrauch war für den Polizeibeamten bisher die Ultima Ratio; künftig muss der eine oder andere Kollege unter Umständen viel schneller zur Waffe greifen und einen Angreifer kampfunfähig schießen. Aber Sie haben vollkommen recht, die letzte Sicherheit wird es nicht geben. Ich darf Ihnen aber versichern, dass wir uns bestmöglich vorbereiten und alle denkbaren Anstrengungen unternehmen um ein größtmögliches Maß an Sicherheit zu gewährleisten.
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