Hunderte demonstrieren

„Free Hanna“: Nürnberger Studentin über zwei Monate in U-Haft - Angst vor Auslieferung nach Ungarn

Azeglio Elia Hupfer

nordbayern-Redaktion

E-Mail zur Autorenseite

15.7.2024, 14:45 Uhr
Am 6. Juli 2024 gab es eine Demonstration am Plärrer unter dem Motto: "Stoppt die Auslieferung ins rechtsautoritäre Ungarn! Holt Maja zurück! Free Hanna!"

© privat Am 6. Juli 2024 gab es eine Demonstration am Plärrer unter dem Motto: "Stoppt die Auslieferung ins rechtsautoritäre Ungarn! Holt Maja zurück! Free Hanna!"

Hannas Fall beschäftigt von Anfang an viele Menschen in Nürnberg, denn schon ihre Festnahme sorgt für viel Aufsehen. Am 6. Mai ist die Aufregung in Gostenhof groß. Das Landeskriminalamt Sachsen rückt mit zahlreichen Einsatzkräften und Unterstützungskräften der Polizei Mittelfranken in den Nürnberger Stadtteil vor. Unsere Redaktion erreichen Anfragen, was los sei: Maskierte Männer und Einsatzbusse erweckten den Eindruck von einer Bedrohungslage. Ganze Straßenzüge seien gesperrt worden, frei bewegen hätte man sich nicht mehr können, erinnert sich ein Bewohner der Müllnerstraße.

In eben jener Müllnerstraße kommt es am Morgen des 6. Mai auch zur Festnahme von Hanna. Grundlage dafür ist ein Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 2. Mai 2024. Darin wird Hanna zu Last gelegt, sich einer "linksextremistischen Vereinigung" angeschlossen zu haben, heißt es in einer Pressemitteilung der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof. Demnach teilen Angehörige besagter Vereinigung "militante linksextremistische Ideologien" und haben sich zum Ziel gesetzt, "mit Gewalt gegen Angehörige des politisch rechten Spektrums vorzugehen".

Hanna soll im Februar 2023 in Budapest an zwei Angriffen auf vermutete Rechtsextremisten beteiligt gewesen sein. Drei Personen erlitten dabei Prellungen und Platzwunden. Der Vorwurf: gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen.

Die Angriffe fanden rund um den sogenannten "Tag der Ehre" statt. Jährlich finden sich tausende Rechtsextremisten aus ganz Europa rund um den 11. Februar in Budapest zu Gedenkveranstaltungen ein, organisiert vom in Deutschland verbotenen "Blood and Honour"-Netzwerk und der Legio Hungaria, einer ungarischen Neonazi-Organisation. Am 11. Februar 1945 hatten Soldaten der deutschen Wehrmacht, die Waffen-SS und ihre ungarischen Kollaborateure versucht, aus dem von der Roten Armee umzingelten Budapest auszubrechen.

Geschichtsrevisionismus und NS-Verherrlichung: Die paramilitärische Gliederung der rechtsextremistischen Jugendbewegung HVIM (Hatvannégy Vármegye Ifjúsági Mozgalom, 64 Grafschaften) am 10. Februar 2024 in Budapest.

Geschichtsrevisionismus und NS-Verherrlichung: Die paramilitärische Gliederung der rechtsextremistischen Jugendbewegung HVIM (Hatvannégy Vármegye Ifjúsági Mozgalom, 64 Grafschaften) am 10. Februar 2024 in Budapest. © IMAGO/Martin Fejer/estost.net

Auslieferung von Hanna befürchtet

Die ungarische Justiz leitete nach den Übergriffen Ermittlungen gegen mehrere mutmaßliche Angreiferinnen und Angreifer aus Deutschland, Italien und anderen Ländern ein. Europäische Haftbefehle wurden beantragt. Während sich die italienische Regierung aktuell weigert, einen Verdächtigen auszuliefern, lieferte Deutschland Ende Juni eine unter dem Namen Maja bekannte Person aus, die ebenfalls an den gewaltsamen Übergriffen auf mutmaßlich Rechtsextreme in Budapest beteiligt gewesen sein soll.

Im Fall Hanna wird im Umfeld auch eine Auslieferung nach Ungarn befürchtet. Ihre Eltern, Geschwister, Freunde und Freundinnen sowie Hannas Verlobter sprechen in einem der Redaktion vorliegenden Dossier zur drohenden Auslieferung von einer "großen Angst um Hanna".

Die Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, an der Hanna studiert, zeigte sich bestürzt und besorgt angesichts der Verhaftung und der Schwere der Vorwürfe. "Hanna S. ist eine herausragende, motivierte, anerkannte und integrierte Studierende, die für Ihre Arbeiten mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Zuletzt erhielt sie einen der Akademiepreise", sagt Petra Meyer von der Akademie der Bildenden Künste (AdBK). In Hannas Fall verweist die AdBK auf die Unschuldsvermutung und betont deren Wichtigkeit als Grundprinzip eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. "Jede Person, die einer Straftat beschuldigt wird, gilt so lange als unschuldig, bis ihre Schuld rechtskräftig nachgewiesen ist", sagt Meyer.

"Free Hanna": Demonstrationen und Protest in Nürnberg

Am vergangenen Samstag, 6. Juli, demonstrierten in Nürnberg nach Angaben der Organisatoren rund 500 Menschen für die Freilassung von Hanna und gegen ihre Auslieferung nach Ungarn. Laut Angaben des Polizeipräsidiums Mittelfranken waren es knapp unter 400 Teilnehmende. Die nächste Kundgebung ist bereits geplant: Am 18. Juli ab 18 Uhr kommt es zu einer Demonstration vor der Nürnberger JVA, in der Hanna mittlerweile seit über zwei Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Es wird bereits die vierte Kundgebung vor der JVA sein.

Plakat an der Fassade der Akademie der Bildenden Künste. SPD-Politiker Matthias Ecke wurde beim Plakatieren in Dresden angegriffen und kam mit schweren Verletzungen mehrere Tage ins Krankenhaus. Ecke habe einen Bruch des Jochbeins und der Augenhöhle sowie Hämatome im Gesicht erlitten, teilte der SPD-Landesverband Sachsen mit. Die Angreifer bewegen sich allesamt im Neonazi-Milieu und sind auf freiem Fuß.

Plakat an der Fassade der Akademie der Bildenden Künste. SPD-Politiker Matthias Ecke wurde beim Plakatieren in Dresden angegriffen und kam mit schweren Verletzungen mehrere Tage ins Krankenhaus. Ecke habe einen Bruch des Jochbeins und der Augenhöhle sowie Hämatome im Gesicht erlitten, teilte der SPD-Landesverband Sachsen mit. Die Angreifer bewegen sich allesamt im Neonazi-Milieu und sind auf freiem Fuß. © Elia Hupfer

Die Ermittlungen im Fall Hanna dauern derweil an, man könne derzeit keine weiteren Auskünfte, die über die Pressemitteilung vom 7. Mai hinausgehen, geben, hieß es am Freitag von einer Pressesprecherin der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Warum Auslieferungen nach Ungarn problematisch sind

Seit weit über zehn Jahren regiert Ministerpräsident Viktor Orbán in Ungarn. Über die Jahre warf die Fidesz-Regierung mehr und mehr demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien über Bord, sodass heute Ungarn eher einer Autokratie gleichkommt. Die Unabhängigkeit von Medien und Justiz wurde stark beschnitten. Immer wieder wurden unliebsame Richter und Staatsanwälte mit Disziplinarmaßnahmen und Suspendierungen eingeschüchtert. In der Vergangenheit wurden durch das EU-Parlament und die EU-Kommission immer wieder Mängel des ungarischen Rechtsstaats festgestellt. Die EU leitete gleich mehrere Verfahren gegen Ungarn ein.

Orbán erklärte die LGBTIQ+-Community zum Feind, seine Fidesz-Partei diskriminiert die besonders schutzbedürftige Gruppe. Beispielsweise darf in Schulen, Filmen oder Werbung nur über Heterosexualität gesprochen werden. Der Verkauf von Büchern, die LGBTIQ+-Themen behandeln, ist eingeschränkt. Die Diskriminierung ist im Fall der ausgelieferten Maja auch deshalb problematisch, weil sie sich als nicht-binär identifiziert.

Im Fall von Hanna zeigen sich ihre Familie sowie Freundinnen und Freunde besorgt: Sie fürchten, dass "Hanna einem unmenschlichen Justizsystem eines autokratischen Staates" ausgesetzt wird. Seit Jahren kritisieren Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International die Haftbedingungen in Ungarn scharf.