Diskussion um Legalisierung

Freigabe von Cannabis? Das meinen Experten aus Nürnberg dazu

Alexander Brock und Hartmut Voigt

Lokalredaktion Nürnberg

zur Autorenseite

29.10.2021, 05:55 Uhr
Der Cannabis-Konsum ist in Deutschland derzeit nur für medizinische Indikationen erlaubt.

© Jim Hollander/EPA/dpa Der Cannabis-Konsum ist in Deutschland derzeit nur für medizinische Indikationen erlaubt.

Die Nürnberger Drogenberatung Mudra legt Wert auf eine korrekte Unterscheidung: "Wir sind nicht für die Legalisierung von Cannabis, sondern für die kontrollierte Freigabe", betont Geschäftsführer Norbert Wittmann, "denn es ist entscheidend, Kontrolle auszuüben und Einfluss auf Qualität und Wirkstoffgehalt von Cannabis sowie auf den Jugendschutz zu nehmen."

In den vergangenen Jahren sei der Wirkstoffgehalt von Tetrahydrocannabinol (THC) von fünf bis acht Prozent auf über 40 Prozent gestiegen. "Das ist eine dramatische, hochgefährliche Entwicklung, weil diese psychoaktiven Substanzen schwere gesundheitliche Schäden auslösen können", unterstreicht der Sozialarbeiter, "die Jugendpsychiatrien sind voll."

Erleichterter Zugang zu jungen Menschen

Mediziner berichten über Panikattacken, Wahn- und Angstzustände, Psychosen und zeitweilige Verwirrtheit als Folgen von hochkonzentriertem THC-Konsum. Mudra-Geschäftsführer Wittmann sieht es als vorrangig an, Jugendliche über die Folgen dieser gefährlichen Substanzen aufzuklären.

Dass das Thema Cannabis-Konsum nun entkriminalisiert werde, erleichtere den Zugang zu jungen Menschen. Denn bei Klassenbesuchen des Mudra-Vertreters zeigten sich die Schüler in der Vergangenheit oft misstrauisch. Die Fragen dreht sich hauptsächlich um juristische Folgen von Cannabis-Besitz und weniger um mögliche gesundheitliche Probleme.

Auch die Nürnberger Suchtbeauftragte Andrea Freismidl hält eine begleitende Aufklärungskampagne für entscheidend. Durch die "Entstigmatisierung" von Cannabis-Konsum könnten Hilfs- und Gesprächsangebote Betroffene besser erreichen.

Staatliche Kontrolle bei der Einfuhr

Freismidl setzt auf die staatliche Kontrolle bei Einfuhr, Qualität und Verkauf des Rauschmittels. Cannabis dürfe nur in Apotheken oder dafür eigens lizensierten Geschäften an Jugendliche über 18 Jahren abgegeben werden. Falls die Kunden es an Heranwachsende unter 18 Jahren weiter verkaufen, sollte dies strafrechtliche Folgen haben.

Die staatliche Kontrolle könnte den Schwarzmarkt im Internet effektiver bekämpfen. Von dort wird verunreinigtes oder mit anderen Substanzen versetztes Cannabis in Umlauf gebracht. Das Argument, dass man mit einer Legalisierung den Weg in eine Drogenkarriere erleichtert, hält die Expertin nicht für stichhaltig. Studien aus anderen Ländern wie den Niederlanden oder Kanada hätten nicht festgestellt, dass der Konsum nach der Legalisierung nicht oben ging. "Wir müssen uns dem Cannabis-Konsum stellen, er ist auch in Deutschland seit Jahrzehnten bereits Realität", so Freismidl.

Einstiegsdroge Nr. 1

Strikt gegen eine Legalisierung und auch gegen eine kontrollierte Abgabe ist die Gewerkschaft der Polizei Bayern (GdP). "Wir halten die Legalisierung und Freigabe von Cannabis für einen gefährlichen Irrweg", erklärt GdP-Landesvorsitzender Peter Pytlik. Aus Sicht der Gewerkschaft sei das Rauschmittel noch immer die Einstiegsdroge Nr. 1. Der Vorsitzende verweist auf Fachleute, die vor gesundheitlichen Gefahren und Abhängigkeit warnen.

"Es ist auch ein Irrglaube, dass die Legalisierung eines verbotenen Stoffes die damit in Verbindung stehende Kriminalität reduziere. In Kanada und Holland sind die Legalisierungsprojekte gescheitert. Die Politik in Holland hat zwischenzeitlich erkannt, dass die damalige Entscheidung falsch war und heute mit erheblichen Risiken und Problemen einhergeht." So habe sich Holland heute zum größten Umschlagplatz für Drogen entwickelt. In Kanada habe sich die Zahl der Erstkonsumenten von Cannabis innerhalb eines Jahres fast verdoppelt. Pytlik warnt auch vor den Konsequenzen im Straßenverkehr, wenn die Droge legalisiert würde: "In Kanada gab in einer Befragung jeder vierte Cannabis-Nutzer zu, bereits einmal unter Drogeneinfluss gefahren zu sein."

THC-Gehalt hat sich verdoppelt

Auch das Polizeipräsidium Mittelfranken sieht in Cannabis eine Einstiegsdroge. Nach Auskunft des Präsidiums sank in den vergangenen Jahren das Alter der Erstkonsumenten. Das Problem: "Durch den frühen Erstkonsum steigt das Risiko einer späteren Drogenaffinität", heißt es. Nach wissenschaftlichen Studie ist der THC-Gehalt sowohl bei Haschisch als auch bei Marihuana in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. So hat sich der Gehalt des Wirkstoffes im Zeitraum von 2006 bis 2016 durchschnittlich mehr als verdoppelt - beim Haschisch stieg er von 8,14 auf 17,22 Prozent, bei Gras von fünf auf 10,22 Prozent.

Überdies besteht nach Auskunft des Präsidiums ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Cannabiskonsums und dem Konsum anderer Substanzen. "Je häufiger Cannabis eingenommen oder geraucht wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, andere illegale Drogen zu konsumieren", sagt Polizeisprecher Robert Sandmann. Wissenschaftlich belegen lasse sich zudem, dass das Risiko, an Psychosen zu erkranken, hoch sei. Darüber hinaus werde beobachtet, dass Cannabiskonsumenten "neurokognitive Störungen" entwickeln können. Das heißt: Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit lassen nach, Gedächtnis und Sprechfähigkeit können beeinträchtigt werden.

Für den GdP-Vorsitzenden Pytlik ist klar: "Wir brauchen keine Liberalisierung, sondern deutlich mehr Präventionsbemühungen und Aufklärung, um junge Menschen überhaupt nicht erst in die Gefahr eines Drogenkonsums zu bringen." ​​​