Homeschooling wegen Corona: Viele Eltern haben Probleme
23.3.2020, 05:28 UhrDer Tag beginnt mit Grundsatzdiskussionen: Warum muss das gleich nach dem Frühstück sein? Die Aufgaben kann man doch auch erst später machen und vorher ein bisschen am Handy spielen. Dazwischen klingelt ständig das Diensthandy. Einziger Trost: Die 16-jährige Tochter sitzt bereits am Schreibtisch und lernt, während der 12-jährige Sohn schimpft und das alles nicht versteht. Es ist eine Szene aus dem momentanen Alltag von Kerstin K. (Namen aller Familien geändert), die sich so oder so ähnlich in diesen Tagen auch in vielen anderen Familien abspielen dürfte.
Seitdem alle Schulen (und Kindertagesstätten) dicht sind, stecken viele Familien im Hamsterrad – egal, um welche Schule es sich handelt. Denn statt mit anderen in der Klasse, sitzen die Kinder nun zuhause und sollen sich dort den Stoff aneignen.
"Können Lehrkräften keine Vorschriften machen"
Der Start war holperig. Auch wenn Schulamtsdirektor Thomas Reichert sagt, dass man auf die Schließung gut vorbereitet gewesen sei. "Wir haben alle Materialien frühzeitig zur Verfügung gestellt", so Reichert. Dass jede Schule damit anders verfuhr und verfährt, wisse er. "Jede hat ihre Eigenheiten und Bedürfnisse. "Daher können wir den Lehrkräften keine Vorschriften machen." Mache Schulen verschickten Wochenpläne, andere gaben die Aufträge im Block bis zu den Ferien aus. Die einen schrieben die Eltern direkt an, andere informierten über die Homepage. Ein Vater, dessen achtjähriger Sohn die zweite Klasse im Nürnberger Osten besucht, musste sich hingegen selbst an die Schule wenden, um zu erfahren, wie es weitergehen soll. "Von denen kam tagelang gar nichts."
Inzwischen läuft vieles digital. Manche Lehrer nutzen Plattformen, andere schicken ihre Aufträge per Mail, liefern weiterführende Links. Dass zuweilen Lehrer einer Klasse unterschiedlich verfahren, macht es herausfordernder. "Es sind viele Kanäle, die man im Blick haben muss", so eine Mutter, deren Sohn die siebte Klasse des Gymnasiums besucht. "An den Mittelschulen sind viele Lehrer vormittags telefonisch für ihre Schüler erreichbar", ergänzt Markus Erlinger, Vorsitzender des Bayerischen Lehrer-und Lehrerinnenverbandes (BLLV) in Mittelfranken, der darauf verweist, dass die neue Situation auch für die Lehrer eine Herausforderung sei.
Auffangen im Familienalltag?
Ohnehin benachteiligte Kinder trifft die Situation besonders. Denn Bildungsgerechtigkeit hängt nach wie vor stark vom sozioökonomischen Status der Eltern ab. Wenn diese jetzt nicht helfen können, da sie zur Arbeit müssen, die Sprache nicht sprechen oder schlicht nicht in der Lage sind, geraten die Kinder noch mehr ins Hintertreffen. Auch Markus Erlinger will nichts beschönigen. "Viele Lehrer versuchen das durch den persönlichen Kontakt abzufangen. Aber auch das hat seine Grenzen." Die notwendige individuelle Förderung sei schwierig.
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Plötzlich soll im Familienalltag aufgefangen werden, was die Schule bis auf Weiteres nicht leisten kann. Ein Wahnsinn, wie Kerstin K. findet. "Zuhause ist es anders als in der Schule, und Eltern sind keine Lehrer. Ich fühle mich mit dem Berg an Lehrstoff überfordert und unter Druck gesetzt", sagt sie, die als leitende Angestellte in der Verwaltung tätig ist – und zudem alles als Alleinerziehende stemmen muss. Auch Lisa M. aus der Nordstadt, Mutter eines neunjährigen Mädchens, findet deutliche Worte. "Erschrocken bin ich, wie selbstverständlich das alles von Eltern erwartet wird. Und wie wenig reflektiert wird, was vonseiten der Schule aktiv angeboten werden könnte, wie E-Learning oder Videos, um Familien zu entlasten. Was noch viel wichtiger ist, den Lernfortschritt der Kinder zu gewährleisten und Ihnen ein Stück Klassenzimmer-Normalität zukommen zu lassen." Ihr Job als Leiterin einer PR-Abteilung lasse es im Moment nicht zu, ihre Tochter zu unterstützen – trotz Homeoffice. Das jüngere Kindergartenkind in der Familie beschäftigt sie dazwischen mit Lego und Hörspielen. Ihr Mann kommt erst spät heim.
Kinder dürfen keine Freunde treffen
Die Nürnberger Familientherapeutin Eva Maria Hesse spricht von einem neuen Druck in den Familien. "Schuld ist die Mehrbelastung und das enge Zusammensein", sagt sie. "Eltern wollen das alles gut machen, dürfen aber nicht vergessen, dass sie keine Lehrer sind." Sie rät den Eltern zu etwas mehr Gelassenheit. "Wenn es mal nicht so gut gelingt, dann ist das eben so", sagt sie. Familien sollten feste Strukturen finden. "Das hilft, um den Druck zu nehmen." Zudem werden dadurch freie Zeitfenster geschaffen. Auch Lisa M. achtet darauf, dass gleich nach dem Frühstück mit der Arbeit für die Schule begonnen wird. Besonders wichtig sei dann das gemeinsame Mittagessen in Ruhe – auch wenn sie das inzwischen bereits am Abend vorher kocht, um sich Luft zu verschaffen.
Dass die Kinder keine Freunde treffen dürfen, bleibt für alle eine zusätzliche Belastung. So sagt auch Anna M. über ihren neunjährigen Sohn Moritz: "Ich versuche ihn so gut es geht zu beschäftigen, aber da trifft ihn jetzt das Schicksal des Einzelkindes." Er habe einfach niemanden zum Spielen. "Das macht ihn sehr traurig und die Stimmung ist auf dem Nullpunkt." Auch hier rät Familientherapeutin Hesse zu Mitgefühl und Verständnis. "Man sollte das nicht kleinreden und Lösungen suchen." Etwa durch andere Formen der Kommunikation, wie Videoanrufe oder Telefon. "Es ist wichtig, dass Freunde ein Teil des Lebens bleiben." Und der Hinweis an die Kinder, dass alles irgendwann auch wieder anders wird.
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