Freiwilligendienst in Niger
Nürnberger Hebamme auf weiter Reise: "Ich habe Wunder erlebt!"
5.9.2021, 05:55 Uhr"Meine Zwillinge." Beim Blick auf das Foto bekommt Nathalie Kost glitzernde Augen. Zwei Neugeborene, mit bunten Stofftüchern verwurstelt, liegen da nebeneinander, das rechte boxt dem linken ins Gesicht. Das rechte ist das Mädchen, das fast ein Kilo leichter, mit der Nabelschnur um den Hals und entkräftet als zweites zur Welt kam. "Ich musste sie sehr lange reanimieren, aber sie war ein Kämpferkind. Sie zeigt’s ihrem Bruder, das freut mich!"
Gewusel bei 40 Grad
Die beiden Babys stammen aus der ersten Zwillingsgeburt, die Nathalie Kost in ihrem jungen Berufsleben als Hebamme leitete – in der Wüste 5000 Kilometer südlich von Nürnberg. Die 26-Jährige hat dieses Frühjahr bei einem Freiwilligeneinsatz in Niger verbracht. Mehr Gefühlsachterbahn, mehr Überwindungsmomente und Lebenserfahrung passen wohl kaum in drei Monate. Wo fängt man an zu erzählen?
Nathalie Kost beginnt mit ihrem ersten Arbeitstag im Missionskrankenhaus von Galmi, einem Dorf, in dem sie das Buschflugzeug abgesetzt hat. 40 Grad, Staub, Sonne. Sie sieht überall Menschen im Sand stehen, sitzen und laufen. Patienten, Angehörige, Mitarbeiter kreuzen auf dem Gelände mit den Bungalowgebäuden. Vergessen die Corona-Abstandsregeln, hier gibt es andere Probleme. Eigentlich soll sie die Räume und Kollegen gezeigt bekommen. Doch dann ist plötzlich die Hebamme nicht verfügbar; die Neue bekommt ein Baby aus einer Kaiserschnitt-OP in kritischem Zustand in die Arme gedrückt. Mach mal!
Das Krankenhaus wird vom internationalen Missionswerk "Serving in Mission" geführt. Eine Partnerorganisation, die Deutsche Missionsgemeinschaft, betreute Kosts Einsatz, den sie ehrenamtlich und mit ein paar Spenden aus dem Freundeskreis finanzierte. Die Nürnbergerin ist intensiv gläubige Christin, gehört einer freikirchlichen Gemeinschaft an. Ein kleines "Halleluja" steht auf der Tür zu ihrer Wohngemeinschaft in der Südstadt, sie trägt ein Kreuz am Halskettchen. Mit diesem optimistischen Blick aufs Leben blieb die junge Deutsche von einem Afrika-Kulturschock verschont. Zumal sie nach ihrem Abitur bereits ein Freiwilligenjahr in der Elfenbeinküste verbracht hatte.
Ultraschall ohne Erfahrung
Die Einarbeitung in Galmi wird nachgeholt. Doch schon nach einer guten Woche ist Nathalie Kost zeitweise öfter die einzige Hebamme im Dienst. "Das war der größte Stress für mich: allein verantwortlich zu sein für die gesamte Geburtsstation – wenn vielleicht gerade sieben Frauen gebären und noch fünf Aufnahmen kommen." Dazu kommen ihre zwangsweise improvisierten Ultraschall-Untersuchungen – in Deutschland ist Ultraschall Sache von Medizinern.
Ihre französischen Vokabeln aus der Geburtshilfe, die sie sich in einem Buch von "Ärzte ohne Grenzen" reingepaukt hatte, bringen ihr wenig, wo die meisten Schwangeren nur die Verkehrssprache Hausa verwenden. "Ich konnte nicht mal verstehen, warum manchmal alle lachten. Wir haben dann halt mit den Händen gesprochen", erinnert sie sich lachend. "Irgendwann konnte ich die Sätze ,Es dauert noch‘, ,Haben Sie schon Wehen?‘ und ,Ist Fruchtwasser abgegangen?‘"
Entwicklungsminister Müller fordert mehr Engagement in Afrika
Durchschnittlich sieben Kinder pro Frau
Der Niger ist nicht nur das geburtenreichste Land der Erde mit durchschnittlich sieben Kindern pro Frau, sondern hält auch den traurigen Armuts-Rekord. Auf der Skala des "Index für menschliche Entwicklung" der Vereinten Nationen belegt das Land in der Sahelzone den letzten Platz unter 189 Staaten. Das Krankenhaus von Galmi absorbiert daher die medizinischen Probleme einer ganzen verarmten Gesellschaft. Die Säuglingssterblichkeit ist 20-mal so hoch wie in Deutschland.
"Unter den 300 Mitarbeitern sind ungefähr 20 internationale Mediziner und Schwestern. Die Ausstattung ist alt, aber überraschend gut. Ich war erstaunt, wie hygienisch dort gearbeitet werden kann und wie viel Erfahrung das Personal hat", erzählt Kost. "Galmi gilt als Referenzkrankenhaus im Umkreis vieler Hundert Kilometer. Viele Patienten kommen erst, wenn ihnen anderswo nicht geholfen werden konnte."
Entsprechend schwere Geburtsverläufe bekam Nathalie Kost zu sehen. In Nürnberg betreut sie als freiberufliches Mitglied einer Hebammenpraxis in der Südstadt viele Hausgeburten. "Jetzt hatte ich plötzlich die krassesten Notfälle, von denen man hier nur im Buch liest." Und zwar täglich.
Die Frauen sind ganz still
Vorzeitige Plazenta-Ablösungen, Fehlbildungen, Infektionen. Krampfanfälle durch nicht behandelte "Schwangerschaftsvergiftungen", also Bluthochdruck-Erkrankungen. Gebärmutterrisse. Oder Totgeburten mit unklarer Ursache, vielleicht bedingt durch das Alter der Frau, die harte Feldarbeit, die Mangelernährung oder Blutdruckschwankungen, weil sie im Ramadan gefastet hat, unwissend, dass das in der Schwangerschaft Schaden anrichtet.
Unser Mitarbeiter Arndt Peltner mit Care Deutschland unterwegs im Niger
Oft ist die Frau noch nie untersucht worden, besitzt weder Krankenakte noch Mutterpass. Manche Schwangeren kommen in Begleitung einer älteren Nachbarin, die sich als Geburtsbegleiterin verdingt. Und auch der Gebärvorgang läuft kulturell anders ab, als Nathalie Kost es gewohnt ist. "Die Frauen sind dort ganz still und wirken emotional unbeteiligt Manchmal habe ich nur am Wackeln ihrer Füße ablesen können, wie weit sie sind."
"Ich habe in Galmi mehr denn je hoffen gelernt", sagt die junge Frau. Mit dem Beatmungsbeutel – der schon eine Macke hatte, aber mit dem richtigen Handgriff noch funktionierte – half sie vielen Säuglingen ins Leben. Manche starben trotzdem in ihren Armen. Tagebuchschreiben und das gute Miteinander auf dem Krankenhaus-Campus hätten ihr beim Verarbeiten geholfen. Bei aller Nachdenklichkeit habe sie das in ihrem Beruf bestärkt. "Wir stützen uns in Europa so auf technische Geräte. Woanders ist es nur der Überlebenswille und eine ordentliche Portion Gottes Hilfe, die zählen. Ich habe gebetet und Wunder erlebt."
Das Fernweh ist immer noch da
Zurück in Nürnberg, ist in Nathalie Kost ein Wunsch gereift: Sie will mittelfristig auswandern und für längere Zeit in Entwicklungsländern arbeiten. Ihr Antrieb ist dabei auch der christliche Glaube. "Ich will die gute Nachricht in die Welt tragen."
Ihre Befürchtung, sie könnte solange die Sorgen der Mütter im Spitzenmedizinland Deutschland – das die Schwangerschaft oft wie eine Krankheit behandelt - nicht mehr erst nehmen, habe sich nicht bewahrheitet. "Ich kann sie ja genauso gut verstehen." Wenn eine Frau Angst vor dem Krankenhaus habe, könne sie sie nun sogar besser beruhigen: Es sei ein Segen, dass es im Ernstfall jederzeit medizinische Hilfe gibt. "Ich war in Afrika und weiß, wie es auch laufen kann, sage ich dann."
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