Die Schweinauer Straße
Schützenswerte Schönheit in St. Leonhard: Baukunst in Nürnbergs Vorstadt
4.4.2023, 13:40 UhrVor über 120 Jahren wurde nahe dem Leonharder Friedhof aus Ackerland ein neues Stück Nürnberg. Heute zählen die Schweinauer Straße und ihr Umfeld zu den schönsten Vorortbereichen der Stadt – auch dank geistreicher Baukünstler, Stadtplaner und alteingesessener Gastronomie.
Erste Ansätze der neuen Vorstadt
Mit 3871 Einwohnern gehörte Sündersbühl 1895 zu den größten Gemeinden des Nürnberger Umlandes. Die Vorstadt, als die wir sie heute kennen, war damals erst in zarten Ansätzen auszumachen. Namentlich im Ortsteil St. Leonhard wuchsen an der Schwabacher und der Wilhelmstraße erste größere Mietshäuser in die Höhe.
Einsame Dreigeschosser
Als der Ort 1898 mit der Muttergemeinde zu Nürnberg kam, müssen die mächtigen Neorenaissance-Dreigeschosser Grünstraße 6 und Schweinauer Straße 31/33 noch ziemlich einsam in der Gegend herumgestanden sein. Ein Fragment der Großstadt – und eine Ankündigung dessen, was da kommen sollte.
Denn schon sechs Jahre später waren nicht nur die Schweinauer Straße, die man durch altes Ackerland trassiert hatte, sondern auch fast alle Häuser, die unsere historische Ansichtskarte zeigt, vollendet. Aus dem Bauerndorf von einst war binnen kurzer Zeit eine moderne Vorstadt geworden.
Verzierte Fassaden
Drei- bis viergeschossige Mietshäuser in geschlossener Bauweise bestimmen das Bild. Die vorwiegend in massivem Sandstein ausgeführten Fassaden zieren vor allem Elemente des Nürnberger Stils, der Merkmale der späten Gotik und der frühen Renaissance verbindet und den örtliche Baumeister und Architekten in den 1880er Jahren zu neuem Leben erweckten.
Schon immer eine Gastwirtschaft
Im Stadtteil allseits bekannt und beliebt ist das Haus ganz links (Nr. 38): Erbaut im Jahre 1900, beherbergte es von Beginn an eine Gastwirtschaft. Warum das Etablissement „Schloß Egg“ heißt, konnten auch wir nicht ergründen. Was wir wissen: Schon bald nach der Eröffnung übernahmen die Bauherrn und Eigentümer des Hauses – Maurermeister Franz Augustin und seine Frau Kreszentia – die Wirtschaft selbst und gaben ihr den noch heute gültigen Namen.
Gut möglich, dass die beiden aus der Nähe der märchenhaften Burg im Bayerischen Wald stammten und mit der Bezeichnung ein Stück der alten in die neue Heimat mitbrachten. Heute bietet das „Schloß Egg“ neben fränkischer Küche auch Spezialitäten aus Griechenland an.
Die Konkurrenz war nicht weit
Die Konkurrenz war früher nicht weit: Im Haus Nr. 34 (drittes von links, mit den fantastischen, jetzt leider gerupften Turmgauben) eröffnete Wirt Fritz Fischer im Jahre 1900 seine Bierkneipe „zum Königstiger“. Und schräg gegenüber in dem oben erwähnten Haus Nr. 33, das keck in die Straßenflucht hineinragt, trank und aß man seit 1903 in Georg Meidenbauers Restauration „Gravelotte“. Diesen merkwürdigen Namen wiederum können wir erklären, fand doch 1870 nahe dem lothringischen Dorf eine entscheidende Schlacht des Deutsch-Französischen Kriegs statt.
Die neue „Stadtteilkrone“ schuf der städtische Ingenieur Emanuel Schorr anno 1904 mit dem Volksschulhaus, das in der Bildmitte im Hintergrund aufragt. Der gewaltige Bau mit zwei Flügeln, Turnhalle, Dachreiter und reichem Dekor im Jugendstil ergänzte das 1850 erbaute und 1883 aufgestockte Gemeindeschulhaus in der Georgstraße 22, das heute als Kindergarten dient.
Schmückender Jugendstil
Um 1908 ergänzte Architekt Josef Dorner das Straßenbild um die Häuser Nr. 30 und 32 (links neben der Schule), deren Fassaden er mit klar umrissenem Ornamentschmuck im Jugendstil verzieren ließ. Das Monogramm „MR“ am Erker der Nr. 32 steht für den Bauherrn, den Zementwarenfabrikanten Mathias Riffelmacher. Zuletzt kam das breitgelagerte Mietshaus Schweinauer Straße 36, gleich neben dem „Schloß Egg“, hinzu. Leider hat man dem an sich vornehmen Bau im Reformstil bei einer missglückten Renovierung Teile des geometrischen Fassadenschmucks geraubt.
Geschlossenes Gewand
Insgesamt aber sind die Schweinauer Straße und die gesamten Straßenzüge im westlichen St. Leonhard so geschlossen in ihrem historischen Gewand erhalten, dass sie heute Ensembleschutz genießen. Dass man sich hier heute ähnlich gerne aufhält wie zu Zeiten unserer Ansichtskarte aus der Zeit um 1935, liegt auch daran, dass die Stadt das Teilstück der Schweinauer Straße zwischen Grün- und Orffstraße als Fußgängerzone ausgewiesen hat und hier seit 1984 die Zugänge zum U-Bahnhof St. Leonhard liegen.
Dass das Ganze in punkto „rücksichtsvolles Miteinander“ noch verbesserungsfähig ist, zeigen jüngere Konflikte um Lärm bis spät in die Nacht, Vermüllung und wildes Parken. Wollen wir hoffen, dass auch das sich noch einrenken wird – zum Wohle eines wunderbaren Vorstadtstraßenbildes und natürlich seiner Bewohnerinnen und Bewohner.
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