Finanzierungsprobleme

Tag gegen Gewalt an Frauen: Femizide, Hilfsangebote, Frauenhäuser - wie ist die Lage in Nürnberg?

Alicia Kohl

Redakteurin

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25.11.2024, 05:00 Uhr
Die Gewalt an Frauen steigt an.

© IMAGO/Zoonar.com/blackday/IMAGO/Zoonar Die Gewalt an Frauen steigt an.

Frauen sind vermehrt Opfer von Gewalt - einfach, weil sie Frauen sind. Ein Teil dieser Gewalt endet in Mord. 360 Frauen wurden laut einem neuen Lagebild zu Straftaten gegen Frauen und Mädchen vom Bundeskriminalamt im Jahr 2023 in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner oder einem Familienmitglied getötet. Das bedeutet: Fast jeden bis jeden zweiten Tag bringt ein Mann eine Frau um - rein aufgrund ihres Geschlechts. Hedwig Schouten, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Nürnberg, nennt das eine "erschreckende Zahl".

Es gibt einen Fachbegriff dafür: Femizide. Im Vergleich zum Vorjahr ist diese Zahl um ein Prozent gestiegen. Dazu kommen noch Sexualstraftaten, denen Frauen und Mädchen besonders häufig zum Opfer fallen. 2023 wurden 52.330 Frauen und Mädchen Opfer solcher Straftaten, über die Hälfte der Betroffenen war unter 18 Jahre alt. Das sind 6,2 Prozent mehr als 2022. Mit 70,2 Prozent sind Frauen außerdem die weit überwiegende Zahl der Opfer von häusliche Gewalt. Die Zahl der weiblichen Opfer stieg 2023 um 5,6 Prozent auf 180.715 an. Alle drei Minuten erlebt eine Frau häusliche Gewalt. Dazu zählt hierbei sowohl Partnerschaftsgewalt als auch innerfamiliäre Gewalt.

Trotzdem geht immer wieder unter, dass es in diesen Fällen nicht aus Versehen Frauen getroffen hat. Damit das gesehen und in Zukunft mehr dagegen getan wird, gibt es den Tag gegen Gewalt an Frauen. Jedes Jahr wird der 25. November als Gedenk- und Aktionstag genutzt, um Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen zu bekämpfen.

Frauenhäuser sind dringend auf Spenden angewiesen

Die Organisationen, Vereine und Initiativen, die den größten Teil dieser Arbeit leisten, sind extrem unterfinanziert. In Bayern gibt es aktuell kein Gesetz, sondern nur eine Richtlinie: Danach zahlt der Freistaat für Schutzeinrichtungen für Frauen 45 Prozent der Personalkosten. Die Zahlungen des Landes sind laut Barbara Grill vom Frauenhaus Nürnberg aber nicht den Erhöhungen im Personalsektor angepasst, sodass Bayern jetzt nur noch etwa ein Drittel zahlt. Den Rest plus Sachkosten trägt der Richtlinie entsprechend die Kommune. "Wir sind in Nürnberg vergleichsweise gut versorgt, weil der Stadt das auch wichtig ist", sagt Grill. Trotzdem wisse die Stadt aktuell auch nicht, wie sie das finanzieren soll.

Zusätzlich müssen die Frauenhäuser selbst noch zehn Prozent generieren. "Wir sind also dringend auf Spenden angewiesen", so Grill. Auch die Einrichtung des Hauses selbst wird nicht staatlich getragen. Und mit 22 Beschäftigten für alle Projekte und Beratungsangebote arbeitet das Frauenhaus Nürnberg schon mit der sowieso niedrigen Mindestanforderung der Richtlinie. Werden das weniger, fällt die Finanzierung vom Freistaat weg.

Gewalthilfegesetz würde helfen

Diese Situation soll das Gewalthilfegesetz ändern. Das sieht eine Finanzierung von Frauenhäusern und Schutzeinrichtungen auf Bundesebene vor. Laut Barbara Grill lag das allerdings seit Anfang des Jahres "unbearbeitet oder blockiert" beim jetzt ehemaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner. Im Endeffekt sei der Gesetzesentwurf fertig und liege auch schon bei den Ländern zur Abstimmung. Die CDU/CSU müsse sechs Jahre nach dem Eintreten der Istanbul-Konvention - einem internationalen Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen - aber noch zustimmen, damit es in Kraft treten kann.

Die Frauenhäuser kämpfen aber nicht nur mit Kosten- und Personalnot, es gibt auch insgesamt zu wenige Einrichtungen beziehungsweise zu wenige Plätze. Das Frauenhaus Nürnberg hat 21 für Frauen und 25 zusätzlich für deren Kinder. Aktuell sind alle besetzt, vier Frauen stehen schon auf der Warteliste. Bayernweit gibt es 389 Plätze für Frauen in Frauenhäusern, im Moment ist ein einziger in Nordschwaben frei. Bei akuter Gefahr fahre die Polizei von Nürnberg auch mal bis nach Würzburg, um eine Frau sicher unterzubringen. "Das alles macht deutlich, wie die Lage ist", sagt Grill.

Frauenhäuser gehören zu den freiwilligen Leistungen, aber "das, was wir machen, ist kein Hobby, sondern eine staatliche Aufgabe", so Grill. Die Situation sei eine "Skurrilität". Es würde schließlich auch niemand auf die Idee kommen, die Straßenreinigung zehn Prozent Eigenbeteiligung zahlen zu lassen.

Für Frauen sei es sowieso schon ein großer Schritt, in ein Frauenhaus zu gehen, sagt Barbara Grill vom Frauenhaus Nürnberg. Sie müssen entscheiden, ob sie sich und möglicherweise auch ihre Kinder aus dem sozialen Umfeld reißen, wie sie sich trennen und dabei einer Eskalation der Gewalt entgehen. Die Suche nach einem freien Platz in einem Frauenhaus sei laut Grill noch eine zusätzliche Belastung.

Schwere finanzielle Lage für Stadt Nürnberg und Hilfseinrichtungen

Die Stadt Nürnberg versucht laut Hedwig Schouten, sich neben der Finanzierung der Frauenhäuser gegen Gewalt an Frauen und Mädchen einzusetzen. Im September 2024 hat der Stadtrat einstimmig den fünften Gleichstellungsaktionsplan verabschiedet. Mit verschiedenen Maßnahmen wolle die Stadt Betroffene unterstützen, die Gesellschaft sensibilisieren und Hilfsangebote bekannter machen.

Schouten bestätigt, dass die finanzielle Lage der Frauenhäuser und Fachberatungsstellen nicht gut ist. Das Geld von der Stadt Nürnberg, die aktuell selbst sparen muss, und vom Freistaat Bayern reicht nicht aus, um die Angebote zu stützen. Viele Vereine kämpfen ums Überleben. "Hier sollte das dringend benötigte Gewalthilfegesetz auf Bundesebene ansetzen", sagt auch Schouten, "Ich hoffe sehr, dass dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird."

Auch Aura hofft auf dieses Gewalthilfegesetz für eine bundesweite Finanzierung des Frauenunterstützungssystems. Zusätzlich setzt Aura laut Katha Schulz, Sozialpädagogin bei Aura, Hoffnungen auf einen positiven Beschluss beim Haushalt der Stadt Nürnberg, der aktuell verhandelt wird. Hier gehe es auch um die richtige Prioritätensetzung der Politik bei der Verteilung der Gelder. "Der Widerspruch zwischen dem umfassenden Aktionsplan und der unsichereren Finanzierung unserer Einrichtung bleibt sonst bestehen", sagt Schulz.

Die Kursleiterinnen und die Mitarbeitenden in Verwaltung und Organisation seien permanent überlastet und der Verein wirtschafte unter hohem finanziellem Druck, heißt es von Aura. Im Gegenzug dazu würden die Anfragen zu Kursen und Beratungsangeboten ansteigen. "Es braucht personelle Ressourcen für ein Weiterleben von Gewaltschutz und Gewaltprävention in Nürnberg", so Aura.

Denn die Zahlen sind unglaublich hoch und aktuell sogar am Steigen. Im Bereich Nürnberg konkret kam es laut Zahlen des Polizeipräsidiums Mittelfranken 2023 zu 1097 Fällen von Partnerschaftsgewalt. In einer überwiegenden Mehrheit der Fälle waren hier Frauen die Geschädigten. Die Anzahl der Fälle, in der Männer betroffen waren, seien prozentual gesehen gering. Genauso sieht es bei den Sexualstraftaten aus. Im Raum Nürnberg kam es zu insgesamt 818 Fällen, dazu zählen Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen, Übergriffe, Belästigungen, Beleidigungen und exhibitionistische Handlungen, aber auch das Verbreiten pornografischer Schriften.

Neben dem Frauenhaus Nürnberg und Aura gibt es noch weitere Anlaufstellen für gewaltbetroffene Frauen in Nürnberg. Das Frauenhaus Hagar der Caritas bietet ebenfalls Wohnmöglichkeiten und Unterstützung für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Die frauenBeratung Nürnberg, Lilith, Wildwasser und Aura bieten unter anderem Beratung für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen.

Gewalt an Frauen geschieht meist im Verborgenen und hat viele Gesichter. Psychische, physische oder sexuelle Gewalt kann jede Frau betreffen. Stalking, Schläge oder Missbrauch sind oft nur ein Teil davon. Wenn auch Sie das Gefühl haben betroffen zu sein, können Sie die kostenlose Nummer des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" wählen. Unter der 08000/116016 haben Sie die Möglichkeit, rund um die Uhr anonym und vertraulich Kontakt zu Beraterinnen aufzunehmen. Die Beratung kann auch über einen Online-Chat oder per E-Mail erfolgen. Das Frauenhaus in Nürnberg erreichen Sie ebenfalls 24 Stunden am Tag unter der 0911/333915, das Frauenhaus in Fürth rund um die Uhr unter 0911/729008. Von Gewalt betroffene Männer können sich beim "Hilfetelefon Gewalt an Männern" unter der 0800/1239900 ebenfalls Unterstützung suchen.