Corona-Demo
Verstöße auf Corona-Demos: Geldstrafe für Umarmungen
15.5.2021, 06:00 Uhr"Corona hat mir alles genommen." Er verdiente seine Brötchen als Türsteher und selbständiger Süßigkeitenverkäufer, doch seit diese Pandemie die Gesellschaft plagt, ist der 44-Jährige auf Sozialleistungen angewiesen.
"Ich wollte wenigstens meine Grundrechte verteidigen", sagt er nun vor dem Amtsgericht - daher habe er vor einem Jahr zu Kundgebungen aufgerufen. Ende Mai 2020 meldete er eine Demo im Westpark an, Mitte Juni 2020 folgte eine weitere Kundgebung im Archivpark. "Ich wollte nur meine Meinung sagen. Und nun stehe ich hier, weil ich für meine Rechte aufgestanden bin", wettert er.
Doch auf diese Diskussion lässt sich Amtsrichterin Sabine Pilartz nicht ein: "Es ist nicht meine Aufgabe, die Meinung des Angeklagten zu beurteilen, und das habe ich auch nicht vor."
Verstoß gegen das Versammlungsgesetz
Seine Meinung wird nicht diskutiert, und schon gar nicht zensiert. In diesem Strafverfahren wird nur geprüft, ob er Gesetze missachtet hat, und der Vorwurf hier meint einen Verstoß gegen das Bayerische Versammlungsgesetz.
Auch wenn das Virus unsere Gesellschaft im Griff hat, bleiben Versammlungen erlaubt - doch dabei werden bestimmte Auflagen erteilt: Etwa die Pflicht, eine Maske zu tragen und Abstände einzuhalten.
Juristisch formuliert: Der Staat hat die Aufgabe, einen Ausgleich zwischen effektivem Infektionsschutz und geringstmöglichen Freiheitsbeschränkungen zu finden. Und eben dieser Spagat zeigt sich in der Nürnberger Kommunalpolitik deutlich mit Blick auf die Versammlungsfreiheit: Seit Frühjahr 2020 wird fast täglich in der Stadt demonstriert.
Auch in Corona-Zeiten sind Demos erlaubt
Versammlungen sind Grundrechtsausübungen, die Stadt muss und will daher Widerspruch ermöglichen. Doch sie begrenzt die Teilnehmerzahlen von Versammlungen und verlangt, die AHA-Regeln zu beachten - so verträgt sich eine Demo mit den Infektionsschutzmaßnahmen.
So auch in diesem Fall. Als Versammlungsleiter konnte der Nürnberger im vergangenen Jahr seine Kundgebung mit bis zu 200 Menschen abhalten. Doch er war gefordert, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mitzuteilen, dass eineinhalb Meter Abstand zu wahren seien, und keiner durfte mit Flugblättern durch die Reihen gehen. Sollte es Flyer geben, durften diese nur zur Selbstabholung auf einem Stapel liegen. Würde ein Megaphon verwendet, musste es eine Folie als Spuckschutz bekommen.
Gericht verhängt Geldstrafe
Doch der Nürnberger hielt sich nicht an alle Auflagen: Etwa 30 bis 50 Menschen waren seinem Aufruf gefolgt, und weil unter den Teilnehmern viele Bekannte und Freunde von ihm waren, umarmte er einige, anderen gab er zur Begrüßung die Hand. "Das ist doch nur eine freundliche Geste, so haben mich meine Eltern erzogen!" Doch in Infektionszeiten ist es nicht unhöflich, auf soziale Sitten zu verzichten und als Versammlungsleiter missachtete er die Infektionsgefahr und verstieß gegen die Auflagen der Versammlung.
Die Teilnehmer waren friedlich, so bestätigen mehrere Polizisten im Zeugenstand. Doch ihre Mahnungen, die Abstandsregeln einzuhalten, stießen bereits im Mai im Westpark nicht auf Gehör. Und auch im Juni im Archivpark umarmten sich die Menschen und klatschen sich zur Begrüßung lässig mit den Handflächen ab.
Infiziert habe sich bei keiner der beiden Demos ein Teilnehmer, sagt der Angeklagte heute. Seinen Verstoß gibt er zu - und weil er massiv vorbestraft ist, fällt die Geldstrafe für ihn hoch aus: 90 Tagessätze zu jeweils 15 Euro (1350 Euro) verhängt das Gericht. Für ihn als Hartz-IV-Empfänger eine hohe Summe, er darf die Strafe in Raten zahlen. Geldstrafen werden nach Tagessätzen verhängt, um Menschen mit unterschiedlichem Einkommen verhältnismäßig gleich hart zu bestrafen. Dazu wird das Einkommen eruiert, das durchschnittliche Einkommen pro Tag errechnet. Im Urteil werden dann Anzahl und Höhe der Tagessätze angegeben - in seinem Fall sind drei Monatseinkommen gemeint.
Polonaise am Nürnberger Hauptmarkt
Die Alternative, gemeinnützige Arbeitsstunden zu verhängen statt einer Geldstrafe, ist in Corona-Zeiten schwer umzusetzen. Die Hygiene-Konzepte vieler Einrichtungen lassen es nicht zu.
Weitere Strafverfahren wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Versammlungsgesetz dürften folgen: Anfang Januar tanzten etwa 300 bis 500 Kritiker der Anti-Corona-Maßnahmen am Nürnberger Hauptmarkt Polonaise, nur wenige von ihnen trugen einen Mund-Nasen-Schutz und hielten den Abstand ein. 117 Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz stellte die Polizei damals fest. Neben diesen Ordnungswidrigkeiten wurden in zehn Fällen Strafverfahren eingeleitet.
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