Kritische Fragen

"Das kann ein Mensch nicht aushalten": Emotionale Mahnwache für erschossenen Mohammad in Lauf

Azeglio Elia Hupfer

nordbayern-Redaktion

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20.7.2024, 04:59 Uhr
Mahnwache am Marktplatz in Lauf: Freunde und Bekannte von Mohammad halten Fotografien, die Mohammad zeigen, hoch. Im Anschluss wurden die Fotos mit einem gerahmten Bild und zwei Kerzen auf dem Boden platziert.

© Elia Hupfer Mahnwache am Marktplatz in Lauf: Freunde und Bekannte von Mohammad halten Fotografien, die Mohammad zeigen, hoch. Im Anschluss wurden die Fotos mit einem gerahmten Bild und zwei Kerzen auf dem Boden platziert.

Am Freitagnachmittag versammeln sich am Laufer Marktplatz Freundinnen und Freunde, Bekannte, Politikerinnen und Politiker sowie Vertretende von unterschiedlichen Organisationen zu einer Mahnwache in Gedenken an Mohammad. Der 34-Jährige wurde am 30. Juni in Lauf durch den Schuss einer Bundespolizistin getötet. Zuvor soll es nach Angaben der Polizei zu einem Messerangriff durch Mohammad auf die Streife gekommen sein.

Zum Zeitpunkt der Versammlung dauern die Ermittlungen der Behörden in dem Fall weiter an. "Derzeit gibt es keinen neuen Sachstand", teilt Daniel Hader von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth auf Nachfrage unserer Redaktion am Freitagnachmittag mit. Während also auch zum dritten Wochenende nach dem tödlichen Schuss der Tathergang und die genauen Umstände von Mohammads Tod der Öffentlichkeit ein Rätsel bleiben, wird das Bild von dem Menschen Mohammad vielschichtiger.

"Das kann ein Mensch nicht aushalten"

Eine der Rednerinnen am Freitag ist Mechthild vom Mehrgenerationenhaus Nürnberger Land. Das Mehrgenerationenhaus des Landkreises steht in Röthenbach. Mohammad, der in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Röthenbach lebte, war regelmäßiger Besucher im Mehrgenerationenhaus, zum einen, um sich Unterstützung zu holen, zum anderen, um einfach zu reden, die Mitarbeitenden zu treffen, erzählt Mechthild, die den 34-Jährigen früh nach seiner Ankunft in Röthenbach kennenlernte. Die beiden kannten sich mindestens acht Jahre.

Mechthild spricht zu den etwa 50 an der Mahnwache teilnehmenden Personen.

Mechthild spricht zu den etwa 50 an der Mahnwache teilnehmenden Personen. © Elia Hupfer

"Mohammad war ein sehr höflicher, ein sehr freundlicher und ein sehr hilfsbereiter Mensch. Er kam sehr motiviert nach Deutschland", erzählt Mechthild, die den Tod von Mohammad "irgendwie kommen sehen" hat. Die Umstände seines Todes hätten sie allerdings überrascht. Mohammad harrte seit 2015 in einem Mehrbettzimmer in der Röthenbacher Unterkunft aus. Mechthild erzählt von vielen Bekannten Mohammads, die in all den Jahren ausziehen konnten, weil sie arbeiten durften, weil sie einen Aufenthalt bekamen. Mohammad bekam dagegen nur eine Duldung, er durfte nicht arbeiten. "Immer wieder haben wir beim Landratsamt um eine Arbeitserlaubnis gebeten. Mohammad wollte arbeiten, er wollte sich nicht drücken vor einer Arbeit, er hätte vieles darum gegeben, eine Arbeit zu haben, aber er durfte nicht."

Tag für Tag hätte Mohammad in der Unterkunft seine Zeit "irgendwie herum bringen" müssen, ohne Aufgaben, ohne selbstwirksam sein zu können, ohne Ablenkung und ohne Perspektive, dass sich das ändern könnte. "Das machte ihn mürbe. Das kann ein Mensch nicht aushalten. Er war zur Untätigkeit verdammt", sagt Mechthild. "Neun Jahre ohne Arbeitserlaubnis, zum Nichtstun durch Staatsgesetze verurteilt", fasst Klaus Roese von der Linken Liste Nürnberg in seiner Rede zusammen und forderte von der Politik die Abschaffung der Arbeitsverbote für Geflüchtete.

"Mein Geist ist tot"

"Er wollte nur die Arbeitserlaubnis und wäre damit zufrieden gewesen", berichtet auch Asghar, der 2015 aus dem Iran nach Deutschland kam und Mohammad 2019 kennengelernt hatte. "Mohammad und ich sind beide aus dem Iran geflohen, weil wir Angst vor der Diktatur dort hatten." Mohammad suchte Ablenkung und Seelenheil im Sport, ging nach Angaben von Freunden und Bekannten oft ins Fitnessstudio und war Mitglied in einer evangelischen Freikirche. Doch zuletzt schien das auch nicht mehr zu helfen, wie aus Gesprächen am Freitag mit Freunden und Bekannten hervorgeht.

Mechthild erinnert sich an die Wochen vor Mohammads Tod. "In den letzten Wochen war Mohammad verändert, er war in sich gekehrt." Er hätte die Situation nicht mehr ertragen und seinen Freunden gesagt: "Mein Geist ist tot". Auch Asghar berichtet von der Verzweiflung Mohammads, er sei fix und fertig gewesen.

Polizei ermittelt gegen sich selbst

Der Bayerische Flüchtlingsrat war am Freitag am Marktplatz ebenfalls vertreten und forderte erneut die lückenlose Aufklärung des Tathergangs und des Todes von Mohammad. "Wie sah der Angriff aus, war in dieser Situation ein Schuss wirklich unvermeidbar? Wie kann es sein, dass drei Polizist:innen diese Situation nur mit einem tödlichen Schuss klären konnten", fragt die Rednerin des Flüchtlingsrats. "Wir kritisieren, dass bei derartigen Vorfällen die Polizei gegen sich selbst ermittelt". Der Flüchtlingsrat fordert eine unabhängige Stelle, die in solchen Fällen unvoreingenommen die vollumfängliche Aufklärung übernimmt.

In Bayern führt bei einem Schusswaffengebrauch das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) die Ermittlungen durch, speziell die Abteilung für interne Ermittlungen. "Die Ermittlungen werden unabhängig von den eigentlich betroffenen Dienststellen durchgeführt, eben um Objektivität und Unparteilichkeit sicherzustellen", erklärt Jürgen Köhnlein auf Nachfrage unserer Redaktion. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft sieht kein Problem darin, dass Polizisten gegen Polizisten ermitteln: "Die Ermittlungen durch das BLKA haben sich bei uns bewährt."

Einen Redebeitrag gab es im Rahmen der Mahnwache auch von der Karawane Nürnberg.

Einen Redebeitrag gab es im Rahmen der Mahnwache auch von der Karawane Nürnberg. © Elia Hupfer

In der insgesamt sechsminütigen Rede sagt die Sprecherin des Flüchtlingsrates unter anderem noch: "Polizeigewalt, Racial Profiling und Diskriminierung durch Polizeibeamt:innen betrifft überdurchschnittlich geflüchtete und rassifizierte Personen - das ist strukturell bedingt. Auch wenn die genauen Umstände zu dem Tod von Mohammad noch nicht vorliegen, gilt es diese Realität zu kritisieren und dafür Sorge zu tragen, dass diese Strukturen verändert werden."

"Menschlich bleiben"

Mechthild vom Mehrgenerationenhaus in Röthenbach nutze ihre Rede zum Abschluss noch für mahnende Worte: "Ich möchte die Politik mahnen, dass sie ihre Spielräume nutzt, wenn einzelne Geflüchtete in der Sackgasse stecken. Ich möchte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ausländerbehörden bitten, alle Geflüchteten arbeiten zu lassen und ich möchte uns alle mahnen, dass wir menschlich bleiben. Jeder Geflüchtete ist ein Mensch wie du und ich, sie hatten nur nicht das Glück, in Europa geboren zu sein."