Peggy-Prozess: Chef-Ermittler weist Folter-Vorwurf zurück

11.4.2014, 19:49 Uhr
Ulvi Kulac (links) am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Bayreuth.

© Timm Schamberger/dpa Ulvi Kulac (links) am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Bayreuth.

Das Medieninteresse ist auch am zweiten Prozesstag im Wiederaufnahmeverfahren gegen Ulvi Kulac ungebrochen. Kulac wird beim Betreten des Gerichtsaals mit einem Blitzlichtgewitter empfangen. Von den vielen Zuhörer gibt es, wie auch schon am Donnerstag, vereinzelt Applaus.

Das Landgericht hörte am Freitag die Zeugenaussagen des ehemaligen Chef-Ermittlers Wolfgang Geier sowie des  zuständigen Profilers. Außerdem wurde ein Video zur Ortsbegehung gezeigt.

Ehemaliger Soko-Leiter erläutert Ermittlungen

Wolfgang Geier beschäftigte sich in der Soko 2 von Ende Februar bis Oktober 2002 mit dem Fall Peggy. Der damalige Soko-Leiter erklärte, dass in den ersten fünf Wochen 21.000 Datensätze und 4.017 Spuren durchgearbeitet wurden. Im April 2002 begann die Soko dann, die Zeugenaussagen und Alibis zu überprüfen. Geier berichtete, dass die zuständigen Beamten Probleme mit den Ortbewohnern hatten. Diese hätten die Ermittlungen abgelehnt.

Im Rahmen dieser Ermittlungen geriet Kulac immer mehr ins Visier der Ermittler, da sein Bewegungsprofil Übereinstimmungen mit dem von Peggy zeigte. Geier erläuterte, dass Kulac am Tag des Verschwindens am Henri-Mateau-Platz in Lichtenberg um die Mittagszeit auf einer Bank saß. Genau an diesem Ort lief Peggy vorbei, als sie von der Schule kam.

Der damalige Chef-Ermittler Wolfgang Geier bestreitet Foltermethoden im Ermittlungsverfahren gegen Ulvi Kulac.

Der damalige Chef-Ermittler Wolfgang Geier bestreitet Foltermethoden im Ermittlungsverfahren gegen Ulvi Kulac. © dpa

Laut Geiers Überzeugung  soll Kulac am 3. Mai, vier Tage vor Peggys Verschwinden, das Mädchen vergewaltigt haben. Er wollte sich am Tag des Verschwindens bei der damals Neunjährigen entschuldigen und lief ihr nach. Die Situation sei dann eskaliert und Kulac habe das Mädchen schließlich umgebracht.

Der ehemalige Chef-Ermittler erklärte, dass die Vergewaltigung ein tragfähiges Motiv gewesen und außerdem Kulacs Alibi geplatzt sei. Hinzu kam, dass alle anderen 13 Verdächtigen entweder ein Alibi hatten oder nicht vor Ort waren. Bei Kulac gab es dagegen Zeugen, die ihn auf besagtem Platz gesehen haben wollen.

Ermittler wollten enspannte Atmosphäre schaffen

Geier berichtete außerdem, dass bei den Ermittlungen extra ein Polizist aus Kulacs Heimatstadt hinzugezogen wurde, der kein Mitglied der Soko war. Damit wollte man sichergehen, dass der Tatverdächtige jemanden kennt. "Wir wussten: Ein lautes Schimpfwort an den Angeklagten und er senkt den Kopf und sagt kein Wort mehr."

Der Kriminalbeamte wollte nach eigener Aussage eine angenehme Atmosphäre für Kulac schaffen: "Der einzige, der ihn bei den Verhörterminen angeschrien hat, war sein eigener Rechtsanwalt." Ein deutlicher Widerspruch zur Aussage der Verteidigung, die den damaligen Ermittlern am Donnerstag Foltermethoden bei der Befragung vorgeworfen hatte.

Geier erklärte auch, warum nur es nur ein Schuldgeständnis gibt, dass in Abwesenheit von Kulacs Anwalt zustande kam. "Es wurde versucht, das Geständnis im Beisein seines Rechtsanwalts zu wiederholen, die Termine wurden aber alle vom Rechtsanwalt abgesagt." Der Verteidiger sei dann in den Urlaub gefahren.

Der ehemalige Soko-Leiter berichtete vor Gericht, Kulacs Rechtsanwalt habe seinem Mandanten zudem geraten, er solle alles machen, was die Ermittler ihm sagen. Gegenüber Beamten soll er außerdem erklärt haben, er sei sich zu 75 Prozent sicher, dass Kulac der Mörder ist.

Profiler beschreibt Tathergangshypothese

Bereits vorher hatte der 40-jährige Alexander Horn vor dem Landgericht Bayreuth ausgesagt. Er war Profiler im Fall Peggy und stellte Tathergangshypothesen auf, in denen er versuchte den Tatablauf zu rekonstruieren. Er wurde erstmalig im Mai 2001, zehn Tage nach Peggys Verschwinden, in den Fall einbezogen.

Horn erklärte vor Gericht, dass zunächst Fragen aufgeworfen wurden, was passiert sein könnte. Als mögliche Szenarien wurden ein freiwilliges Verschwinden, ein möglicher Unfall aber auch Entführung oder Erpressung in Betracht gezogen. Der Profiler berichtete weiter, dass auch ein Tötungsdelikt mit einer Sexualstraftat in Erwägung gezogen wurde. Laut Studien sei beim Verschwinden eines Kindes höchstwahrscheinlich eine Sexualstraftat der Hintergrund. Statistisch sei dies das wahrscheinlichste Szenario gewesen.

In einem nächsten Schritt überlegte der Profiler, woher der mögliche Täter kommen könnte. Dabei unterschied er vier Profile: Zunächst gibt es Personen, die zum persönlichen Umfeld des Opfers gehören. Dann gibt es Täter, die nicht zu diesem Kreis gehören, die das spätere Opfer aber kennt. Die dritte Gruppe sind Personen, die am Tatort waren und die letzte völlig fremde Menschen - dies ist allerdings die Ausnahme. 

All diese Überlegungen wurde nach Aussage Horns in der Soko 1 durchgeführt, in der keine wirkliche Hypothese aufgestellt werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt geriet Kulac aus dem Fokus der Ermittlungen. Auch in der neuen Soko 2 trat Horn wieder als Profiler auf. Er äußerte sich vor Gericht vage, dass angenommen wurde, dass Peggy nicht mehr in der Wohnung war. Indizien hierfür waren das Fehlen des Schulranzens. Zudem wurde ein hergerichtetes Essen nicht angerührt.

Video zeigt Ortsbegehung mit Kulac

Außerdem wurde vor Gericht ein Video gezeigt, das in einem Wald spielt. Die Darsteller sind Kulac und diverse Polizisten. Kulac zeigt in der Aufnahme die Plätze, wo er Peggy verfolgt und später dann versteckt haben will. Er ist mit einem vertrauensseeligen Blick zu sehen und sagt selbst nicht viel. Wenn, dann sagt er immer nur "ja".

Auffällig ist, dass die Beamten Kulac abwechselnd siezen und duzen. Der Ton der Aufnahmen ist zudem sehr schlecht. Kulacs Rechtsanwalt war bei den Ortsbegehungen nie dabei. Es wurde in dem Video aber davon gesprochen, ihn auf dem Handy zu kontaktieren. 

Ulvi Kulac war im April 2004 als Mörder Peggys zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Eine Leiche des Mädchens wurde nie gefunden. Der Fall wird neu aufgerollt, weil ein Belastungszeuge eingeräumt hatte, beim ersten Prozess falsch ausgesagt zu haben. Außerdem sollen die Ermittler Ulvi Kulac bei seinem damaligen Geständnis beeinflusst haben.

Der Artikel wird am 11. April laufend aktualisiert.

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