Krebs in der Schwangerschaft: Linda lässt sich nicht unterkriegen
6.2.2021, 15:00 UhrKeine große Sache sei´s gewesen, als die Krise sich bei Linda ankündigte. Kein weltweit wütendes Virus war´s, dem es kollektiv die Stirn zu bieten galt. Das Ganze gestaltete sich kleiner, viel kleiner. Es kam leiser, viel leiser. Und besiegen musste die damals 26-Jährige den Krebs in allerletzter Instanz allein (auf Wunsch wird die Nennung des vollständigen Namens unterlassen).
Der "Knubbel" an ihrem Hals maß nicht mehr als 2,5 Zentimeter. Aber der Durchmesser reichte aus, um die Ärzte nervös zu machen. "Ich selber war relativ entspannt", weiß Linda noch gut. Immerhin steckte die Allersbergerin mitten im Prüfungsstress, war abgelenkt. Das 2. Staatsexamen fürs gymnasiale Lehramt stand unmittelbar vor der Tür.
Sie hatte gerade ein zweijähriges, anstrengendes Referendariat hinter sich, lernte jetzt viel für den Abschluss und wunderte sich daher wenig, "immer so unglaublich müde" zu sein. Doch die Erschöpfung war bereits ein Vorbote des Lymphoms, das im September 2019 bei ihr diagnostiziert werden sollte.
Seltene Erkrankung des Lymph-Systems
Meist hebt eine solche Nachricht die Welt der Betroffenen komplett aus den Angeln. Nicht so bei Linda. "Ich war aufgeregt und natürlich ein bisschen ängstlich, aber gleichzeitig dacht´ ich mir: Das wird schon ...". Kurz zuvor hatte sich nämlich eine andere Wahrheit in Lindas Kopf und Herz eingenistet: Sie war in der sechsten Woche schwanger.
Sorge um Krebspatienten: 50.000 Operationen wegen Corona verschoben
Was die Medizinier "Hodgkin-Lymphom" nennen, ist eine bösartige Erkrankung des Lymphsystems, eine eher seltene. Laut Robert-Koch-Institut waren im Jahr 2016 etwa 1060 Frauen und 1430 Männer davon betroffen.
Schwierige Entscheidung
Auch wenn die Chancen auf Heilung gut standen für Linda, lautete das Problem: Weil Morbus Hodgkin sich auf den gesamten Körper bezieht, nutzte eine operative Entnahme des Knoten nichts. "Es war also klar, dass eine systemische Chemotherapie gemacht werden muss." Was hingegen nicht klar war: "Man hat kaum Daten darüber, wie sich so eine Therapie auf ungeborenes Leben auswirkt." Ein Lymphom komme schließlich nur bei einer unter 1000 bis 6000 Schwangeren vor, klärt die Deutsche Apotheker-Zeitung auf.
Was tun? – Die Antwort: Der dringend notwendige erste Chemo-Zyklus wurde vorerst auf die lange Bank geschoben, "solange es halt ging", erzählt Linda. Währenddessen erfolgten engmaschige Kontrollen, die zum Glück ergaben, dass der Krebs nur sehr langsam voranschritt, beinahe stagnierte.
Im Februar 2020 verabreichten die Onkologen des Nürnberger Nordklinikums ihrer Patientin eine erste leichte Chemo-Dosis, eine weitere folgte. Anfang April leitete man die Geburt ein, ziemlich genau einen Monat vor dem regulären Entbindungstermin.
Die Sache lief glatt, dem Kleinen ging es den Umständen entsprechend gut und Linda durfte ihn sogar vier Wochen lang stillen. Dann war es jedoch höchste Zeit, mit der richtigen Therapie zu beginnen.
"An vieles erinnere ich mich nicht mehr"
Anfang Mai ging´s los – in vier Zyklen, die mächtig an der jungen Mutter zehrten. Gleich die erste Infusion warf sie aufs Klinikbett. Lindas Infektabwehr war derart geschwächt, dass die konsequente Gabe von Antibiotikum unumgänglich war. Unter Aufsicht, im Krankenhaus. "An vieles erinnere ich mich nicht mehr. Ich weiß aber noch, dass es mich fertig gemacht hat, den Kleinen nicht sehen zu können." Wegen Corona.
Nach Krebserkrankung: Vater aus Franken macht anderen Mut
Es sollte der Beginn einer harten Zeit werden. Für Linda. Für die Familie. Wenn die heute 28-Jährige jedoch zurückschaut, dann ist da in erster Linie Dankbarkeit: "Ich habe so viel Unterstützung erfahren – von super Ärzten, einer top Psycho-Onkologie am Nordklinikum – und natürlich von der Familie. Das war der Wahnsinn! Ohne sie alle hätte ich das nicht hingekriegt!"
Die Familie war für sie da
Im Klinikum wurde sie Teil des Projekts "Familien leben mit Krebs", wodurch der Nürnberger Verein "Hilfe für Krebskranke e.V." die PatientInnen auf verschiedene Weise in der Nachsorge unterstützt. Zu Hause konnte sich die junge Frau auf Eltern und Schwiegereltern verlassen: "Sie waren rund um die Uhr für mich da." Gut so, denn Lindas Welt hatte sich verändert: "Ich war immer ein Mensch, der die Dinge angepackt hat: Zähne zusammenbeißen, Ohren anlegen und durch. Das ging plötzlich nicht mehr!"
Stattdessen schlief sie viel, fühlte sich nach wenigen Handgriffen völlig fertig. Die Familie fing sie auf. Auch ihr kleiner Sohn: "Wenn ich traurig war, hat er mich angelacht, hat mit mir gekuschelt, fröhlich gezappelt. Für ihn wollte ich es schaffen!" Das hat sie vorerst.
Im August vergangenen Jahres war Schluss mit der Chemo. Die Haare der inzwischen 28-Jährigen sind nachgewachsen. Doch Krankheit und Krise hätten "einen anderen Menschen" aus ihr gemacht, meint sie heute. Zum einen, weil frau einsehen müsse, "dass ich nicht so einfach da wieder einsteigen kann, wo ich aufgehört habe." Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, depressive Phasen, Erschöpfung wären nun ihre Begleiter – "man kämpft mit sich und mit allem ..."
"Ich nehme vieles nicht mehr so schwer"
Zum anderen habe der Krebs sie aber auch Demut gelehrt. Demut vor dem Dasein: "Ich habe kapiert, vieles nicht mehr so schwer zu nehmen und mich lieber an den kleinen Dingen zu freuen". Ein "toller Lehrmeister" sei dabei ihr Sohn, mittlerweile zehn Monate jung. Denn dessen non-verbale Botschaft laute täglich: "Hey, nicht alles ist gleich ein Weltuntergang!" Und das stimme ja auch. Die vergangenen Monate hätten´s bewiesen.
Natürlich habe sie Bammel vor der Zukunft. Fünf Jahre ohne Krebs müssten jetzt durchgestanden werden – erst dann gelte man als geheilt. Linda weiß das. Doch sie weiß auch: "Wenn ich mir permanent Gedanken darüber mache, werde ich meines Lebens nicht mehr froh."
Der Rat von der Krisen-Expertin
Alternativ zur Reha hat sie sich entschieden, an einer Studie teilzunehmen. Im "Care for CAYA-Programm" werde jungen Menschen, die Krebs hatten, Wichtiges vermittelt. Über Bewegung, Ernährung, die Psyche und darüber, Gelassenheit an den Tag zu legen. Denn das, glaubt Linda, sei die Message dieser Krise, überhaupt aller Krisen: "Man muss seinen Sinn finden in dem, was ist. Dann wird alles leichter." Bloß so werde man auch gewahr: "Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels."
Selbsthilfegruppen in Corona-Zeiten: Ein Ausweg aus der Krise
Linda hat ihren Sinn gefunden, hebt ihn vorsichtig ins Bettchen, weil er beim Spielen eingeschlafen ist. Und allen Verzweifelten da draußen könne sie als "Krisen-Expertin" nur raten: "Niemals den Mut sinken lassen und ruhig die Hilfe der anderen annehmen – es geht vorbei!"
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