Vor 75 Jahren: Hitlers Nachfolger zeigten keine Spur von Reue
8.5.2020, 05:00 Uhr8.Mai 1945: Klar. Tag des Kriegsendes. An diesem 8.Mai vor 75 Jahren passierte diplomatisch, weltgeschichtlich eigentlich aber – nichts. Denn die Kapitulation des Deutschen Reiches, sie erfolgte nicht am 8., sondern am 7. und am 9. Mai.
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Nach Hitlers Selbstmord im Berliner Bunker am 30. April ging der Krieg noch mehr als eine Woche weiter. Der "Führer" hatte in seinem Testament Großadmiral Karl Dönitz zum Reichspräsidenten und Oberbefehlshaber der Wehrmacht bestimmt. Dönitz zog sich zusammen mit der letzten Reichsregierung unter Lutz Graf Schwerin von Krosigk in die Nähe von Flensburg zurück. Er wollte die Kapitulation "so lange wie möglich hinausschieben", um möglichst viele deutsche Soldaten im Osten vor den sowjetischen Truppen zu retten.
Am 6. Mai flog Generaloberst Alfred Jodl von Flensburg ins französische Reims, wo der Oberbefehlshaber der alliierten Truppen in Europa, US-General Dwight D. Eisenhower in einer alten Schule sein Hauptquartier hatte und von Jodl die Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen einforderte. Die war in Casablanca, auf einer der Kriegs-Konferenzen der Alliierten, schon 1943 zum Kriegsziel erklärt worden. Auf einen Separatfrieden mit den Westmächten, wie ihn Dönitz wollte, ließ sich Eisenhower nicht ein.
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Jodl musste erst mit Dönitz hin- und hertelegrafieren, bis aus Flensburg die notgedrungene Einwilligung kam. Deshalb setzte Jodl erst am frühen Morgen des 7. Mai, um 2.41 Uhr, in einem dunklen, fensterlosen Raum seine Unterschrift unter die Urkunde.
Das war Sowjet-Diktator Josef Stalin zu wenig. Er beharrte auf einer zweiten Unterzeichnung im russischen Hauptquartier Berlin-Karlshorst – vorgenommen durch ranghöhere deutsche Vertreter. Also wiederholte sich dort das Geschehen: Die Sowjets ließen den Kasinosaal der Pionierschule für die Zeremonie herrichten. Die Straßen, sonst überall voller Trümmer, wurden dort aufgeräumt und geschmückt – unter anderem vom damals 32-jährigen Erich Honecker, dem späteren DDR-Staatschef.
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Am 8. Mai fuhr die deutsche Delegation durch die Ruinen der Hauptstadt nach Karlshorst. Die Prozedur verzögerte sich, es gab ein Hin und Her wegen der Übersetzungen. Daher unterzeichneten Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel für das Oberkommando der Wehrmacht, Hans-Georg von Friedeburg für die Marine und Hans-Jürgen Stumpff für die Luftwaffe ab 0.16 Uhr die Kapitulationsurkunde.
Um 0.43 Uhr war die Zeremonie zu Ende. "Und plötzlich weicht die gestaute Spannung aus dem Saal, beobachtet ein russischer Augenzeuge. "Sie verfliegt, als hätten alle lange den Atem angehalten, der nun der Brust entströmt. Ein allgemeiner Seufzer der Erleichterung und Erschöpfung bricht sich Bahn." Danach gab es ein üppiges Bankett, auch die deutsche Delegation bekam ein opulentes Mahl, bevor sie am Morgen nach nach Flensburg zurückflog.
7. Mai, 2.41 Uhr, und 9. Mai, 0.16 Uhr: Warum gilt dann der 8. Mai als offizieller Tag des Kriegsendes? Weil die Bekanntgabe der bedingungslosen Kapitulation für dieses Datum geplant war: Um 23.01 Uhr sollte der Waffenstillstand beginnen. Im "Reichssender Flensburg" verkündete Dönitz noch ganz im Ton des NS-Regimes: "Am 8. Mai, 23 Uhr, schweigen die Waffen. Die in unzähligen Schlachten bewährten Soldaten der deutschen Wehrmacht treten den bitteren Weg in die Gefangenschaft an und bringen damit das letzte Opfer für das Leben von Frauen und Kindern."
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In vielen Städten Europas und weltweit wurde gefeiert nach der deutschen Kapitulation. Sie war, so schrieb der britische Premier Winston Churchill in seinen Memoiren, das "Signal für den größten Freudenausbruch in der Geschichte der Menschheit". Ganz London war auf den Beinen – darunter auch, trotz des elterlichen Ausgangsverbots, die spätere Königin Elizabeth und ihre Schwester Margaret. Freudenszenen gab es auch in Paris oder auf dem Times Square in New York.
Und was machte die deutsche Rumpf-Regierung in Flensburg? Weiterregieren. Und zwar reichlich unbeeindruckt von der totalen Niederlage. Am 9. Mai sagte Dönitz vor Offizieren in Flensburg: "Wir haben uns nicht zu schämen. Was die deutsche Wehrmacht im Kampf und das deutsche Volk im Erdulden in diesen sechs Jahren geleistet haben, ist einmalig in der Geschichte und in der Welt. Es ist ein nie dagewesenes Heldentum. Ohne Flecken an unserer Ehre stehen wir Soldaten da."
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Das war, so schreibt der Historiker Volker Ullrich in seinem Buch über die letzte Woche des Krieges ("Acht Tage im Mai", C. H. Beck Verlag) die "Geburtsstunde der Legende von der sauberen Wehrmacht", die dann jahrzehntelang in der Bundesrepublik verbreitet wurde. Bis 1995 die zunächst heftig umstrittene Wehrmachtsausstellung zeigte, welche Verbrechen diese angeblich so makellose Truppe vor allem im Osten begangen hatte.
Die Regierung Dönitz amtierte noch zwei Wochen, unbeirrt und abgehoben. Am 12. Mai lehnte Dönitz es ab, "Führerbilder" aus den Amtsstuben zu entfernen. Mit Vehemenz setzte er sich für das Recht der Militärs ein, weiterhin Orden und Ehrenzeichen tragen zu dürfen. Welches Denken da nach wie vor herrschte, das zeigt auch das Protokoll einer Sitzung dieses seltsamen Kabinetts vom 15. Mai. Da wurde als Ziel formuliert: "Die wahre Volksgemeinschaft, die durch (den) Nationalsozialismus geschaffen (wurde), muss erhalten werden; (der) Wahnsinn der Parteien wie vor 1933 darf nicht wieder Platz greifen."
Und in einem Schreiben an General Eisenhower vom 16. Mai erklärte der damalige Außenminister Graf Schwerin von Krosigk allen Ernstes: "Die Konzentrationslager waren von der Außenwelt völlig abgeschlossen, und alles, was in diesen Lagern vorging, wurde auf das strengste geheim gehalten. Selbst führende deutsche Persönlichkeiten hatten keine Möglichkeit, sich über die tatsächlichen Verhältnisse in den Konzentrationslagern zu unterrichten."
Das war die Tonlage, die er und die verbleibenden Nationalsozialisten auch schon vor der Kapitulation in Rundfunkansprachen angeschlagen hatten. Schwerin von Krosigk beklagte da lang das deutsche Leid – verlor aber kein Wort über die Verbrechen, die Deutsche zuvor verübt hatten. Wörtlich sagte er: "Wir Deutschen haben von allen Völkern der Erde am stärksten erlebt, was der Krieg schon jetzt in seiner Vernichtung aller Kultur bedeutet hat. Unsere Städte sind zerstört, unsere Kulturdenkmäler in Dresden und Nürnberg, in Köln und Bayreuth..." - die Ursache dieser Verwüstungen, der von Hitler begonnene und von den meisten Deutschen unterstützte Krieg, blieb unerwähnt.
Als "Tag der Befreiung" empfanden damals die wenigsten diesen 8. Mai. "Die Deutschen", schrieb der Schriftsteller Klaus Mann im Mai 1945, "sind sich darüber im klaren, dass sie den Krieg verloren haben, doch scheinen sie nicht in der Lage zu sein, die moralische Bedeutung ihres gegenwärtigen Debakels zu fassen. Alliierte Beobachter, Kriegskorrespondenten wie Soldaten, sind betroffen und irritiert durch die Selbstgefälligkeit der Deutschen, ihr Selbstmitleid und ihre Ignoranz. Es scheint, dass sie nichts beklagen außer der misslichen Lage, in der sie sich befinden. Sie sehen nicht ein, warum ausgerechnet sie so leiden müssen."
Niederschmetternde Bilanz
Der Zweite Weltkrieg ging am 8. Mai 1945 lediglich in Europa zu Ende. In Fernost wütete er noch bis zum 2. September, dem Tag der japanischen Kapitulation. Seine Bilanz ist niederschmetternd. 58 Staaten waren hineingezogen worden. Sie schickten 110 Millionen Soldaten in die kaum zählbaren Schlachten. Insgesamt über 60 Millionen Tote waren zu beklagen - neben Gefallenen auch die Opfer des Nazi-Terrors in den Konzentrationslagern, die Toten der Bomben-Angriffe durch das NS-Regime und vor allem durch die Alliierten in Deutschland, Flüchtlinge, Zwangsarbeiter und Gefangene, die getötet wurden oder die Strapazen nicht überlebten.
Die weitaus meisten Toten hatte die Sowjetunion zu beklagen (25 Millionen), gefolgt von China mit 15, Deutschland mit sieben und Polen mit sechs Millionen Opfern. Die Schäden waren immens. Über 1700 Städte, 70 000 Dörfer und sechs Millionen Gebäude waren in Russland zerstört worden, über 1,6 Millionen Gebäude waren es in Deutschland.
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