Italienische Regisseurin

"Pimpinone" und "Herzog Blaubarts Burg": Opernhaus beendet Lockdown mit Doppelpremiere

10.6.2021, 16:28 Uhr
Beziehungsdrama ohne Licht: Jochen Kupfer und Almerija Delic in "Herzog Blaubarts Burg".

© Ludwig Olah Beziehungsdrama ohne Licht: Jochen Kupfer und Almerija Delic in "Herzog Blaubarts Burg".

Dann war es plötzlich wieder offen: Nach sieben Monaten ohne Spielbetrieb ging im Opernhaus am Mittwoch mit einer Doppelpremiere der Vorhang hoch. Rund 300 Menschen standen am Eingang brav Schlange, hatten Impfnachweis, Genesungsbeleg oder Schnelltest parat, um sich dann im Inneren des Gebäudes sogleich in die Abgründe des klassischen Mann-Frau-Verhältnisses führen zu lassen.


Wie ein Festival: Das Opernhaus gibt nach der Corona-Schließung Vollgas


Natürlich mit gebührend Abstand – jede zweite Stuhlreihe ist derzeit herausmontiert, jeweils drei Plätze müssen zwischen den Sitzenden leer bleiben. Da fühlte man sich im Gerümpel der barocken Singlewohnung, in der auf der Bühne der schnarchende Pimpinone unterm opulent gerahmten Flachbildschirm von der Chaiselongue kugelt, gleich an eigene karge Social-Distancing-Zeiten erinnert.

Kommt scheinbar perfekt per Internetbestellung: die vollautomatische Haushaltshilfe Vespetta (Maria Ladurner) soll Pimpinones (Hans Gröning) Single-Leben wieder auf Vordermann bringen.

Kommt scheinbar perfekt per Internetbestellung: die vollautomatische Haushaltshilfe Vespetta (Maria Ladurner) soll Pimpinones (Hans Gröning) Single-Leben wieder auf Vordermann bringen. © Ludwig Olah

Zuvor hatte Staatsintendant Jens-Daniel Herzog erst versehentlich seine FFP2-Maske im hohen Bogen vom Ohr zu Boden schnalzen lassen, um dann in seine Freude über das Wiedersehen die fast beschwörenden Worte zu mischen, dass sich Theaterleute nie daran gewöhnen würden, ohne Publikum zu spielen.

Ohne Herzog widersprechen zu wollen, sind die Folgen von Corona doch gravierender: Die Zwangspause hat das Narrativ „Staatstheater in aufstrebender Kulturstadt“ unterbrochen. Bei der letzten Premiere Anfang Oktober 2020 lief noch Nürnbergs Kulturhauptstadtbewerbung und man freute sich auf einen neuen Konzertsaal.

Regisseurin Ilaria Lanzino doppelt in "Herzog Blaubarts Burg" das Schlafzimmer. Blaubart (Jochen Kupfer) hat Wohlfühlfarben, Judith (Almerija Delic) erlebt den gleichen Raum als fahle, blutige Hölle.

Regisseurin Ilaria Lanzino doppelt in "Herzog Blaubarts Burg" das Schlafzimmer. Blaubart (Jochen Kupfer) hat Wohlfühlfarben, Judith (Almerija Delic) erlebt den gleichen Raum als fahle, blutige Hölle. © Ludwig Olah

Alles weg. Stattdessen gemahnen nun neue Brandschutztüren (die sehr dezent wirken) in den Foyers an die anstehende Mammutsanierung des Opernhauses. Zweifelsohne wird sich das Staatstheater unter diesen veränderten Bedingungen anders aufzustellen haben.

Die Werkkombination, mit der die neue Zeit begann, war speziell für Corona-Bedingungen ausgewählt worden: Georg Philipp Telemanns Lustiges Zwischenspiel „Pimpinone oder Die ungleiche Heirat“ - übrigens sein erfolgreichstes Werk, weil man auch im Barock schon mit schnellen Lachern leichter Quote machen konnte als mit forderndem Tiefsinn - stand am Anfang und kommt mit nur zwei Singstimmen aus.

In "Herzog Blaubarts Burg" lauert auf die Frauen das Grauen. Szene mit Jochen Kupfer und Almerija Delic.

In "Herzog Blaubarts Burg" lauert auf die Frauen das Grauen. Szene mit Jochen Kupfer und Almerija Delic. © Ludwig Olah

Dann folgte Bela Bartoks im wahrsten Sinne des Wortes abgründiger Einakter „Herzog Blaubarts Burg“, die Nürnbergs ehemaliger GMD Eberhard Kloke – wer erinnert sich noch an den Rummel um seine „Prometheus“-Projekte in den 1990er Jahren? - in eine Fassung für Sopran, Bariton und Kammerorchester gebracht hatte.

Die italienische Regisseurin Ilaria Lanzino spannte die beiden Werke zusammen, ohne dass dadurch wirklich ein erhellender Funkenschlag zusätzlicher Erkenntnis entstand.

Pimpinones (Hans Gröning) Haushaltsroboterin Vespetta (Maria Ladurner) entwickelt ein Eigenleben und kriegt Durst.

Pimpinones (Hans Gröning) Haushaltsroboterin Vespetta (Maria Ladurner) entwickelt ein Eigenleben und kriegt Durst. © Ludwig Olah

Der ziemlich vereinsamte und verlotterte Pimpinone (Gastsänger Hans Gröning spielte die komischen Facetten seines Baritons inklusive akrobatischer Höhen voll aus) bestellt sich im Internet eine Haushaltshilfen-Roboterin (das muss man hier mal gendern) namens Vespetta.

Die wird samt Betriebsanleitung, Fernbedienung und Leuchtbrüsten geliefert und macht, solange der Akku voll genug ist, wirklich alles mit, inklusive Leibesübungen hinter rotem Vorhang und unter flackerndem Kronleuchter.

Wehe der Akku ist leer. Dann geht mit Vespetta (Maria Ladurner) nichts mehr und Pimpinone (Hans Gröning) schaut in die Röhre.

Wehe der Akku ist leer. Dann geht mit Vespetta (Maria Ladurner) nichts mehr und Pimpinone (Hans Gröning) schaut in die Röhre. © Ludwig Olah

Telemann hat hier eigentlich einen klassischen Commedia dell'Arte-Stoff vom Dienstmädchen, das nach der Hochzeit die Macht ergreift und den Mann unterjocht, verarbeitet. Dass bei Lanzino nun Vespetta das gleiche tut und Pimpinone schließlich per Retourenschein in die Wüste schickt, ist gedanklich etwas schief (Gastsängerin Maria Ladurner spielt und singt das mit Farbenstakkato im Koloratursopran toll, aber wieso wird die Maschine zur Frau?) und auch nur leidlich lustig.

Etwas bissiger hätte der Humor schon sein können. Und Dirigent Andreas Paetzold hätte die Barockcombo der Staatsphilharmonie dann doch zu mehr Flexibilität in den Tempi und etwas rauerem Zugriff animieren können.

Noch bestünde eine Chance zur Umkehr. Doch Judith (Almerija Delic) folgt Blaubart (Jochen Kupfer) in seine Burg.

Noch bestünde eine Chance zur Umkehr. Doch Judith (Almerija Delic) folgt Blaubart (Jochen Kupfer) in seine Burg. © Ludwig Olah

Die 40-minütige Pause, die dann folgte, war dem aufwändigen Umbau geschuldet und ziemlich freudlos. Immerhin konnte man angesichts geschlossener Bar, markierten Wartepunkten vor der WC-Kabine und durchgängiger Maskenpflicht (außer beim Verzehr von vorbestelltem Speis und Trank, wie ein Sprecher nicht zu erwähnen vergaß) sicher sein, dass der Gesundheitsschutz auch während dieses Intermezzos in Jens-Daniel Herzogs Burg in besten Händen blieb.

Pure Verzweiflung: Almerija Delic als Judith in "Herzog Blaubarts Burg".

Pure Verzweiflung: Almerija Delic als Judith in "Herzog Blaubarts Burg". © Ludwig Olah

Das ist in „Herzog Blaubarts Burg“ für Judith, die weibliche Hauptfigur, ganz anders, obwohl ihr Almerija Delic eine Menge Willens- und Widerstandkraft in den aufbegehrenden Mezzo legt. Sie ist in dem symbolistischen Meisterwerk in die Hände eines pathologischen Frauenzerstörers gefallen, der die Leichen seiner Opfer und den Rest seiner kranken Welt hinter sieben Türen verbirgt.

Regisseurin Lanzino doppelt das Schlafzimmer: Blaubart fühlt sich in warmen Farben ziemlich wohl, für Judith ist die Burg eine fahle, blutverschmierte Hölle, ein Abgrund des Leids.

Am Ende tauchen auch die bereits ermordeten Frauen von Herzog Blaubart auf. Szene aus "Herzog Blaubarts Burg" am Nürnberger Opernhaus.

Am Ende tauchen auch die bereits ermordeten Frauen von Herzog Blaubart auf. Szene aus "Herzog Blaubarts Burg" am Nürnberger Opernhaus. © Ludwig Olah

Jochen Kupfer spielt Blaubart wie einen in sich gefangenen Zwangscharakter, scheinbar kultiviert, aber deshalb umso gefährlicher. Sein Bassbariton meistert in diesem Rollendebüt expressive Passagen ebenso souverän wie das schwierige Parlando – gesungen wurde im ungarischen Original.

Guido Johannes Rumstadt hält die Musik in einem fortwährenden Alarmzustand mit drängenden Bläsern und bedrohlicher Perkussion. Dieser Teil der Doppelpremiere erzeugt jene Sogwirkung, wegen der man ab jetzt gern wieder live und leibhaftig in die Oper geht.

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