Letzte Folge Lindenstraße: So war das Leben als Klaus Beimer
29.3.2020, 18:27 UhrAm Sonntag, 29. März (um 18.50 Uhr im Ersten) geht die "Lindenstraße" zu Ende. Erfunden hatte den Dauerbrenner der Franke Hans W. Geißendörfer, der in Neustadt an der Aisch aufgewachsen ist. Von Anfang an dabei war Moritz A. Sachs (Jahrgang 1978) als Klaus Beimer.
Herr Sachs, Sie waren sieben Jahre alt, als Sie in der "Lindenstraße" angefangen haben. Können Sie sich eigentlich an ein Leben davor erinnern?
Moritz A. Sachs: Kaum. Ich erinnere mich nur an ein paar Kleinigkeiten, meine Einschulung zum Beispiel. Ein wirklich ernsthaftes Leben vor der "Lindenstraße" hatte ich nicht (lacht).
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Sie waren damals schlagartig in ganz Deutschland bekannt. Bis zu zwölf Millionen Menschen sahen jeden Sonntag zu.
Sachs: Eigentlich war der Sendeplatz ja nicht gut. Aber die "Lindenstraße" etablierte sich, sie passte einfach gut in den typischen deutschen Nachmittag, erst "Sportschau", dann "Lindenstraße", dann ließ man den "Weltspiegel" laufen, während die Kinder ins Bett gebracht wurden, und zur "Tagesschau" saß man wieder vor dem Bildschirm. Ich glaube, es war einfach Zufall, dass das so gut gepasst hat. In den ersten 20 Jahren hat ja auch niemand darüber nachgedacht, die Serie wieder abzusetzen – außer vielleicht, wenn wir mal wieder allzu renitent waren (lacht).
Wie sind Sie mit dem plötzlichen Ruhm umgegangen?
Sachs: Ein intellektuelles Verstehen war natürlich noch nicht da. Aber greifbar war das Ganze für mich als Kind schon. Ich ging über die Straße und wurde angesprochen und angefasst. Und in der Schule wurde ich von manchen gehänselt, wie das damals noch hieß. Heute würde man sagen: Massiv gemobbt. Ich bin heilfroh, dass es damals noch keine Smartphones mit Kamera gab. In oder vor allem nach der Schule hat man auf die Rübe gekriegt und am nächsten Tag stand man bei der Bambi-Verleihung neben Tom Jones. Das war eine schräge Zeit.
Jetzt, nach über 34 Jahren, wird die "Lindenstraße" abgesetzt. Kam sofort die Zukunftsangst?
Sachs: Die meisten von uns Schauspielern haben andere Standbeine, "Lindenstraße" war ja kein täglicher Vollzeit-Job. Für mich stellt sich nun eher die Frage, wo ich hin will. Am 27. März kommt erst einmal mein Buch raus, "Ich war Klaus Beimer – Mein Leben in der Lindenstraße". Eine Autobiografie mit 41! (lacht) Naja, es gibt Leute, die machen das in noch jüngerem Alter. Die aktuelle Lage hat wegen der Corona-Ereignisse aber gerade im Kulturbetrieb sehr viel durcheinander gewirbelt. Lesungen zum Buch und Signierstunden wurden natürlich abgesagt. Ich werde versuchen, dies auf Facebook oder Instagram etwas auszugleichen. Am Sonntag, nach der letzten "Lindenstraße"-Folge, gehe ich live und stehe erstmal unseren treuen Zuschauern Rede und Antwort.
Gab es jemals eine offizielle Begründung der ARD, warum die Serie eingestellt wird?
Sachs: Es gab eine, aber die wurde zurückgenommen: Geld und Quote. Teurer als andere Formate zu der Sendezeit ist die "Lindenstraße" auch nicht. Und die Quote war ebenfalls stabil, zuletzt war sie sogar ein bisschen gestiegen. Dann hieß es, dass die ARD andere Inhalte transportieren wolle. Der Sonntag soll wohl einfach anders aufgebaut werden, mit mehr Sport und Journalismus. Die Intendanten der einzelnen Sendeanstalten entscheiden alle vier Monate neu, wie die ARD ihr Programm gestalten will, das ist eine Mehrheitsentscheidung, die hat ja auch ihren Sinn. Aber manchmal kann das eben auch nach hinten losgehen, und das ist in unserem Fall, glaube ich, passiert. Ich kann mir vorstellen, dass wir beim ZDF noch laufen würden …
Lange Trauerarbeit: Kommentar zum "Lindenstraße"-Aus
Nennen Sie doch mal drei Gründe, warum die "Lindenstraße" weiterlaufen sollte.
Sachs: Weil sie ein konstantes Zuhause für Millionen von Menschen ist. Für viele sind wir Teil der Familie, so absurd wie das klingt. Außerdem ist die "Lindenstraße" bei mancher Weichspülerei, die wir in den letzten Jahren auch erlebt haben, ein kritisches und aufarbeitendes Format, das man gerade im Moment gut gebrauchen könnte. Wir haben aktuelle Themen immer so dargestellt, dass man von allem etwas mitbekommen hat. Provokant, aber auch versöhnend. In Zeiten von Corona würde Helga Beimer vielleicht mit Mundschutz rumlaufen und Gabi Zenker würde den Supermarkt leerkaufen, während Klaus Beimer als Journalist versucht, zu beruhigen. Oder denken Sie an das Thema Rechtsradikalismus. Die "Lindenstraße" steht nicht nur, wie alle immer denken, für links und grün. Iffi Zenker, die beileibe keine negative Figur ist, ist der fiktiven "Lindenstraßen"-AfD verfallen und hat auch argumentiert, warum. Das heißt, wir haben Gespräche abgebildet, die im Alltag vielleicht eher selten stattfinden. Der dritte Grund ist ganz persönlich: Wer will schon, dass ein Teil seines Teams, gerade in diesen unsicheren Zeiten, in die Arbeitslosigkeit rutscht?
Thema, zumindest beim Publikum, war auch Ihre radikale Gewichtsabnahme. Sie sind damit offen umgegangen. Ist das nicht sehr belastend, wenn einem quasi die Nation bei der Diät zuschauen kann?
Sachs: Wenn man einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, wird ja alles kommentiert, was man macht. Insofern war das eine Flucht nach vorne. Generell stehen Menschen mit Essstörungen unter hohem gesellschaftlichem Druck. Von der Werbeindustrie, vom Medienapparat wird uns allen suggeriert, dass wir so und so auszusehen haben. Ich habe eine Bitte: Lasst die Übergewichtigen in Ruhe! Sie wissen selbst, dass sie dick sind. Einem Alkoholiker oder einem Depressiven sieht man sein Problem nicht an. Aber Übergewichtige tragen es buchstäblich vor sich her und werden auch noch oft darauf angesprochen. Übrigens ist auch die Aussage "Ach, Sie haben aber schön abgenommen" übergriffig.
Zum Schluss: Ist die letzte Folge der "Lindenstraße" Ihrer Meinung nach gelungen?
Sachs: Da bin ich sicher. Ich glaube, dafür, dass wir nach so vielen Jahren mittendrin aufhören müssen, haben wir einen würdigen Abschluss gefunden.