Gerichtsärztlicher Dienst
Bedrohlich, frustrierend - aber wichtig: So sieht der Berufsalltag als Psychiater bei Gericht aus
19.1.2025, 05:00 UhrDie Tür zum Gebäude geht auf und es ist sofort Schreien zu hören. Die Polizei bringt einen Mann herein. Er ist wütend und erregt. Er tobt. Er äußert sich bedrohlich. Roman Steinkirchner ist schnell klar, dass mit diesem Mann kein Gespräch möglich sein wird. Die Polizisten müssen im Raum bleiben, den gefesselten Mann teilweise zusätzlich noch festhalten. Roman Steinkirchner lässt ihn toben, hört ihm dabei zu. Aus diesen spontanen Äußerungen kann Roman Steinkirchner schon einiges erkennen. Der Mann brüllt, er wisse, wo der Sachverständige wohne, dass er alle umbringe. "Daran konnte ich zum Beispiel erkennen, dass der Mann orientiert ist, weiß worum es geht", sagt Roman Steinkirchner. Das Gespräch ist schnell vorbei. "Das war ja auch bedrohlich und gefährlich." Die Beamten bringen den Mann zurück in die Haftanstalt.
Roman Steinkirchner ist Leiter des Gerichtsärztlichen Dienstes am Oberlandesgericht Nürnberg. Die Gespräche, die er mit Angeklagten führt, verlaufen meistens deutlich ruhiger, viele nehmen das Gespräch an, verfolgen auch eigenen Ziele dabei. Manche sind aber eben auch extrem aggressiv, bedrohlich oder angespannt. Dann kann Steinkirchner das sogenannte Explorationsgespräch nur eingeschränkt führen.
Die Situation ist aber auch eine besondere. Die Psychiaterinnen und Psychiater stellen den Menschen persönliche Fragen, versuchen sie kennenzulernen, Hintergründe zu verstehen und sie einzuschätzen. Dabei haben die Betroffenen sich nicht freiwillig für ein solches Gespräch entschieden. "Grundsätzlich ist es das Recht eines jeden Angeklagten, im Strafverfahren zu schweigen", betont Steinkirchner. Dieses Recht gewähre natürlich auch der Gerichtsärztliche Dienst. Die Menschen müssen also nicht reden.
Die Frage nach der Schuldfähigkeit
Viele tun es aber doch. Denn die Aufgabe des Gerichtsärztlichen Dienstes ist es, zu bewerten, ob eine Person zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war. Auf dieser Basis entscheidet das Gericht dann, ob der oder die Angeklagte schuldfähig sind und entsprechend verurteilt werden können. Beim Gerichtsärztlichen Dienst am Oberlandesgericht Nürnberg arbeiten zwei Psychiaterinnen und zwei Psychiater. Sie erstellen Gutachten "auf allen denkbaren Gebieten zu allen denkbaren Fragen", die allermeisten sind Aufgaben im Bereich des Strafrechts. Sie kommen aber auch bei zivilrechtlichen Fragen zum Einsatz, beispielsweise um zu beurteilen, ob eine Person beim Abschluss eines Kaufvertrags geschäftsfähig war. Oft stellen die Psychiaterinnen und Psychiater ihre Gutachten dann vor Gericht vor.
Ihre Einschätzung hat einen großen Einfluss auf das Urteil, vor allem in Strafprozessen. Wenn das Gericht sich dafür entscheidet, Angeklagte als nicht schuldfähig anzuerkennen, müssen sie freigesprochen werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie dann auch frei sind.
"Wenn jemand vermindert schuldfähig oder gar schuldunfähig war, wird als Nächstes die Frage gestellt: Ist er weiter gefährlich?", erklärt Steinkirchner. Steht eine Konsumstörung im Vordergrund, kann die Person in einer Entzugsklinik untergebracht werden. "Das andere ist, dass jemand aufgrund einer psychischen Störung gefährlich wäre. Dann geht es um die Unterbringung in einer forensisch-psychiatrischen Klinik."
Belastender Job
Die unterscheiden sich in Bezug auf Sicherheitsvorkehrungen nur wenig von gewöhnlichen Gefängnissen. Stacheldraht auf den Zäunen, Gitter vor den Fenstern. Manche sind sogar noch intensiver gesichert als Gefängnisse. Vor allem ist die Unterbringung in einer forensisch-psychiatrischen Klinik aber eine weitreichende Entscheidung über das Leben einer Person. Denn die Unterbringung ist zunächst unbefristet. "Da muss geprüft werden, ob die Gefährlichkeit fortbesteht. Und wenn die Krankheit nicht besser geworden ist, dann bleibt die Person drinnen, bis es so weit ist", sagt Steinkirchner.
Dadurch haben die Gerichtspsychiaterinnen und Gerichtspsychiater ständig mit Lebensschicksalen zu tun. Das kann belastend sein, man müsse immer wieder reflektieren, um sich nicht von Gefühlen leiten zu lassen, so Steinkirchner. "In jüngeren Jahren habe ich mehr mit nach Hause genommen. Da hat mich manches beschäftigt." Inzwischen hat Steinkirchner einen Weg gefunden, um sich besser zu distanzieren.
Dafür brauche man auch eine gewisse charakterliche Eignung, eine belastbare Frustrationstoleranz. Auch die extrem lange Ausbildung von insgesamt mindestens elf Jahren macht es nicht leicht, Nachwuchs für den Gerichtsärztlichen Dienst zu finden. Und das zeigt sich schon im Arbeitsaufwand der bestehenden Teams: "Wir arbeiten eigentlich ständig an der Leistungsgrenze", sagt Steinkirchner. Dabei könne die Gesellschaft nicht auf Gerichtspsychiater verzichten. Nur mit der unabhängigen Behörde könne man den Angeklagten in der Justiz gerecht werden.