QAnon: Von Trump, gefolterten Kindern und dem "Deep State"
21.07.2020, 14:01 Uhr
Xavier Naidoo, der nach einem umstrittenen Video aus der DSDS-Jury geworfene Soul-Sänger, konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Schluchzend und weinend vor Glück schilderte er in einem Anfang April beim Messenger-Dienst Telegram hochgeladenen Video seine Erleichterung darüber, dass "in diesen Momenten in verschiedenen Ländern der Erde Kinder aus den Händen pädophiler Netzwerke befreit" würden. Kinder, die in unterirdischen Bunkern festgehalten und gefoltert würden, um aus ihrem Blut Adrenochrom (ein Stoffwechselprodukt des Hormons Adrenalin) zu gewinnen - als Droge und Verjüngungsmittel für die globale Elite.
Ohne es direkt auszusprechen, bezog sich Naidoo dabei auf einen Hauptaspekt der Verschwörungstheorie von QAnon, den auch der Hanauer Attentäter Tobias R. in einem seiner letzten Videos verbreitete: Die gänzlich unbewiesene Behauptung, zahlreiche Hollywood-Schauspieler, Politiker und hochrangige Beamte wären an einem internationalen Kinderhändlerring beteiligt. Eine Fortschreibung der Pizzagate-Verschwörungstheorie, die 2016 von rechten Bloggern und zahlreichen Angehörigen von Donald Trumps Wahlkampfteam verbreitet wurde.
Begonnen hat all das - wie so oft - auf dem amerikanischen Imageboard 4chan, das bereits mehrfach als Keimzelle und Habitat rechtsextremistischer, rassistischer Subkulturen fungierte. Auch die radikal frauenfeindliche Incel-Bewegung hatte dort zeitweise ihre virtuelle Heimat gefunden.
Am 28. Oktober 2017 erschien dort im Channel "/pol/" - die Kurzform von "politically incorrect" - der Beitrag "calm before the storm" (die Ruhe vor dem Sturm), geschrieben von einem Nutzer namens "Q clearance patriot". Mit seiner Namensgebung deutet der Nutzer an, er habe eine Sicherheitsfreigabe der Stufe Q, die den Zugang zu streng geheimen Informationen über Atomwaffen und nukleares Material beinhaltet.
Wer sich inter dem Nutzernamen verbirgt, ist unbekannt, daher hat sich unter seinen Anhängern mittlerweile das Kürzel Q oder auch das Pseudonym QAnon ("Anon" für "anonym") eingebürgert. Er behauptet jedoch, er gehöre zum innersten Zirkel um US-Präsident Donald Trump. Seine Aussagen, die im Normalfall vage, kurz, kryptisch und gespickt von teilweise unsinnigen militärischen Abkürzungen sind, drehen sich im Kern um zwei Punkte:
Zum einen planen angeblich hochrangige Vertreter von Politik und Wirtschaft - darunter Hillary Clinton, Barack Obama und George Soros, die dazu noch allesamt Satanisten sind - einen Staatsstreich, um die USA in eine Diktatur zu verwandeln, während sie gleichzeitig in den bereits erwähnten Ring von Kinderhändlern und Pädophilen verstrickt seien. Zum anderen behauptet Q, in den USA existiere ein "Deep State" also eine angebliche geheime Schattenregierung, die die Geschicke der Vereinigten Staaten lenkt. Eine Metapher, die auch Trump selbst häufig bemüht, der laut Q der einzige Politiker sei, der dieser gigantischen Verschwörung Einhalt gebieten könne.
Absolut hanebüchene Verschwörungstheorien gibt es viele, doch im Normalfall ist ihr Auslöser ein konkreter Sachverhalt. Es gibt klimatische Bedingungen, unter denen sich Kondensstreifen langsamer auflösen als normalerweise, weswegen manche Menschen glauben, die Bevölkerung werde durch gezielt versprühte chemische Stoffe vergiftet. Oder nachdem die Erdkrümmung unter normalen Umständen mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist, muss die Erde nach Ansicht der Flat Earth Society zwangsläufig eine Scheibe sein.
Bei QAnon ist das anders. Er verbreitet seine Behauptungen ohne den kleinsten Beleg. Das überlässt er seiner Anhängerschaft, die jeden Buchstaben seiner Botschaften seziert und interpretiert - und die nicht nur in den USA rasant wächst.
Auch auf den Facebook-Seiten von nordbayern.de, NN und NZ häufen sich die Fälle, in denen Leserinnen und Leser QAnon-Botschaften verbreiten. Manchmal tun sie das in Andeutungen, manchmal ganz offen. Eines jedoch haben alle gemeinsam, wie die daraus meist folgenden Diskussionen zeigen: Gegenüber Fakten zeigen sie sich ganz besonders resistent.
6 Kommentare
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Hirnuser
@Herschbrugger
Lesen bildet und Bildung ist der Schlüssel zu allem. Ihre Behauptung, die Evolution sei nicht bewiesen, ist einfach lächerlich. Irgendwie scheint das Fehlen der angeblichen Chemtrails (coronabedingt sehr eingeschränkter Flugverkehr) in den Köpfen der VTanfälligen noch mehr Schaden anzurichten. Ganz ehrlich, alle diese VT zeigen mir, die Dummheit ist unendlich und der größte Durchbruch wäre ein Medikament dagegen. Illusion, ich weiß.
Bassmann
@Herschbrugger: Den geistigen Sprung von "diese ganzen Verschwörungstheoretiker haben nicht mehr alle Latten am Zaun" hin zu "die Evolutionstheorie ist nicht nur nicht bewiesen, sondern es gibt sogar Gegenbeweise" schafft nicht jeder. Besonders nicht innerhalb von zwei Sätzen. Respekt.
wallensteiner
@MeineMeinung
Bibeltreu ist da ein gutes Stichwort. Sind die Geschichten aus der Bibel letztlich ja auch eine Art Verschwörungstheorie. Man ersetze nur "Deepstat" durch Gott oder eine ominöse Dreifaltigkeit. Dazu noch Engel, Heilige und denTeufel. Obenauf gibt es noch Himmel und Hölle und am Ende soll man schlicht "glauben" was nie bewiesen wurde aber wissenschaftlich gesehen totaler Blödsinn ist.
MeineMeinung
Aha, die Evolutionstheorie ist nicht bewiesen? Etwa bibeltreu?
dj_quentin
@Herschbrugger: Das die Evolutionstheorie auch eine Theorie bleiben wird liegt in der Natur der Sache. Ebenso die Relativitätstheorie etc.
Denn um sie zu beweisen müsste man das Ergebnis reproduzieren. Wenn man sich die Vererbungslehre ansieht, erkennt man, daß durch bestimmte Kreuzungen bewusst oder zufällig neue Merkmale hervor gebracht oder gewünschte verstärkt werden. Über tausende Generationen hat man so aus Gräsern leistungsstarke Getreide, und aus Wölfen z.B. Pudel gezüchtet.
Doch keinem Labor der Welt, und auch nicht in der lächerlich kurzen Spanne der modernen Wissenschaft ist es mögich, die "Evolution" vom Einzeller zum Homo Sapiens nachzubilden.
Die Evolutionstheorie ist somit Stand der Wissenschaft, weil es keine besseren bzw. fundierten Gegenbeweise gibt, der Stand der Forschung aber grundsätzlich dafür spricht.