Corona-Gipfel: Tritt Deutschland heute auf die Vollbremse?

Tobi Lang

Online-Redakteur

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22.3.2021, 06:28 Uhr
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mahnen: Die "Notbremse" muss konsequent umgesetzt werden. 

© imago images/Metodi Popow Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mahnen: Die "Notbremse" muss konsequent umgesetzt werden. 

Gipfel werfen ihren Schatten voraus. Für die Bund-Länder-Konferenzen, in denen die Regierung regelmäßig alle paar Wochen den neuen Corona-Kurs vorgibt, gilt das besonders. 16 Länderchefs, eine Kanzlerin, viele Kabinettsmitglieder - alle überschlagen sich in den Tagen vor dem Gipfel mit Wortmeldungen. Sie fordern Lockerungen oder Verschärfungen, wollen mehr oder weniger auf die Kollateralschäden schauen und bringen neue Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie ins Spiel.

Am Montag trifft sich Deutschlands wahrscheinlich wichtigste Corona-Runde erneut. Bislang sickerte keine Beschlussvorlage durch, auch konkrete Pläne gibt es nicht, was bemerkenswert ist. Die Stoßrichtung scheint aber auch vor diesem Gipfel klar: Die Republik steht vor einem neuen, wieder etwas härterem Lockdown.

Tritt Deutschland auf die Vollbremse? Bundeskanzlerin Angela Merkel deutet das zumindest an. Am Rande des Impfgipfels sagte sie am Freitagabend, dass mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen wohl Lockerungen zurückgenommen werden müssen. Sie erinnerte an die Notbremse, die in Hotspots mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 greifen soll. Dort darf der Einzelhandel nicht mehr öffnen, auch private Treffen sind eingeschränkt - unter anderem in Nürnberg gelten die Einschränkungen bereits. "Und wir werden leider auch von dieser Notbremse Gebrauch machen müssen", sagte Merkel. "Ich hätte mir gewünscht, dass wir ohne diese Notbremse auskommen, aber das wird nicht möglich sein, wenn ich mir die Entwicklung der letzten Tage anschaue."

Was bedeutet die Notbremse konkret?

Bei einer Inzidenz von über 100 werden die Lockerungen der letzten Wochen zurückgenommen. Der Einzelhandel schließt wieder, auch "Click & Meet"-Termine sind nicht mehr möglich. Waren können lediglich abgeholt werden, Einkaufen im Inneren der Läden aber ist verboten.

Bayern aber ging bereits einen Schritt weiter. Im ganzen Freistaat sind weitere Öffnungsschritte ausgesetzt. Das teilte das Gesundheitsministerium am Donnerstag mit. Theater, Kinos, Konzertsäle und die Außengastronomie bleiben damit weiter geschlossen, obwohl sie laut dem in Bayern geltenden Stufenplan ab Montag inzidenzabhängig theoretisch wieder Gäste hätten empfangen dürfen.

Laut der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung wären Öffnungen etwa bei Restaurants möglich, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt mindestens 14 Tage lang eine Sieben-Tage-Inzidenz von 50 beziehungsweise 100 nicht überschritten wird und wenn zudem die Entwicklung des Infektionsgeschehens "stabil oder rückläufig" erscheint. Die Öffnungen müssen allerdings "im Einvernehmen" mit dem Gesundheitsministerium passieren. Das Ressort von Klaus Holetschek sperrt sich nun aber - und will den Bund-Länder-Gipfel am Montag abwarten.

Wird der Lockdown verlängert?

Davon ist auszugehen. Eine Beschlussvorlage der SPD-geführten Bundesländer sickerte bereits am Sonntag durch - laut dem Papier sollen die Maßnahmen bis in den April hinein verlängert werden. Ein Datum steht aber noch nicht fest. Das Kanzleramt wird konkreter: Es will eine Verlängerung bis zum 18. April. Zudem will Merkel wohl über eine bundesweite nächtliche Ausgangssperre nach bayerischem Vorbild sprechen - sie könnte ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 gelten. Menschen in Hotspots dürften ihre Häuser dann bis 5 Uhr morgens nur noch mit triftigem Grund verlassen, eine konkrete Anfangszeit für die Ausgangssperre ist in dem Papier noch nicht genannt. Als triftige Gründe gelten etwa medizinische Notfälle, nicht aber der Besuch bei Freunden. Auch über komplette Schul- und Kitaschließungen ab einer Inzidenz von 200 soll diskutiert werden.

Wie wird der Osterurlaub?

Die Osterferien werden sicherlich einer der interessantesten Streitpunkte beim Bund-Länder-Gipfel. Für Bayerns Urlauber und Hoteliers sieht es düster aus. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder etwa ist gegen weitere Öffnungen. Auch beim Osterurlaub ist der CSU-Chef skeptisch. "Das kann ich mir nicht vorstellen", sagte Söder zu möglichen Hotelöffnungen. Stattdessen ist er für eine Testpflicht für Reiserückkehrer aus Mallorca. Die Baleareninsel gilt seit wenigen Tagen nicht mehr als Risikogebiet, auch von Nürnberg hob am Freitag der erste Ferienflieger seit Monaten auf die Balearen ab.

Urlaub am Mittelmeer ist möglich, in den heimischen Bergen aber nicht - das bringt auch die Hotelbranche auf. Der Verband Dehoga wettert seit Wochen. "Das ist völlig weltfremd", sagte ein Vertreter den Nürnberger Nachrichten. Tausende Betriebe in Bayern stehen vor der Pleite. Der Frust wächst.

Doch Urlaub in Deutschland scheint trotzdem möglich, denn: Gleich mehrere Länderchefs halten mehr Freiheiten für denkbar. Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein wollen zumindest Einheimischen Ferien im eigenen Bundesland ermöglichen. "Wir sollten zumindest darüber sprechen", sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. "Viele Menschen verstehen nicht, dass es Möglichkeiten für den Osterurlaub auf Mallorca gibt, aber zuhause nicht einmal eine Ferienwohnung im eigenen Bundesland angemietet werden kann."

Auch die Ostfriesischen Inseln begehren auf. Ein Zusammenschluss der Ferienregion forderte Öffnungen mit einer Test-Strategie. Anreisen dürfe überhaupt nur, wer einen negativen PCR-Test hat. Wer länger bleibt, müsse sich regelmäßig einen Abstrich nehmen lassen. Eine Kehrtwende während des Bund-Länder-Gipfels scheint nicht ausgeschlossen.

Auch für die Ferien legen die SPD-Länder konkrete Ideen vor. Die Bild zitiert aus der Beschlussvorlage: "Das Konzept des 'kontaktarmen Urlaubs' kann für Bürgerinnen und Bürger des jeweils eigenen Landes unter Beachtung der geltenden Kontaktbeschränkungen, strengen Hygieneauflagen und der Umsetzung eines Testregimes ermöglicht werden." Dazu zählen wohl Einrichtungen, bei denen "eigene sanitäre Anlagen genutzt und Essen über Selbstversorgung organisiert werden kann". Heißt: Zumindest Ferienwohnungen und autarke Apartments könnten demnach wieder gebucht werden.

Was sagen Mediziner und Experten?

Sie warnen, seit Tagen. Die Infektionszahlen steigen, mittlerweile liegt die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz mit 99,9 denkbar knapp unter dem als kritisch definierten Grenzwert. Die Intensivstationen sind zwar noch nicht überlastet, der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) aber mahnt. "Alles, was man sich jetzt erlaubt, muss man später mit Zins und Zinseszins bezahlen", sagte Gernot Marx der Augsburger Allgemeinen. "Aus unserer Sicht kann es daher nur eine Rückkehr zum Lockdown vom Februar geben."

Auch die Chefin des Ärzteverbandes Marburger Bund wird deutlich. "Es muss definitiv die vereinbarte Notbremse gezogen werden, da darf es keine Ausnahmen geben", sagte Susanne Johna der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Ich rechne ab Ostern mit einer noch kritischeren Lage als zum Jahreswechsel." Der Puffer, den es aktuell auf den Intensivstationen gebe, werde "rasant wegschmelzen".

Kommt jetzt die Vollbremse?

Weitere Lockerungen sind jedenfalls nicht zu erwarten. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann etwa sagt, man müsse damit rechnen "dass Dinge zurückgenommen und verschärft werden". Auch Thüringens Länderchef Bodo Ramelow äußert sich ähnlich. "Ohne Kontaktnachverfolgung und ohne Testen bin ich nicht fürs Öffnen, da bin ich für gar nichts", sagte der Linken-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.

Auch Spitzenpolitiker der SPD sehen kaum Raum für Lockerungen. "Bestimmte Schritte müssen eventuell auch wieder zurückgenommen werden", sagte Fraktionschef Rolf Mützenich. Rheinland-Pfalz' Ministerpräsidenten Malu Dreyer sprach sich in der Neuen Osnabrücker Zeitung zwar für "regionale Lösungen" aus. Aber: Der Stufenplan sehe eben auch Schließungen dort vor, wo sie nötig seien. In Modellkommunen mit einer Inzidenz unter 100 sollten aber auch wie geplant Außengastronomie und Einzelhandel öffnen dürfen - dann mit tagesaktuellem Corona-Test, sagt Dreyer.

Die "Notbremse", die der Stufenplan vorsieht, soll jedenfalls konsequent umgesetzt werden. "Die muss überall in Deutschland gleich und konsequent angewendet werden", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Wer verzögert, warnt der CSU-Chef, der könne die dritte Welle bis in den Sommer hinein verlängern. "Daher jetzt lieber konsequent und schneller – auch wenn es noch mal Kraft kostet."

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