Exklusiver Einblick: Melanie Huml führt durch das Gesundheitsministerium
26.8.2020, 09:22 UhrLange hat Melanie Huml über sich und ihr Leben geredet, über die Politik im Allgemeinen und im Speziellen bei ihr. Wie ihr Medizinprofessor in der Vorlesung die steile These aufgestellt hatte, die Frauen im Hörsaal nähmen "hier nur den Männern den Platz weg", als lebten wir noch im 19. Jahrhundert. Wie sie in den Landtag eingezogen war, als einzige Frau unter all den oberfränkischen Abgeordneten. "Vier Jahre später war ich im Kabinett", sagt sie.
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Da sitzt Melanie Huml heute noch, dreizehn Jahre danach, wenn es auch vor ein paar Tagen fast vorbei gewesen wäre. Sie ist die einzige Ministerin mit zwei Dienstsitzen, einem in München und einem in Nürnberg. Und Vizechefin ihrer Partei ist sie mittlerweile auch. Eine Frau auf dem Frauenticket der CSU, eine Karriere, wie sie typisch ist für eine männerdominierte Partei. "Nur Frau reicht sicherlich nicht", kontert die 44-Jährige. "Man wäre sicher nicht so lange in so verschiedenen Funktionen", wenn da nicht mehr wäre. "Auch wenn das oft so geschrieben wird."
Es ist ein Stereotyp, das sie nicht mag, das ihr Selbstverständnis berührt. "Ich bin stolz, dass ich aus Oberfranken komme", sagt sie. "Ich fühle mich wohl als Frau. Ich werde jeden Tag älter wie alle." Sie arbeitet hart, verzichtet auf viel, sieht ihre Familie nur selten. "Dieses Reduziert-werden auf die eine Rolle, dieses Eingeschränkt-werden", das trifft sie, weil es ihr und ihrer Rolle nicht gerecht wird.
"Du wirst doch jetzt nicht kneifen."
Wobei das mit der Rolle so eine Sache ist. Es gibt Politiker, die tatsächlich eine Rolle leben, die sich als Kunstfigur erfinden, sich inszenieren, nach vorne drängen auf die Bühne. Die ihren Weg durch die politischen Ebenen vorzeichnen. Und ihn gehen, notfalls mit Gewalt.
Melanie Huml ist anders. Über die Stufen, die sie in ihrer politischen Laufbahn genommen hat, haben andere sie gehoben. Der Landtag war nie ihr Ziel und an das Kabinett hat sie nicht gedacht; die oberfränkische CSU hatte ihr den Listenplatz zugeteilt, da war sie gar nicht dabei und wusste nichts davon. Eine Freundin aus der Jungen Union habe auf sie eingeredet, erzählt sie: "Du sagst immer, wir Jungen sollen Verantwortung übernehmen. Du wirst doch jetzt nicht kneifen." 2003 war das, gerade mal ein Jahr, nachdem sie für die CSU in den Kreistag eingerückt war, als jüngste Kreisrätin überhaupt.
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Melanie Huml, die da noch Melanie Beck hieß, hatte ihr Leben ganz anders geplant. Politik sollte Nebensache sein, die Medizin der Hauptberuf. Ärztin wollte sie werden, sagt Huml, weil sie gerne mit Menschen umgeht, mit ihnen redet, Anteil nimmt. Trotz ihres frauenfeindlichen Professors hat sie das Studium geschafft; Nephrologin war ihr Ziel, Spezialistin für Nierenkrankheiten. Doch dann kam die Politik.
Es ist nicht so, dass sie nicht gewusst hat, was sie erwartet. Ihr Vater saß für die CSU im Stadtrat von Hallstadt nahe Bamberg, einer 8500-Seelen-Gemeinde. Sie kennt die Sprüche, über die sich Politiker täglich ärgern. Dieses "Die da oben", das Pauschale, Abfällige. Das habe sie nie verstanden, sagt Melanie Huml. "Ich habe mich immer gefragt, warum Menschen so reden, aber nicht mitmachen, sich nicht einbringen."
"Das bin nicht ich"
Der Preis, den sie heute dafür zahlt, ist hoch, in vielerlei Hinsicht. Spätestens seit vergangener Woche weiß die Bambergerin, wie schnell eine politische Karriere zu Ende sein kann. Die Panne bei den Corona-Tests an den Autobahnen hatte sie kalt erwischt. "Mir war immer wichtig, dass wir konsequent handeln", sagt sie. "Und das gilt auch, wenn die Konsequenzen mich treffen."
Sie halte nichts von Ausflüchten, sagt sie. "Das bin nicht ich." Also hat sie Ministerpräsident Markus Söder ihren Rücktritt angeboten, nicht aus Kalkül, sondern überzeugt, dass sie die Verantwortung übernehmen müsse, auch wenn sie die Panne nicht verschuldet hatte. Zweimal hat Söder abgelehnt. Huml ist geblieben. Angeschlagen sei sie, haben die Medien geschrieben, eine Ministerin auf Bewährung und ohne Macht, die Söder mit Staatssekretär, neuem Pressesprecher und neuen Beamten "eingemauert" habe, und die vielleicht besser doch ihren Hut genommen hätte.
Erfahrene Fachleute an ihrer Seite
Sie hat nicht alles gelesen, was zu lesen über sie stand, aber vieles. "Ich kann damit umgehen", sagt Melanie Huml, "dass ich kritisch hinterfragt werde. Ich stehe in der Öffentlichkeit, das gehört dazu." Und, das ist ihr wichtig, niemand sei ihr vor die Nase gesetzt worden. "Ich habe Markus Söder mehrfach um Unterstützung gebeten und sie auch wie jetzt wieder bekommen." Das Szenario sei einfach so neu und überwältigend gewesen, dass sie erfahrene Fachleute an ihrer Seite haben wollte.
Huml ist mit sich im Reinen; doch sie leidet mit ihren Mitarbeitern im Gesundheitsministerium, die seit Beginn der Corona-Krise "über jedes Maß hinaus alles leisten und die Pandemie bekämpfen." Es sei doch nicht so, dass das Haus permanent schlechte Arbeit abgeliefert habe, im Gegenteil. "Wir haben in diesen sieben Monaten fast alles umgesetzt."
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Anders als sie kämpft ihr Mann sich durch jede Zeile. "Es geht schließlich um seine Frau", sagt Melanie Huml und lächelt. Sie lächelt eigentlich immer, zwinkert manchmal, eine Angewohnheit, die sie ihr medial schon vorgehalten haben. In der CSU nehmen sie viele deshalb nicht ganz ernst. Und ihr Ministerium auch nicht. Vor Corona sei es dort überaus ruhig zugegangen, unauffällig, außerhalb der Wahrnehmung, heißt es in der Partei. So ruhig, dass Markus Söder als Ministerpräsident 2017 verfügt hat, das Ministerium könne seinen Sitz auch nach Nürnberg verlegen. 122 Mitarbeiter sind hier inzwischen; die Räume im Prachtbau des Nürnberger Gewerbemuseums zwischen all den alten Uhren und Bildern reichen nicht mehr, ein Teil der Beamten residiert an der Marienzeile. Der Rest sitzt weiter in München.
In München blickt sie auf die Baustelle für die zweite S-Bahn-Stammstrecke, in Nürnberg auf die Bibliothek, auf ein Kino, vor allem aber auf die Altstadt und besonders auf die Kaiserburg. In München residert ihr Haus in einem modernen Zweckbau, in Nürnberg in einem monumentalen Gebäude, erbaut von Theodor von Kramer in neubarocker Schloss-Architektur. Keine Frage, welches Büro den schöneren Ausblick bietet.
Es liegt nahe, dass für Melanie Huml das Ganze eine Win-win-Situation ist. Von ihrem Nürnberger Dienstsitz kommt sie schnell nach Bamberg zur Familie. Doch schon vor Corona war sie allenfalls einmal in der Woche in Nürnberg. Seit Corona ist sie dort praktisch gar nicht mehr. Huml hat in München eine kleine Wohnung; ihre Familie in Bamberg sieht sie höchstens am Wochenende.
"Mama, du kämpfst gegen Corona"
Für ihre Söhne, fünf und acht Jahre alt, sei das nichts Ungewöhnliches, sagt sie. "Sie wurden reingeboren in die Situation, dass ihre Mama gut beschäftigt ist." Emanuel, der Größere, versteht bereits, was seine Mutter so beschäftigt. "Mama", habe der eines Abends gesagt, "du kämpfst gegen Corona. Dann ist es gut, dass du gehst." Jeremia, der Zweitgeborene, ist noch nicht ganz so weit.
Die Wahl der Namen mit ihrem biblischen Ursprung ist kein Zufall. Huml und ihr Mann sind katholisch und im Glauben fest verankert. Doch als er für den zweiten Sohn den Namen Elijah vorgeschlagen hatte, ging das sogar Melanie Huml zu weit. "Das ist mir zu viel", sagt sie. "Es reicht schon, dass er jedes Mal Huml buchstabieren muss."
Der Kampf gegen Corona freilich brachte es mit sich, dass die Gesundheitsministerin allen Älteren vom Kontakt mit ihren Enkeln abraten musste. Das traf auch ihre Familie, ihre Eltern, die sich um die Enkel kümmern. Humls Mann Markus musste ran, die Betreuung übernehmen.
Melanie und Markus Huml sehen sich als Einheit und die Familie in Bamberg als ihr Zentrum. "Es ist uns wichtig, dass unsere Kinder ihr Zuhause haben." Wenn Melanie Huml daheim ist, dann, sagt sie, "binden sie mich komplett ein." Dann müsse sie Legotürme bauen, Fußball im Garten spielen oder "ganz dringend Pfannkuchen backen". Doch das passiert selten genug.
Keine Geschichten
Im Ministerium, auch das gehört zur Wahrheit, sind sie froh, dass sie Melanie Huml als Ministerin haben. Es gibt Minister, die bekannt sind und gefürchtet für ihre Wutanfälle. Es gibt die Geschichten von fliegenden Handys und von Hamburgern, die beim Fahrer auf dem Schoss gelandet sind. Manche sind verbürgt, manche vielleicht nur gut erfunden. Aber immer glaubhaft. Von Melanie Huml gibt es solche Geschichten nicht.
Als vergangene Woche ihr Schicksal auf der Kippe stand, erzählen Mitarbeiter, da habe sie "sich nichts anmerken lassen. Und das war sicher nicht einfach für sie." Huml sei wie immer "voll da gewesen", vor allem aber "freundlich wie immer". Das sei eine ihrer wichtigsten Regeln, sagt Melanie Huml. "Ich will auch im Topstress freundlich bleiben zu meinen Leuten." Das zeigt sich auch in ihrer Sprache. Huml sagt oft "wir" und selten "ich". Sie führt ihr Ministerium wie es eben eine Frau führt, weicher, verständnisvoller, anders, aber nicht schlechter.
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