Schuldenbremse längerfristig aussetzen? Ehrbar, aber befremdlich argumentiert

Stephan Sohr

Chefredakteur Nürnberger Zeitung

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4.2.2021, 08:16 Uhr

Milliarden über Milliarden Euro hat der deutsche Staat in die Hand genommen, um die widrigsten wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, so die Finanzhilfen denn auch bei den von den politischen Beschlüssen Betroffenen ankommen. Scheinbar mühelos wurde das Geld besorgt - klar, an Investoren, ob Banken, Versicherungen, Fonds oder die Europäische Zentralbank (EZB), die als besonders sicher geltende deutsche Schuldtitel kaufen, fehlt es nicht. Und aufgrund der Minuszinsen verdient der Staat sogar noch daran.


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Schuldenbremse soll bis nach dem Lockdown-Ende warten

Da werden immer deutlicher Begehrlichkeiten laut, die darauf abzielen, das schuldenfinanzierte Füllhorn nicht nur jetzt, da die Pandemie noch nicht überwunden ist, auszuschütten, sondern auch dann, wenn die Lockdowns hoffentlich bald ein Ende haben. Erwartbarerweise werden solche Forderungen unter anderem von Reiner Hoffmann, dem Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, erhoben. Die Schuldenbremse, vom linken politischen Spektrum ohnehin kritisch beäugt, sei auszusetzen, weil in die öffentliche Infrastruktur zu investieren sei, so Hoffmann.

Was nicht grundsätzlich falsch ist; doch kann das nicht ohne den Blick auf den Berg der Staatsverschuldung geschehen, der schon einmal niedriger war als jetzt, da ihn die Corona-Hilfen haben wachsen lassen. Hoffmann unterstrich im Interview mit der Nürnberger Zeitung seine Forderung sogar damit, dass er dem Vorsitzenden der "Wirtschaftsweisen" quasi die Daseinsberechtigung absprach, weil dieser die Rückkehr zu solider Finanzpolitik angemahnt hat - solche Sachverständigen brauchen wir nicht, meint Hoffmann.

Dass der als wirtschaftsliberal geltende Prof. Lars Feld als Chef des Sachverständigenrats zur Disposition steht, dürfte Hoffmann freuen. Eine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die finanzpolitische Stabilität des Landes ist das indes nicht.

Auch Kanzleramtschef will Schuldenbremse aussetzen

Befremdlicherweise will mit Helge Braun sogar der Kanzleramtschef von der CDU die Schuldenbremse längerfristig aussetzen - mit der Begründung, die wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden. Das ist zwar ehrbar, aber befremdlich argumentiert. Erholen wird sich die Wirtschaft dann, wenn die Pandemie unter Kontrolle ist und die Unternehmen wieder normal arbeiten können. Dann sprudeln die Steuern wieder wie vor Corona. Wir sollten nicht vergessen, was die Schuldenbremse bewirkt hat: eine im internationalen Vergleich solide Staatsverschuldung.