Warum Merkels Entschuldigung mustergültig ist

Stefanie Banner

Politik und Wirtschaft

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25.3.2021, 14:45 Uhr
Angela Merkel hat sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschieden, einer Entschuldigung. Das hat einige Reaktionen hervorgerufen

© Stefanie Loos, afp Angela Merkel hat sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschieden, einer Entschuldigung. Das hat einige Reaktionen hervorgerufen

"Entschuldigung": 14 Buchstaben, hinter denen so einiges steckt. Die Politikwissenschaftlerin Karina Strübbe hat für ihre Doktorarbeit das Thema "Politische Entschuldigung" erforscht und kann daher die Entschuldigung der Bundeskanzlerin gut einschätzen. Aus Sicht der Forschung sei Angela Merkels Verhalten mustergültig, meint die Wissenschaftlerin. Denn sie äußere Reue, übernehme Verantwortung und bitte um Verzeihung.

Deshalb war die erste Reaktion der 33-Jährigen auch ein "Wow!" Denn so eine umfassende Entschuldigung sei eher selten. "Man konnte meinen, Merkel habe ein, nicht unbedingt mein, Buch darüber gelesen, wie man sich entschuldigt", sagt Strübbe, sichtlich beeindruckt.

Doch was bringt es der Bundeskanzlerin, die zur Wahl im Herbst nicht mehr antritt, für politische Entscheidungen bei der deutschen Bevölkerung um Verzeihung zu bitten? "Wenn man von dieser Situation ausgeht, hätte sie es auch sein lassen können." Karina Strübbe geht aber eher davon aus, dass die Entschuldigung keine politische, also machtstrategische Funktion hatte, sondern über die Corona-Pandemie zu erklären ist: "Wenn man 24 Stunden vorher sagt, wir ergreifen Maßnahme X und am nächsten Tag stellt man fest, das war kontraproduktiv, das müssen wir umkehren, dann ist das eine totale Ausnahmesituation in der politischen Kommunikation und kein Standardphänomen."

Da bleibe quasi nur eine Reparatur-Entschuldigung, also eine Entschuldigung, die einen Vorgang reparieren soll, weil die Erklärbarkeit des vorherigen Handelns eingeschränkt ist. Das sei auch ein grundsätzliches Problem der Politik im Bezug auf Corona: Die Bürger erwarten eine Erklärung, die Politik hat sie aber nicht.

Erst mal entwaffnend

Trotzdem wirke eine politische Entschuldigung - wie die von Merkel - auf die Bürger erst mal entwaffnend. Und dann kann man sie akzeptieren oder nicht. "Bei einer solch umfassenden Entschuldigung ist es eher schwierig zu behaupten, dass sie nicht ernst gemeint war", findet Strübbe. Wobei es diese Fälle auch gibt, in denen lapidar ein "Sorry" in den Raum geworfen und zur Tagesordnung übergegangen wird. Allerdings komme es hier auch auf die Glaubwürdigkeit und das Image der um Verzeihung bittenden Person an. "Bei einer Skandalnudel wird eine Entschuldigung anders bewertet als bei Merkel, der man nicht vorwerfen kann, vorzupreschen, sich populistisch oder Aufmerksamkeit erheischend zu äußern."

In der Forschung wird zudem noch zwischen persönlichen Entschuldigungen, bei denen es um das eigene Fehlverhalten geht, und denen qua Amt unterschieden. Letztere ist eine stellvertretende Entschuldigung zum Beispiel für ein Ministerium oder die Ministerpräsidentenkonferenz. "Merkel sagte in ihrer Rede, dass sie sich qua Amt entschuldigt. Sie hat die Entscheidung ja nicht alleine getroffen und die Ministerpräsidenten wiederholten die Entschuldigung auch."


Merkels Rückzieher war ehrlich, tapfer und auch nötig


Nun hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits im April 2020 angekündigt, dass "wir uns in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen", was die Politikwissenschaftlerin geradezu als "hellsichtig" einordnet. "Spahn meinte das viel umfassender, nicht nur auf einzelne Maßnahmen bezogen. Die aktuelle Entschuldigung ist ein Beweis für die Äußerung Spahns", sagt Strübbe, die gerade Lust darauf hätte, ein Buch oder einen Aufsatz zu schreiben, in der man die Coronakrisen-Kommunikation noch mal isoliert bewertet und von der üblichen politischen Kommunikation abgrenzt.

"Geltende Kommunikations-Mechanismen funktionieren hier nicht mehr. Die Situation ändert sich sehr schnell, und von der Politik erwartet man, dass sie adäquat reagiert. Aber das politische System ist da gerade überfordert", so die Wissenschaftlerin. Das wüssten viele, steckten da aber drin und müssten es trotzdem lösen. Strübbe möchte mit den Politikern nicht tauschen. "Doch genau hier sollte man die Äußerung von Jens Spahn einsortieren."

Erinnerung an Willy Brandts Kniefall

Die qualitativsten Entschuldigungen sind Strübbes Forschung zufolge oftmals stellvertretende Entschuldigungen. Ein klassisches Beispiel ist der Kniefall von Willy Brandt, der damals den Weg zur Versöhnung zwischen Polen und Deutschland ebnete. Dieser zeigt, dass Entschuldigungen über nonverbales Handeln möglich sind.

Bei persönlichem Fehlverhalten sind Entschuldigungen schwieriger. "Oft heißt es: Es tut mir leid, dass, aber ...- und darauf folgt eine Erklärung, die Beweggründe erläutern soll. Allerdings wird dadurch die Entschuldigung entwertet", sagt die 33-Jährige. Prominentestes Beispiel aus ihrem Buch ist Karl-Theodor zu Guttenberg, der behauptet hat, sich für sein Plagiat entschuldigt zu haben. Er hat jedoch nur bei denjenigen um Verzeihung gebeten, bei denen er abgeschrieben hat. Das sei keine richtige politische Entschuldigung, meint Strübbe.

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