"Das war ein Staatsverbrechen": So geht es Gustl Mollath heute

22.2.2021, 06:28 Uhr

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Herr Mollath, wie lebt man weiter, wenn man wie Sie jahrelang unter psychisch kranken Straftätern unschuldig eingesperrt war und weitere Jahre um sein Recht kämpfen musste?

Gustl Mollath: Man geht vielleicht mit noch offeneren Augen durch die Welt und kümmert sich intensiver darum, wo und wie man sein weiteres Leben sinnvoll verbringen kann. Ich habe große Glück gehabt, dass mich diese Jahre psychisch nicht extrem niederdrückten.

Wo und wie leben Sie heute?

Mollath: Ich war die vergangenen Jahre immer unterwegs bei Bekannten und habe mir überlegt: Wo macht es Sinn, Fuß zu fassen? Finnland soll ja ein ganz lebenswertes und interessantes Land sein. Das will ich mir jetzt mal genauer anschauen. In meinem früheren Beruf in der Fahrzeugrestaurierung könnte ich dort sicher arbeiten.

Mollath will Florian Herrmann nicht als Ministerpräsidenten

In Ihre Heimatstadt Nürnberg zieht es Sie nicht zurück?

Mollath: Ich bin mit meinem Geburtsort und der Region schon sehr verwurzelt, aber so, wie sich die politische Situation im Land entwickelt, bin ich sehr skeptisch.

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Wie das?

Mollath: Ich gehe davon aus, dass ein gewisser Markus Söder Kanzler wird. Dann muss man davon ausgehen, dass ein Florian Herrmann, der gegenwärtige Chef der bayerischen Staatskanzlei, Ministerpräsident wird. Der leitete damals den Untersuchungsausschuss im Landtag in meinem Fall und hat dort das Verhalten der Justiz und der Politik rundherum gerechtfertigt. Was da in Zukunft zu erwarten ist, das will ich nicht direkt miterleben müssen. Die negative Entwicklung im Staat werden die beiden weiter befeuern.


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Würden Sie im Rückblick sagen, dass Sie sich damals vielleicht in manchen Situationen anders verhalten hätten sollen?

Mollath: Mein Hauptziel war damals, dass meine damalige Ehefrau ihre kriminellen Bankgeschäfte einstellt. Ich wollte sie vor einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung schützen. Mit dieser Befürchtung lag ich völlig falsch. Da hatte ich eine rosarote Brille auf und dachte, der Rechtsstaat funktioniert. Meine Sorge, dass meine Frau größte Probleme mit der Justiz bekommen könnte, war völlig unbegründet, wie ich heute weiß. Bei den Verflechtungen mit der Politik passiert da überhaupt nichts.

"Ich bin nur durch den Druck der Medien freigekommen"

Das Oberlandesgericht in Nürnberg hat damals entschieden, dass Sie freigelassen werden müssen, das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen Recht gegeben, im Wiederaufnahmeverfahren wurden Sie vollkommen rehabilitiert. Ist Ihnen am Ende nicht doch Gerechtigkeit widerfahren?

Mollath: Ja, ich bin frei gekommen, aber – und das ist letztendlich der wirkliche Skandal – nur mit Hilfe eines immensen Druckes der Medien; Ihre Berichterstattung sorgte ja für die Initialzündung und weitere Enthüllungen. Die Systeme an sich haben überhaupt nicht reagiert. Bis zum letzten Moment sollte ich als schwer gestörter und für die Öffentlichkeit gefährlicher Mensch in den Anstalten bleiben.

Herr Schlötterer, es gibt bereits einige Bücher zum Fall Mollath. Warum haben Sie ein weiteres geschrieben?

Wilhelm Schlötterer: Es gibt noch kein Buch, das den Fall umfassend dokumentiert. Das habe ich vermisst. Mir geht es darum aufzuzeigen, welches Verbrechen hier geschehen ist. Von der politischen Spitze in Bayern wurde die Sache als Justizirrtum hingestellt, der mittlerweile behoben ist. Dem ist aber nicht so. Es handelt sich um ein vorsätzliches Verbrechen an Gustl Mollath.


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Wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist einem Bürger Gewalt angetan worden, um ihn zum Schweigen zu bringen. Das hat sogar die Regensburger Staatsanwaltschaft in ihrem ersten Antrag zum Wiederaufnahmeverfahren festgestellt. Da war ganz klar von Rechtsbeugung durch einen Richter und anderen Straftaten die Rede. Die Fassung wurde seinerzeit aber von der CSU-Justizministerin Beate Merk und dem Nürnberger Generalstaatsanwalt kassiert. Zum Zuge kam ein sehr weich gespülter Antrag.

"Vorsätzliche Verstöße gegen das Recht"

Sie fahren in Ihrem Buch schwere Geschütze auf. Sehen Sie in dem Fall Mollath ein abgekartetes Spiel vermögender und einflussreicher Vertreter der Bank, der Justiz und der Politik zu einem Verbrechen? Handelt es sich nicht vielmehr um eine Aneinanderreihung von Fehlern, die niemand korrigiert hat oder niemand korrigieren wollte, bis es irgendwann zu schier unerträglichen Lasten Herrn Mollaths zu spät war?

Schlötterer: Es handelt sich nicht um Fehler, sondern um vorsätzliche Verstöße gegen das Recht. Das hat damals schon der Regensburger Rechtsprofessor Henning Ernst Müller festgestellt. Der hat ausgeführt, dass es in der Strafsache Mollath zu einer von ihm bis dahin nie gesehenen Ansammlung von vorsätzlichen Verletzungen des Rechts gekommen ist. Von bloßen Fehlern kann man da wirklich nicht mehr sprechen.

Wem lasten Sie das an?

Schlötterer: Es handelt sich nicht nur um Vorsatz der Richter und der Staatsanwälte. Hinzu kommt, dass die damalige politische Spitze Bayerns mit verantwortlich ist. Deshalb spreche ich von einem Staatsverbrechen. Warum hat Justizministerin Merk damals versucht, die Freilassung Mollaths zu verhindern? Dafür muss es doch ein Motiv geben.

Kritik an Günther Beckstein

Frau Merk hat 2013 immerhin nicht nur ein Wiederaufnahmeverfahren befürwortet, sondern unmissverständlich eines angeordnet.

Schlötterer: Moment. Der Druck der Öffentlichkeit war einfach zu groß geworden. Außerdem ging Druck vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer aus. Der handelte wohl so mit Blick auf die Landtagswahl 2013. Also, freiwillig handelte die Ministerin keineswegs. Der Nürnberger CSU-Politiker und langjährige Innenminister Günther Beckstein hat sich damals, als das Wiederaufnahmeverfahren bereits feststand, noch ereifert, dass Gustl Mollath ein ganz schlimmer Mensch sei. Daran erkennt man, dass hinter den Bemühungen, die Freilassung Mollaths zu verhindern, ein politisches Motiv stand.

Man muss noch tiefer gehen. Mollath hatte an den damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber mehrere Schreiben geschickt, in denen er darlegte, dass die HypoVereinsbank (HVB) mit Unterstützung von Gustl Mollaths damaliger Frau Schwarzgeldverschiebungen in die Schweiz in großem Stil vorgenommen hat. Und was geschah? Nichts.


Merk verteidigt spätes Eingreifen im Fall Mollath


Man muss dazu wissen, dass der Freistaat Bayern über die Bayerische Landesstiftung mit zehn Prozent an dieser Bank beteiligt war und Vertreter des Staates dort in den Gremien saßen. Da stellt sich die Frage: Kann es sein, dass diese Schwarzgeldverschiebungen in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro ohne Wissen von Stoiber, Beckstein und Merk über die Bühne gegangen sind? Jedenfalls hätten die Herrschaften ein Problem gehabt, wenn das aufgedeckt worden wäre. Das ist klar. Der Fall Mollath darf nicht einfach als bedauerlicher Irrtum in die Justizgeschichte eingehen.

"Mollath war der Willkür des Staates ausgesetzt"

Wer müsste jetzt dafür sorgen, dass dieses Staatsverbrechen, wie Sie es nennen, nicht ungesühnt bleibt?

Schlötterer: Eine strafrechtliche Aufarbeitung wäre vermutlich noch möglich. Nur, die Staatsanwaltschaft, die aktiv werden müsste, untersteht der politischen Spitze. Da handelt es sich sozusagen um ein In-sich-Geschäft. Das ist ja das Problem. Lediglich das Landgericht München I, vor dem Mollaths finanzielle Entschädigung verhandelt wurde, hat so gehandelt, wie man es von einem ordentlichen Gericht erwartet. Die Kammer sprach von eindeutiger Rechtswidrigkeit im Fall Mollath. Er sei, so wörtlich, der Willkür des Staates ausgesetzt gewesen.


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Herr Mollath, hat sich irgendjemand von den beteiligten Medizinern, aus der Justiz oder aus der Politik jemals bei Ihnen entschuldigt?

Mollath: Eine gute Frage. Sie sind in den ganzen Jahren einer der wenigen, die diese Frage überhaupt stellen. Dem ist nicht so. Niemand hat sich entschuldigt.

Schlötterer: Frau Merk sagte mal, Sie würde sich natürlich bei Herrn Mollath entschuldigen, sollte sich tatsächlich herausstellen, dass er unschuldig in der Forensik sitzt. Dieses Versprechen hat sie nie eingelöst.

Wilhelm Schlötterer: "Staatsverbrechen – der Fall Mollath: Das vorsätzliche Verbrechen an Gustl Mollath zwischen Schwarzgeld-Millionen, Vertuschung und der Rolle der CSU“; Finanzbuch Verlag, München 2021, 224 Seiten, 22,99 Euro.

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