"Kinderlockdown" seit Dezember: Eltern protestieren auf dem Forchheimer Paradeplatz

9.5.2021, 07:00 Uhr
Mit Plakaten und Transparenten machten Familien auf dem Forchheimer Paradeplatz ihre Kritik deutlich. Darunter waren auch Marianne Bogner und ihr Sohn Lukas aus Bieberbach. 

© Jana Schneeberg Mit Plakaten und Transparenten machten Familien auf dem Forchheimer Paradeplatz ihre Kritik deutlich. Darunter waren auch Marianne Bogner und ihr Sohn Lukas aus Bieberbach. 

Lukas Bogner ist 15 Jahre alt und wohnt in Bieberbach. Eigentlich besucht er die Realschule in Gräfenberg. Eigentlich, weil er seit dem 16. Dezember genau einen Tag in der Schule war. Der Tag nach den Osterferien, an dem entschieden wurde, dass am darauffolgenden die Schulen im Landkreis Forchheim wieder schließen. Seitdem lernt der Achtklässler also wieder zu Hause - und hofft, dass das bald ein Ende hat.

"Mir fehlen meine Freunde, mir fehlt der Vergleich mit anderen in der Klasse und auch der Antrieb, immer wieder alles allein machen zu müssen", erzählt er. Es sei viel Stoff, den er sich - trotz der Videokonferenzen - zu Hause erarbeiten müsse. 20 bis 30 Kopien pro Woche kämen da schon zusammen, erklärt er. "Da ist Selbstorganisation gefragt", fügt seine Mutter an. Und: "Das kann nicht jeder." Zwar mache ihr Sohn seine Sache gut, er sei selbstständig, habe ein eigenes Zimmer mit eigenem Laptop, treffe sich nachmittags auch mit seinen Freunden und jogge gern. Insofern ginge es ihm besser als vielen anderen, die unter schwierigeren Bedingungen lernen müssen. Dennoch: "Ganz allein kann er das nicht stemmen. Ihm fehlt oft die fachliche Anleitung und das können wir als Eltern nicht immer leisten", meint Mutter Marianne Bogner.

Aus diesen Gründen sind Mutter und Sohn am Samstag nach Forchheim gefahren, um an der Kundgebung der Initiative Familie teilzunehmen. Dazu hatte das Forchheimer Bündnis, von dem es deutschlandweit noch weitere Ableger gibt, bereits zum dritten Mal aufgerufen.

Dabei ist der Zulauf noch einmal angestiegen. Und auch die Vehemenz, mit denen die Eltern und Familien ihre Forderungen unterstrichen. So zeigten zahlreiche Plakate, was den Eltern besonders auf der Seele brennt: "Kinder haben keine Lobby" wurde ebenso angeprangert wie "Eltern sind keine Lehrer". Und es wurde gefordert: "Wer Biergärten öffnen kann, kann auch Schulen öffnen".

Initiatorin Ulrike Petry-Färber machte einmal mehr deutlich: "Wir haben einen Kinderlockdown, der seit Mitte Dezember herrscht". Die Lockerungen, die am Montag in den Grundschulen in Kraft treten, änderten daran nichts. Denn für die Mittelstufe gebe es keine wirklichen Perspektiven. Sie kritisierte: "Laut Kultusministerium ist in allen weiterführenden Schulen bei einer Inzidenz von 0 bis 100 Wechselunterricht geplant", das hieße, dass in diesem Schuljahr kein regulärer Präsenzunterricht mehr möglich ist.

Sie, aber auch andere Rednerinnen und Redner, gingen aber auch auf weitere Missstände ein. Sprachdefizite würden zunehmen, bei Kindern aus Migrantenfamilien würden die Deutschkenntnisse nachlassen. Viele Kinder, deren Eltern nicht im Homeoffice arbeiten können, bewältigen ihren Schultag allein, manche von ihnen müssten sich dabei noch um kleinere Geschwister kümmern. "Wir überfordern unsere Jugendlichen", kritisierte Petry-Färber.


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Christiane Topf, die als Osteopathin arbeitet, hat außerdem zahlreiche Haltungsdefizite bei den Kindern und Jugendlichen festgestellt - und beklagte: "Jedes Unternehmen muss auf ergonomische Arbeitsplätze für seine Mitarbeiter achten. Vom Kultusministerium kam noch nicht einmal ein Infoschreiben, wie Eltern ihren Kindern den Arbeitsplatz einrichten können." Den Bewegungsmangel, der gerade bei Jugendlichen zu beobachten sei, könne man zu Hause kaum ausgleichen. "Welcher Teenager geht schon gern mit seinen Eltern zum Spazieren in den Wald." Marion und Lena Knauer, beide sind Trainerinnen beim SV Buckenhofen, forderten nicht nur deshalb: "Vereinssport muss Teil der Lösung sein".

Unterstützung erhielten die Protestierenden diesmal von zahlreichen Politikern. Neben Oberbürgermeister Uwe Kirschstein (SPD) war auch sein Stellvertreter von der CSU, Udo Schönfelder, vor Ort. Der FDP-Landtagsabgeordnete Sebastian Körber und Lisa Badum, Bundestagsabgeordnete der Grünen, sprachen den Beteiligten Mut zu. "Die stillen Helden dieser Pandemie sind Sie als Eltern", sagte Sebastian Körber und fügte an: "Wenn Sie nicht laut werden, werden Sie in der Münchener Staatskanzlei kein Gehör finden."

Lisa Badum machte deutlich, dass es Lobbygruppen gegeben habe, die im Bundestag stark aufgetreten seien, um pandemiebedingte Einschränkungen für ihre Branche zu vermeiden. Die Familien hätten demgegenüber das Nachsehen. "In der Abwägung der Maßnahmen werden sie zu wenig gehört." Das müsse sich ändern, demzufolge sei es wichtig, auf die Missstände aufmerksam zu machen.

Die Hoffnung von Lukas Bogner und seiner Mutter Marianne liegt nun - wie die vieler anderer - auf sinkenden Fallzahlen. Wenn die Inzidenzwerte noch noch zwei Tage unter 100 blieben, könnte der 15-Jährige ab Mittwoch wieder in die Schule. Zwar im Wechselunterricht, aber das sehen die beiden nicht so kritisch: "Hauptsache ich kann in die Schule und muss nicht mehr alles allein zu Hause machen", meint Lukas.