Reporter getäuscht
"Bild" fällt auf Fake-Drachenlord herein: So ging der Schwindler vor
13.1.2023, 20:39 UhrEs war ein ganzseitiger Artikel, der Anfang Januar in der "Bild"-Zeitung und online auf bild.de erschien. "Der meistgehasste Mann des Internets", hieß es in der Überschrift. Gemeint war der Drachenlord, ein ehemaliger Youtuber aus dem mittelfränkischen Altschauerberg, bürgerlich Rainer Winkler. Winkler ist seit Jahren vor allem wegen des andauernden Konfliktes mit seinen Hatern bekannt, einer unübersichtlichen Gemeinschaft von Anti-Fans, die wollen, dass er aus der Öffentlichkeit verschwindet. Dafür überfluteten sie seine Accounts mit Hasskommentaren und pilgerten jahrelang zu seinem Wohnort.
"Bild"-Zeitung führte nie ein Interview mit dem Drachenlord
Über Winkler wird deshalb regelmäßig in verschiedensten Medien berichtet. Auch unsere Redaktion traf den Ex-Youtuber im vergangenen Jahr zum Gespräch. Nun also der "Bild"-Artikel. Im Text wird die Geschichte des Franken geschildert, zwischendurch kommt der Drachenlord auch selbst zu Wort. Doch Winkler hat mit der "Bild"-Zeitung nie geredet.
Das bestätigt der 33-Jährige auf Anfrage. Und auch das Boulevard-Blatt gibt zu: Ihr Reporter ist einer Fälschung aufgesessen. Der Austausch zwischen ihm und Winkler hatte ausschließlich schriftlich stattgefunden. "Interviewt wurde jedoch eine andere Person, die sich mit Fälschungen amtlicher Ausweisdokumente und hoher krimineller Energie als dieser ausgab", schreibt die Zeitung in einer Entschuldigung an ihre Leser. Man werde deshalb Strafanzeige stellen.
Wie es zu der Fälschung kam, lässt sich aus Chat-Nachrichten und E-Mails nachvollziehen, von denen unserer Redaktion Screenshots vorliegen. Teilweise kursieren diese auch auf Twitter oder Telegram. Ob es sich bei den abfotografierten Chats wirklich um die Original-Nachrichten zwischen dem "Bild"-Reporter und dem Troll handelt, ist nicht zu verifizieren. Zeitstempel und Kontaktdaten legen dies aber nahe.
Die Screenshots stammen von einer Person, die vorgibt, hinter dem Betrug zu stehen. Wir haben sie kontaktiert. Er sei kein Hater, sondern ein Internet-Troll, der es nicht nur auf den Drachenlord abgesehen habe, schreibt der Mann in einer Mail an die Redaktion. Der Kontakt zwischen ihm und dem "Bild"-Reporter sei "reiner Informationsaustausch" gewesen - er habe nie geglaubt, dass daraus wirklich ein Artikel entstehen würde.
Der Journalist habe seiner Darstellung zufolge versucht, den Drachenlord über Twitter zu kontaktieren. Allerdings handelt es sich bei @drachenlordRW, wie der Account heißt, um ein Fake-Profil. Winkler ist auf der Plattform nicht aktiv. "Der Account wurde von mehreren Leuten genutzt", schreibt der Mann, der die "Bild" gegen sich aufbrachte. "Ich persönlich habe diesen Account eigentlich ausschließlich dafür genutzt, um andere Twitter-Accounts, die sich mit dem Drachenlord beschäftigen, sperren zu lassen", schreibt er. Das sei aus "reiner Schadenfreude" passiert.
In den Nachrichten bittet der Reporter den vermeintlichen Rainer Winkler via Twitter um ein Interview. Der sagt zu, will aber nur schriftlich Fragen beantworten. Dabei gibt sich der Troll allerdings viel Mühe: Er schickt ein mehrseitiges Dokument mit gefälschten Aussagen. Der Duktus seiner Antworten orientiert sich an Winklers Art zu schreiben, sehr schlechte Rechtschreibung, ausufernd lange Sätze. Allerdings sind in dem Text einige Behauptungen eingebaut, die Eingeweihte stutzig machen sollen. Dort ist etwa die Rede von einer Frau Winkelspecht vom Landratsamt, die ihm nicht helfen wolle. Tatsächlich ist Sandra Winkelspecht die Bürgermeisterin von Emskirchen, wo Winkler jahrelang gemeldet war.
Der Fake-Drachenlord schickt auch ein Foto, das er als Illustration für den Artikel anbietet. Allerdings hält er daran nicht die Rechte, wie sich später herausstellt. Der Urheber meldet sich nach der Veröffentlichung bei dem Blatt.
Ausweisfoto kursierte seit Jahren im Netz
Womöglich ist dies der Punkt, an dem die Redaktion erstmals stutzig wird. Denn nun fordert der Reporter laut der Screenshots ein Ausweisdokument zur Bestätigung, dass es sich bei seinem Gesprächspartner wirklich um Winkler handelt. Der schickt entsprechende Fotos, die allerdings seit Jahren im Netz und vor allem in der Hater-Gemeinde kursieren. Ein ebenfalls gefordertes Telefonat lehnt der Internet-Troll ab, immer mit der Begründung, er habe Angst vor den Hatern und wolle nicht lächerlich gemacht werden.
Der Mann, der den Betrug eingefädelt hat, ist unter verschiedenen Pseudonymen im Netz unterwegs, in der Hater-Szene aber vor allem als "Mimon" bekannt. Der Name ist an Mimon Baraka angelehnt, einen Berliner, der wie der Drachenlord über Jahre Hassnachrichten und Drohanrufe erhielt, wenn auch nicht annähernd im gleichen Ausmaß. Dass seine Aktion Konsequenzen hat, kann sich der falsche Rainer Winkler nicht vorstellen. Er hält den Betrug für harmlos. "Ich setze mich an meinen Rechner und verarsche die Leute, weil es mir Spaß macht", sagt er. "Trollen ist halt einfach mein Hobby".