Endspurt um den Titel: Wer wird Kulturhauptstadt Europas 2025?

22.9.2020, 05:45 Uhr
Endspurt um den Titel: Wer wird Kulturhauptstadt Europas 2025?

© Foto: Ikon Images / Matt Herring

Wie soll das Kulturhauptstadtjahr in Nürnberg eröffnet werden, wenn die Stadt den Titel gewinnt?

Vier Tage lang, vom 3. bis 6. Januar 2025, ist ein großes "Volksfest" mit Musik, Theater und Tanz geplant. Die ganze Stadt soll klingen und tanzen. Befördert werden soll das unter anderem durch eine "Community Oper", die Kinder, Jugendliche und Erwachsene einstudieren. Der Himmel über Nürnberg soll in der Eröffnungsnacht und dann zwei ganze Wochen lang von der Komponistin Brigitta Muntendorf und dem französischen Lichtkünstler Bertrand Planes zum Leuchten und Klingen gebracht werden. Die polnisch-britische Künstlerin Goshka Macuga wird eine Raketen-Skulptur bauen und zünden.

Was ist anders im Vergleich zum ersten Bewerbungsbuch, mit dem Nürnberg in die Endrunde kam?

Das Programm wurde konkretisiert, an manchen Stellen ausgedünnt, an anderen erweitert. Es ist nun stringenter aufgebaut und wesentlich stärker auf Europa ausgerichtet. Bei so gut wie jedem Programmpunkt ist ein europäischer Partner eingebunden — vom Jüdischen Museum in Prag über das Goethe-Institut in Minsk bis zur amerikanischen Johns Hopkins Universität. Neu ist zum Beispiel die intensive Auseinandersetzung mit dem Werk von Leni Riefenstahl und die stärkere Einbindung der "Täterorte" des Nationalsozialismus. Und auch, dass Sternekoch Andree Köthe und Top-Küchenchefs aus ganz Europa "Kulinar-Kunst" im Kulturhauptstadtjahr offerieren, stand im ersten Bewerbungsbuch noch nicht.

Welche Themen bestimmen das Programm 2025 und wie ist es aufgebaut?

Drei Säulen bilden das Programm unter dem Obertitel "Past Forward": Humanity (Menschlichkeit), Activity (Arbeit, Lernen und Spielen, um die Welt zu gestalten), Community (Miteinander). Zu jeder Säule gibt es drei bis vier sogenannte Plattformen mit jeweils bis zu neun Projekten.

Was wird zu erleben sein?

Insgesamt wird es nach derzeitigem Stand mehr als 60 Projekte geben — von der klassischen Ausstellung über Diskussionsformate, analoge Tagungen, digitale Plattformen, Mitmachaktionen und Installationen im öffentlichen Raum bis zu umfangreichen Festivals. Thematisch geht es von der Erinnerungskultur über die Zukunft der Arbeit bis zum Spielen in all seinen (auch dunklen) Facetten. Jonathan Meese, gerne als Enfant terrible der bildenden Kunst bezeichnet, soll sich mit dem Werk von Leni Riefenstahl befassen, Kindergruppen aus der EU werden ein "12-Sterne-Hotel" mit Traum-Räumen gestalten und Dürer soll mit Hologrammen lebendig werden — um nur drei Beispiele zu nennen.

Gibt es ein zentrales Projekt?

Nein, aber eine Klammer für viele Vorhaben ist "Nürnberg Time Machine", also eine digitale Nürnberger Zeitmaschine. Darin sollen die weltweit verstreuten Objekte der Nürnberger Geschichte digital zurückgeführt werden. Die Historie soll dort mit den Technologien der Zukunft wie künstliche Intelligenz und Augmented Reality erforscht werden, interaktive, geschichtsbasierte Spiele angeboten und historische Stadtteile in 3D rekonstruiert werden.

Welche Ausstellungen soll es geben?

Sehr unterschiedliche: In Zusammenarbeit mit dem KZ Flossenbürg sollen zum Beispiel auf dem Reichsparteitagsgelände Zeichnungen von Kindern aus Konzentrationslagern gezeigt werden, dazu Holocaust-Comics. Jeder Einwohner Nürnbergs, der 2025 seinen 18. Geburtstag feiert, plus weitere 500 junge Leute aus Partnerstädten bekommen ein kostenloses Interrail-Ticket für Reisen durch Europa. Ihre Impressionen und Erfahrungen, sollen in eine große Präsentation münden. Das Germanische Nationalmuseum wird "Meisterstücke" zeigen.

Endspurt um den Titel: Wer wird Kulturhauptstadt Europas 2025?

Welche Aktionen finden statt?

"Stargazing" heißt beispielsweise ein Projekt, das auf Nürnbergs astronomische Tradition zurückgreift und ein neues Genre der "Dunkelheitskunst" erarbeiten will. Überall in der Region sollen vorübergehend Observatorien aufgebaut werden und in einer Nacht zur Geisterstunde überall die Lichter ausgestellt werden. Unter dem Titel "Everybody" soll es ein Fest des inklusiven Tanzes und Theaters geben und "Songlines" werden das Liedgut aus Vergangenheit und Gegenwart erforsch- und erfahrbar machen.

Wie ist die Metropolregion eingebunden?

41 Städte, Kommunen und Landkreise aus der Region sind dabei — von Amberg bis Bamberg, von Sonneberg bis Solnhofen. Unter dem Projekttitel "Archipele des Spiels" soll die ganze Region 2025 zum großen Spielfeld werden. Interaktive Spiel-Installationen werden auf öffentlichen Plätzen, in Museen oder Theatern eingerichtet. Einen besonderen Schwerpunkt setzt dabei etwa Bayreuth mit "Escape Rooms" aus aller Welt. Firmen aus Fürth, Sonneberg und Nürnberg befassen sich zusammen mit Museen mit dem "Spielzeug von morgen". Und an der Groß-Ausstellung "People’s History" zur regionalen (Wirtschafts-)Geschichte und Arbeiterkultur beteiligen sich 120 Museen der Region. Für ein anderes Projekt ("Through the Mill") zur Geschichte der letzten 50 Jahre des industriellen Wandels kooperieren die Unis in Bamberg und Bayreuth mit dem Porzellanikon in Selb und dem Museum Industriekultur.

Wie sind hiesige Künstlerinnen und Künstler eingebunden?

Als Partner für die konkreten Projekte sind vorwiegend hiesige Institutionen und Kollektive wie der Z-Bau, das Brachland-Ensemble, der KinderKunstRaum, das N.Ort-Kollektiv, die Musikhochschule, aber auch die Handwerkskammer oder auch das Fraunhofer-Institut genannt, nicht Einzelpersonen. Das Programm soll in den nächsten Jahren mit weiteren Projekten angereichert werden, insbesondere von Nürnberger Kreativen. Zehn Prozent des künstlerischen Etats werden dafür zur Verfügung stehen.

Welche Infrastrukturmaßnahmen sind neben dem künstlerischen Programm geplant?

Vier Gebäude in Nürnberg sollen dauerhaft als Kulturorte neu aufgestellt oder überhaupt erst erschlossen werden: Die Kongresshalle, das Haus des Spielens im Pellerhaus, die Alte Feuerwache I in der Reutersbrunnenstraße und das Museum Industriekultur.

Wie hoch ist das Budget?

Gegenwärtig plant man mit 103,2 Millionen Euro an Gesamtbudget.

Woher kommt das Geld?

Für das operative Budget kommen 20 Millionen Euro von der Stadt, 30 Millionen vom Freistaat, 15 Millionen vom Bund, 6,2 Millionen aus der Metropolregion, 2,5 Millionen von der EU, 7,5 Millionen von Sponsoren.2 Millionen sollen über Einnahmen reinkommen. Für das Investitions-Budget rechnet man mit je 10 Millionen von Stadt und Bund.

Wofür wird es ausgegeben?

83,2 Millionen sind für das operative Budget geplant, davon 50 Millionen für das künstlerische Programm, je 15 Millionen für Marketing/Kommunikation sowie Löhne, Gehälter, Mieten. Die verbleibenden 3,2 Millionen stehen für eventuelle Notfälle zur Verfügung. Das investive Budget ist für die erste Entwicklung der Kongresshalle, die Umnutzung der Alten Feuerwache als Zentrum für die Kultur- und Kreativwirtschaft sowie die Neukonzeption des Museums Industriekultur geplant.

Wie viel Personal ist für die Durchführung des Kulturhauptstadtjahres nötig, und wer wird Chef?

Wenn Nürnberg den Titel erhält, wird das Bewerbungsbüro in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt. Gesellschafter werden die Stadt Nürnberg und der Freistaat sein. An der Spitze wird ein Duo stehen: ein Verwaltungsdirektor, der oder die noch gesucht werden muss, und ein künstlerischer Direktor, der bereits feststeht: Hans-Joachim Wagner, derzeit Leiter des Bewerbungsbüros, wird den Posten übernehmen. Das Personal wird aufgestockt: 2024/2025 sollen 35 festangestellte Mitarbeiter in Vollzeit beschäftigt sein.

Was ist überhaupt Ziel der Bewerbung?

Vereinfacht gesagt: Stadtentwicklung durch Kultur.

Wie soll das Kulturhauptstadt-Jahr zu Ende gehen?

So wie jedes zweite Jahr in Nürnberg zu Ende geht: mit dem "Silvestival" — also mit Musik in Theatern, Kirchen oder Bars. In dieser Nacht übernimmt Finnland dann den Stab als Kulturhauptstadt.

In den kommenden Wochen wird die zwölfköpfige internationale Jury die fünf jeweils 100-seitigen Bewerbungsschreiben sichten. Eine Gruppe von vier Jurorinnen und Juroren wird die Städte "besuchen". Ursprünglich wollten sie selbst anreisen, wegen Corona wurde nun alles ins Digitale verlegt. Nürnberg präsentiert sich am 23. Oktober drei mal 70 Minuten lang auf digitalem Weg. Nach jeder Einheit gibt es jeweils halbstündige Diskussionen mit der Jury. Die Präsentation ist nicht öffentlich.

Am 26./27. Oktober präsentieren sich dann alle Städte (neben Nürnberg sind Chemnitz, Hannover, Hildesheim und Magdeburg dabei) nochmal vor der Gesamtjury, die dann am 28. Oktober den Sieger bekanntgibt.

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