Obdachlosenhilfe für alle: Immer mehr Menschen in Nürnberg hilfsbedürftig
18.1.2021, 05:34 UhrDie Heinzelmännchen waren da! – Und sie haben geholfen. So, wie sie es seit 2015 tun. „Heinzelmännchen für OHA“ lautet der Name des Vereins komplett. Und auch wenn er eher an eine Geschichte von niedlichen kleinen Männchen mit Zwergenmütze erinnert, steckt dahinter bitterer Ernst. Die Heinzelmännchen helfen Obdachlosen, Hilfsbedürftigen und Armen. Und davon gibt es in Nürnberg immer mehr.
Obdachlose in Angst: Sie werden immer wieder angegriffen
An sie verteilt der Verein einmal im Monat Kleidung, Decken, Kosmetik, Nahrungsmittel und nun in der Corona-Pandemie auch FFP2-Masken. Am Samstag reihten sich wieder dutzende Menschen vor dem Ausgabestand am Karl-Bröger-Eck ein.
Mehr Menschen können sich Masken nicht leisten
Der Verein hilft unbürokratisch. Weil ab Montag, 18. Januar, alle bayerischen Bürger im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften FFP2-Masken tragen müssen, haben die Vereinsmitglieder 2000 Masken gekauft – finanziert aus Spendengeldern. Der Grund dafür war vor allem, dass bis Ende der Woche noch unklar war, wann und wie Menschen, die sich die teuren Wegwerf-Masken nicht leisten können, eine bekommen sollen.
Plötzlich obdachlos
Und das sind viele Menschen. „Wir haben monatlich einen Termin, an dem wir Lebensmittel, Kleidung und andere Sachspenden an Bedürftige verteilen“, sagt der Vorstand des Vereins, Jörg Ziegelmüller.
Während bis Ende 2019 rund 100 Menschen angestanden hätten, kommen seit Anfang 2020 im Schnitt bis zu 250. Am vergangenen Samstag ist das nicht anders. Schon vor Ausgabebeginn stehen Dutzende geduldig an, die Schlange zieht sich von der Karl-Bröger-Straße / Ecke Celtispark durch den angrenzenden Tunnel bis zur Sandstraße.
Unter den Wartenden ist Manfred. Wie viele kommt auch er seit Jahren zu den Ausgabeterminen. Anfangs habe ihn das enorme Überwindung gekostet, sagt der 67-Jährige.
Rückblick: Als junger Mann lernt er Bäcker, kommt mit Drogen in Kontakt, landet im Gefängnis. Als er rauskommt, darf er in eine Wohnung für entlassene Strafgefangene ziehen, die ihm eine Hilfsorganisation vermittelt. Als er wieder Arbeit findet, muss er den Platz in der Unterbringung für die nächsten frei machen. Er macht sich auf die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung – vergeblich.
Aber nun, wohin?
Was macht man, wenn man plötzlich ohne Dach über dem Kopf da steht? „Ich bin erstmal zum Bahnhof“, erinnert er sich. Ein Jahr lang lebt er dann auf der Straße, schläft überall. Ist es kalt, besucht er die Wärmestube.
Er bleibt für sich, sucht immer weiter nach einer Wohnung. In Obdachlosen-Pensionen will er nicht, hat Angst, dort rückfällig zu werden, weil Alkohol und Drogen den Alltag vieler andere Obdachloser prägen. Am schlimmsten sei für ihn die hygienische Situation gewesen, sagt er. Manfred hat Glück, er findet eine Wohnung, lebt anfangs von kleinen Jobs, auch von Hartz IV.
Jetzt bekommt er Rente und Grundsicherung. „Das reicht aber nicht zum Leben.“ Auch deswegen ist der den Heinzelmännchen dankbar.
Vereinsamung nimmt zu
Corona hat die Lage der Obdachlosen und Hilfsbedürftigen verschlimmert. Die Einsamkeit sei am schmerzhaftesten, sagt Manfred. Zu Hause fällt einem die Decke auf den Kopf, da sei man sogar um so einen Ausgabetermin froh, weil er etwas Abwechslung bringt.
Dass die Heinzelmännchen die Verteilung überhaupt durchführen dürfen, ist einer Sondererlaubnis durch das Gesundheitsamt zu verdanken. Aber die Auflagen sind streng. „Abstand halten, zwei Meter, das ist so viel!“ Wieder und wieder ermahnen die Vereinsmitglieder die Wartenden und zeigen mit ausgebreiteten Armen, wie weit man auseinanderstehen muss.
Angefangen als Obdachlosenhilfe
Angefangen haben die Heinzelmännchen als Obdachlosenhilfe. Deswegen gibt es nicht nur den Ausgabetermin einmal im Monat. Die Heinzelmännchen ziehen auch mit ihren Bollerwagen durch die Stadt und suchen die Plätze auf, an denen Wohnungslose meist anzutreffen sind. „Viele trauen sich nicht, zur Ausgabe zu kommen, auch, weil sie ihren Stammplatz nicht verlassen wollen“, sagt Ziegelmüller. „Also, kommen wir zu ihnen.“
Obdachlos in Nürnberg: Ein Leben ganz unten
Doch es stehen vor allem alte Menschen in der Warteschlange. Die Vereinsmitglieder sehen, was es heißt, im Alter arm zu sein. „Zu uns kommt oft eine Frau, 74 Jahre alt. Sie zahlt ihre Miete, Nebenkosten und Versicherungen. Danach bleiben ihr 50 Euro zum Leben – im Monat!“, sagt Ziegelmüller.
Seit 2017 ist der Verein gemeinnützig, was es ihm vor allem ermöglicht, Geldspenden besser verwenden zu können. Und er hilft mit Kleidung. Auch an diesem Samstag ist der Bedarf daran groß. Generell bekomme man immer viele Kleiderspenden, die die Vereinsmitglieder in einem Lager unterbringen. „Aber Winterjacken und gut erhaltene, feste Schuhe fehlen“, sagt Elke Brandl.
Es fehlen Jacken und Schuhe
Die ehrenamtliche Helferin arbeitet seit mehreren Jahren beim Verein. An diesem Tag verteilt sie Decken, Schlafsäcke, Isomatten und Thermoskannen. Es fällt auf: Nicht nur Obdachlose nehmen eine Isomatte mit, auch alte Menschen. „Manche sparen an der Heizung, sie haben dann eine eiskalte Wohnung und legen sich die Matte mit ins Bett.“
Natürlich gebe es auch schwarze Schafe, sagt sie. Aber sie und ihre Kollegen hätten inzwischen ein Auge dafür, wer wirklich etwas braucht und wer sich bereichern wolle oder anderen etwas nicht gönne, sagt sie. Eigentlich ist sie Sachbearbeiterin in einer IT-Firma. „Die Arbeit hier mit den Menschen und auch mit dem Team ist ein Ausgleich“, sagt sie. Sie sei emotional oft sehr bewegt nach den Ausgabetagen. „Mir geht es gut und ich möchte einfach etwas zurückgeben.“
Wer den Verein mit Geld- oder Sachspenden unterstützen möchte, findet alle Infos dazu unter: www.herzfuerobdachlose.de
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