Auf technologischer Seite kommt das Fachwissen aus der Region. Für die „Komponente der Abstandsschätzung“, so sagt es Thoralf Dietz, der die Unternehmenskommunikation des Fraunhofer ISS in Erlangen leitet, brachte die Fraunhofer-Gesellschaft ihre Kompetenz in Sachen Bluetooth-Technologie ein: Ist die App auf zwei Handys installiert und kommen sich deren Besitzer über einen längeren Zeitraum nahe, soll die App über die Signale herausfinden können, ob sich ihre Besitzer mit dem Coronavirus anstecken können - eine Art digitaler Handschlag. Dietz spricht von „Abstandsschätzung“, nicht von "Messung", und dies aus gutem Grund: Die Bluetooth-Technologie kann nur schätzen, messen kann sie nicht. Und doch lautet einer der regelmäßig erhobenen Vorwürfe, dass die Technologie so ungenau misst.
Update für die Corona-Warn-App: So funktioniert das neue Kontakt-Tagebuch
Als die App Mitte Juni 2020 auf den Markt kam, klang es so, als müssten nur möglichst viele die App herunterladen und wir alle könnten bald in unser normales Leben zurückkehren. Die deutsche App schien das Zeug zum Exportschlager mitzubringen. Schnell folgte die Ernüchterung: Nicht auf jedem Smartphone funktioniert die App. Deren Entwickler, die Dax-Konzerne SAP und Telekom, hatten sich dazu entschlossen, nur moderne Smartphones zu unterstützen.
Ältere Geräte verfügen nicht immer über jene moderne Bluetooth-Energie, die besonders wenig Energie benötigt; so waren von Anfang an viele Bundesbürger, die noch ein älteres Gerät besitzen, ausgeschlossen - sofern sie nicht in ein neues Gerät investieren wollten. Die App, doch kein Wundermittel? Zumindest die Experten selbst hatten dies auch nie behauptet. Sie nannten die App einen Baustein auf dem langen Weg zurück in den Alltag. Dass die App ein wichtiger Baustein ist, gelte noch immer, sagt Thoralf Dietz.
Mehr als 25 Millionen Downloads
Durch ein weiteres Update kann die Corona-Warn-App nun auch von Besitzern der älteren iPhone-Modelle 5s und 6 genutzt werden. Bis heute wurde die App mehr als 25 Millionen Mal heruntergeladen, das Bundesgesundheitsministerium bestätigt, dass über die App bereits 200 000 positive Corona-Testergebnisse weitergegeben wurden. Was dies in Zahlen gefasst bedeutet, kann nur geschätzt werden; für das Ergebnis muss mit den Kontakten multipliziert werden, um zu ahnen, wie viele Leute gewarnt wurden.
Über die Bluetooth-Technologie schätzt die App, ob sich Handynutzer, nennen wir sie Max und Eva, über eine längere Zeit näher als etwa zwei Meter gekommen sind. Ist Max positiv getestet worden, kann er das Ergebnis (freiwillig) in der App teilen. Die Software kann dann Eva warnen.
Hier setzt ein Kritikpunkt an: Eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom zeigt, dass nur 62 Prozent derjenigen, die die App installiert haben, ein positives Ergebnis in der App auch teilen wollen. Bitkom-Präsident Achim Berg etwa plädiert deshalb dafür, Kontaktpersonen von Infizierten künftig automatisch zu warnen, sofern der Nutzer der Warnung nicht widerspricht: „Für Infizierte gibt es derzeit keinerlei Anreiz, ein positives Testergebnis über die App zu teilen. Der Appell an die Vernunft fruchtet bei jedem Dritten nicht."
Risikobegegnung bei Corona-App? Das müssen Sie jetzt wissen
Diese automatische Warnfunktion mit Widerspruchsmöglichkeit lehnt die Bundesregierung jedoch ab, der Datenschutz steht hierbei nicht grundsätzlich im Weg.
Ein weiterer Knackpunkt: Damit das Smartphone zum Warnsystem werden kann, wäre es eine gute Idee, Nutzer könnten ihre Daten digital an die Gesundheitsämter weitergeben. Probleme mit dem Datenschutz gäbe es an dieser Stelle nach geltender Rechtslage nicht.
Wäre. Könnte. Gäbe. Die konjunktivistischen Wendungen verweisen auf ein anderes Bild: Während das Fraunhofer Institut in seinem Nürnberger Analytik-Labor zum Bluetooth-Low-Energy-Standard forscht und simuliert, wie sich Menschen wie Max und Eva im öffentlichen Personennahverkehr, in der Warteschlange oder im Restaurant nähern, meldeten 38 von den etwa 400 deutschen Gesundheitsämtern im Herbst 2020 beim Robert Koch-Institut (RKI) ihre Überlastung an. Angehörige der Bundeswehr wurden eingesetzt, um beim Bedienen der Telefonapparate und der Faxgeräte zu helfen.
Digital bekämpfen
Ulrich Kelber nennt den Donner der Politiker gegen den Datenschutz „Talkshow-Parolen“; der gelernte Informatiker saß für die SPD im Bundestag, seit 2019 ist er Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. Man lenke nur „von den Defiziten in den Behörden im Zusammenhang mit Covid-19 ab“.
Einen Verbesserungsvorschlag hat Kelber auch: Mit spezieller Software könnten die Gesundheitsämter und das RKI automatisch potenzielle Infektionscluster, also gehäuftes Vorkommen der Infektion an bestimmten Orten, erkennen. Und: "Die App könnte wesentlich erfolgreicher sein, wenn man sie nicht dauernd schlechtreden, sondern stattdessen für die Nutzung werben würde."
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