Analyse nach dem Deadline-Day
Nürnbergs Transfersommer: „Xabi- Alonso-Effekt“, Rekord-Abgang und eine Aufstiegs-Anomalie
3.9.2024, 13:21 Uhr"Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung", schrieb Heraklit, der "weinende Philosoph". Anders könnte man behaupten: "Das einzige, was gleich bleibt, ist, dass sich immer alles ändert." Und das gilt wohl auch für den 1. FC Nürnberg, der nahezu jeden Sommer vor einem großen Umbruch im Kader steht und auch in diesem Transfersommer, der jüngst mit dem Deadline-Day am vergangenen Freitag endete, wieder zahlreiche personelle Änderungen zu bewerkstelligen waren.
Aus der Saison 2023/24, welche die Mannschaft von Cheftrainer Cristian Fiél auf dem zwölften Tabellenplatz abschloss, blieb nur ein minimales Fundament bestehen: Elf Feldspieler und zwei Torhüter, die bereits in der Vorsaison schon im rot-schwarzen Trikot aufliefen, blieben dem Club erhalten – also circa ein halber Kader. Und: Der vielzitierte "XXL-Umbruch" betraf nicht nur die Mannschaft, sondern auch die Führungsetage. Joti Chatzialexiou übernahm das Amt des Sportvorstandes, musste direkt zu Beginn seiner Amtszeit einen Trainer-Nachfolger für den gen Hauptstadt abgewanderten Cristian Fiél finden und – in Absprache mit ebendiesem – einen zweitligatauglichen Kader aufbauen.
Die Abgänge
Erleichtert und zugleich erschwert wurde diese Aufgabe durch den Abschied von Can Uzun. Der Nürnberger Rekordabgang spülte durch seinen Wechsel zu Eintracht Frankfurt zwar eine Ablöse in Höhe von elf Millionen Euro in die Kassen, hinterließ aber insbesondere in der ansonsten oft weniger durchschlagskräftigen Nürnberger Offensive eine massive Lücke: Der 18-Jährige war in seiner ersten vollständigen Zweitliga-Saison an 18 Toren direkt beteiligt – das entspricht 41,8 Prozent aller Treffer, die der 1. FC Nürnberg in der abgelaufenen Spielzeit in der 2. Bundesliga erzielt hat.
Abgesehen von Shootingstar Uzun verließen auch Jan Gyamerah und Erik Wekesser (1. FC Kaiserslautern), sowie Louis Breunig (SSV Jahn Regensburg) und Julian Kania (Arminia Bielefeld) den Club. Durch den Verkauf des Quintetts strich der 1. FC Nürnberg laut "transfermarkt.de" eine Gesamtablöse von rund 12,3 Millionen Euro ein. Ob auch durch den Abgang von Ahmet Gürleyen zu Hansa Rostock eine Ablösesumme fällig wurde, ist unbekannt. Fünf weitere Akteure schlossen sich ablösefrei anderen Vereinen an, drei Spieler sind derzeit vereinslos und sechs Spieler wurden verliehen. Ein Transfer des Ex-Spielers Kwadwo Duah, dessen kolportierter Abschied von Ludogorets Rasgrad nach Griechenland oder Spanien dem an einem Weiterverkauf beteiligtem Club weitere Einnahmen über der Millionen-Marke eingebracht hätte, zerschlug sich übrigens.
Die Neuzugänge
Nein, Can Uzun kann der 1. FC Nürnberg nicht ersetzen – zumindest nicht mit einem einzelnen, gleichwertigen Spieler. Es ist das Schicksal diverser Ausbildungsvereine, nach dem Abgang von Leistungsträgern in den seltensten Fällen adäquaten, realistischen Ersatz zu finden. Stattdessen fahren viele Klubs die Strategie, mehrere Spieler, bei denen man zumindest das Potenzial erkennt und die Fantasie haben kann, dass sie in die entsprechende Rolle mittelfristig hineinwachsen können, zum kleinen Preis verpflichten. Diesen Kurs wählten offenbar auch die Nürnberger Verantwortlichen um Joti Chatzialexiou. Denn: Wer dachte, der Club würde ebenfalls im Regal von mehreren Millionen Euro einen Spitzenstürmer verpflichten, hatte sich getäuscht. Stattdessen investierte der 1. FC Nürnberg in diesem Sommer – jedenfalls mit Blick auf die überwiesenen Ablösesummen – nur gut 1,5 Millionen Euro, also rund ein Achtel der generierten Einnahmen.
Diese Gesamtablöse stützt sich auf die Schultern von Julian Justvan (1 Mio. Euro, TSG Hoffenheim), Oliver Villadsen (500 Tausend Euro, FC Nordsjaelland) und Rafael Lubach (80 Tausend Euro, Borussia Dortmund U19). Abgesehen von diesem Trio wechselten mit Robin Knoche, Mahir Emreli, Caspar Jander, Danilo Soares, Florian Pick, Ondrej Karafiat und Michal Kukucka sieben Spieler ablösefrei nach Nürnberg. Stefanos Tzimas, Michal Sevcik, Janni Serra und Berkay Yilmaz schlossen sich dem fränkischen Altmeister auf Leihbasis an. Bei dem letzten Neuzugang, Winners Osawe, handelt es sich dem Vernehmen nach um einen festen Wechsel, wobei der abgebende Bundesligist RB Leipzig eine Rückkaufoption erhalten haben soll.
Der 17-Jährige ist zwar der jüngste Spieler, den der 1. FC Nürnberg in der vergangenen Transferperiode verpflichten konnte, zugleich aber einer von vier "Teenagern", die unter 20 Jahren alt sind. Generell fallen acht der insgesamt 15 externen Neuzugänge des 1. FC Nürnberg, der laut "kicker" durchschnittlich die jüngste Mannschaft der 2. Bundesliga stellt, in die Altersgruppe U23. Im Gegenzug halten einzig Robin Knoche und Danilo Soares die Ü30-Flagge hoch.
Die beiden Defensivneuzugänge, die von den Bundesliga-Klubs Union Berlin und VfL Bochum kommen, gehören erwartungsgemäß auch zu jenen Spielern, die am meisten Erfahrung mitbringen: Innenverteidiger Knoche, der am Valznerweiher binnen kürzester Zeit zum Kapitän reifte, listet 306 Bundesliga-Einsätze in seiner Vita. Linksverteidiger Soares kam in 180 Spielen in der 2. Bundesliga sowie 59-mal im Fußball-Oberhaus zum Einsatz. Auch Justvan, Serra und Pick kennen die beiden höchsten deutschen Spielklassen bereits bestens. Sechs Spieler gehen indes beim 1. FC Nürnberg ihre ersten Schritte im deutschen Fußball und wechseln aus dem Ausland nach Franken: Tzimas, Villadsen, Karafiat, Kukucka und Sevcik verlassen erstmals ihre heimische Liga.
Insgesamt lässt sich nach erst vier Ligaspielen freilich noch kein Urteil fällen, ob die getätigten Transfers "einschlagen" oder nicht. Fakt ist: In der vermeintlichen Startelf, die sich bei Cheftrainer Miroslav Klose in den vergangenen Wochen zu etabliert gehaben scheint, finden sich sechs Neuzugänge. Darüber hinaus kommen die Offensivkräfte Tzimas, Lubach und Sevcik sowie Defensivspieler Karafiat regelmäßig zum Einsatz. Der Sturm macht derweil noch Probleme: Mahir Emreli laboriert noch an einer Verletzung, Serra musste abermals einen Rückschlag verzeichnen und Tzimas ist offenbar noch nicht weit genug, um startelfrelevant zu werden.
Der Trainer
Allerdings haben die Stürmer mit Miroslav Klose einen ausgewiesenen deutschen Rekordtorschützen und einstigen Spitzenstürmer als Cheftrainer an der Seite, von dem man sich in Nürnberg erhofft, sein Wissen aus 485 Einsätzen in der Bundesliga, der Seria A und der Champions League an seine Schützlinge weiterzugeben. Jedenfalls legen diverse Aussagen der Neuzugänge nahe, dass gerade dieser Aspekt ein Kriterium für den Wechsel war.
Stefanos Tzimas etwa konstatierte in der Pressemitteilung zu seinem Wechsel nach Nürnberg: "Ich bin bereit und voller Vorfreude darauf, viel von Miroslav Klose zu lernen und zusammen mit der Mannschaft eine erfolgreiche Saison zu spielen." Auch Berkay Yilmaz, der allerdings nicht wie sein Trainer im Sturm, sondern als Linksverteidiger spielt, erwähnte den Coach ebenfalls in seinem Statement zum Transfer: "Ich freue mich darauf, unter Miro Klose trainieren zu dürfen und meine Mitspieler sowie die Stadt kennenzulernen."
Profitiert der Club also vom "Xabi-Alonso-Effekt", also der Anziehungskraft, die von der Strahlkraft einstiger Weltklasse-Spieler und gegenwärtiger Trainer-Neulinge ausgeht? So liegt zumindest der Verdacht nahe, dass Spieler, die Alonso oder Klose früher vielleicht noch im Fernsehen bewundert hatten, sich von deren Potenzial, deren Aura und dem Gedanken, sie könnten fußballerisch von deren Erfahrungen profitieren, angezogen fühlen. Ob aber sowohl Leverkusen als auch der 1. FC Nürnberg wirklich ob seiner namhaften Trainer tatsächlich zu einer attraktiveren Anlaufstätte für Neuzugänge avanciert, lässt sich freilich nicht abschließend klären.
Ein Indiz liefert in dieser Frage aber ein Blick auf die Marktwerte der verpflichteten Spieler: Lotsten Klose und Chatzialexiou in diesem Sommer "wertvollere" Spieler an den Valznerweiher als noch in den Vorsaisons, als etwa Cristian Fiél, Damir Canadi oder Robert Klauß an der Seitenlinie standen?
Die 15 Neuzugänge, welche in der abgelaufenen Transferperiode in die Noris wechselten, verzeichnen laut "transfermarkt.de" gemeinsam einen Gesamtmarktwert in Höhe von 14,56 Millionen Euro. Verrechnet man diese Summe mit der Anzahl der Neuverpflichtungen, ergibt sich ein durchschnittlicher Pro-Kopf-Marktwert in Höhe von 970.667 Euro. Damit sind die Neuzugänge in dieser Saison nahezu auf demselben Marktwert-Niveau wie in der Vorsaison (durchschnittlich 970.833 Euro). In den drei Post-Corona-Saisons rangierte der Wert zwischen 745.000 Euro und 810.000 Euro in einem niedrigeren Segment. In der jüngeren Vergangenheit verpflichtete der Club in der Bundesliga-Saison 2018/19 die durchschnittlich wertvollsten Neuzugänge: Aus der Datenbank von "transfermarkt.de" ergibt sich ein Marktwert von 1,77 Millionen Euro pro Neuzugang. Interessant dabei: Im Jahr zuvor, also in der Aufstiegssaison, lotsten die Nürnberger Verantwortlichen durchschnittlich weniger hoch bewertete Spieler an den Valznerweiher: Der damalige Pro-Kopf-Marktwert von 713.636 Euro ist der niedrigste in den vergangenen sieben Saisons und auch niedriger als in den Corona-Jahren, in denen die Vereine etwa mit Einnahmeverlusten zu kämpfen hatten. In jenem Jahr, in welchem der Club also die laut Marktwert am niedrigsten bewerteten Neuzugänge verpflichtete, gelang der Aufstieg. Aber: Teil der Wahrheit ist auch, dass all diese Zahlen nur ein Indiz darstellen können, sind sie doch von diversen Faktoren abhängig, variieren und sind auch im Kontext der jeweiligen Abgänge pro Saison zu bewerten.
Das Fazit
Um auf die Ausgangsfrage nach dem "Xabi-Alonso-Effekt" zurückzukommen: Der Club sicherte sich namhafte Neuzugänge mit Bundesliga-Erfahrung, dazu junge Talente mit Potenzial. Der Marktwert dieser Spieler befindet sich auf einem Level mit dem Vorjahr, ein großer Impact, der auf das Trainer-Engagement von Miroslav Klose zurückzuführen ist, ergibt sich aus den Zahlen also nicht, lässt sich aber eben auch nicht isoliert betrachten.
Was sich aber aus den Zahlen erahnen lässt: Seit der Saison 2017/18 verzeichnete der Club nur zweimal weniger als zehn externe Neuzugänge, in diesem Sommer waren es gar 15 Spieler. All diesen Spieler, insbesondere die jungen Talente und jene, welche aus dem Ausland nach Deutschland wechseln und dort nicht nur in einem fremden Land, sondern auch in einer hochwertigeren Liga bestehen müssen, steht eine gewisse Anlaufzeit zu – zumal auch der Trainer neu im Amt ist und Zeit braucht, um seine Ideen umsetzen zu können. Aber damit, also mit neuen Trainern und neuen Gesichtern in der Mannschaft, kennt man sich in der Noris ja schließlich bestens aus – bekanntlich zählt ja die Veränderung zu den verlässlichsten Konstanten beim Nürnberger Herz- und Schmerzverein.
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