Fürth

Rachid Azzouzi: "Mutig sein, ohne eine große Klappe"

2.6.2021, 06:35 Uhr
"Die Freude, die man hier erlebt, ist nicht mit Geld oder Glanz aufzuwiegen": Zwar hatte Rachid Azzouzi  (hier ein Foto vom Aufstieg 2012) zuletzt auch Angebote anderer Vereine, seine Zukunft aber sieht er in Fürth.

© 4C-AZZZ_WEB_OBJ17344288_1 "Die Freude, die man hier erlebt, ist nicht mit Geld oder Glanz aufzuwiegen": Zwar hatte Rachid Azzouzi  (hier ein Foto vom Aufstieg 2012) zuletzt auch Angebote anderer Vereine, seine Zukunft aber sieht er in Fürth.

Zwischen Aufstiegs-Kater, Fernseh-Terminen und Kaderplanung trifft man Rachid Azzouzi von der Spielvereinigung Greuther Fürth wie immer freundlich und redefreudig. Zwei Tage nach dem Saisonfinale war der 50-Jährige erstaunlich fit. Das war gut, denn an diesem Tag spricht er im großen Interview über den Fürther Weg und über seinen eigenen, über das Rheinland und über eine Bundesliga-Saison, auf die sich sogar grundpessimistische Franken freuen sollten.

Mit welchem Gefühl haben Sie Fürth 2012 verlassen, Herr Azzouzi?

Mit sehr viel Wehmut, nach so vielen Jahren. Der Aufstieg damals war etwas Besonderes. Doch ich habe mich auf meine neue Aufgabe auf Sankt Pauli gefreut, das war für mich der nächste Schritt.

Richtig glücklich geworden sind Sie weder beim FC Sankt Pauli noch im Anschluss bei Fortuna Düsseldorf.

Düsseldorf war zu kurz, ein Jahr. Bei Sankt Pauli würde ich das aber nicht sagen. Ich war zweieinhalb Jahre super glücklich, es waren auch sehr erfolgreiche Jahre. Der Weg dort war fast zu vergleichen mit dem in Fürth. Dann hat sich der Verein für einen anderen Weg entschieden.

War es ein Fehler, Fürth zu verlassen?

Das weiß man vorher nicht. Doch ich habe wichtige Erfahrung gesammelt. In Fürth kannte mich davor ja jeder! Ich war in meiner Komfortzone. Doch für mich war das nicht genug, ich hatte Ambitionen. Zur Weiterentwicklung gehört aber auch, Fehler zu machen oder woanders auf Grenzen zu stoßen.

Was haben Sie konkret mitgenommen?

Meine ersten Jahre als Manager in Fürth waren super erfolgreich, wir sind in die Bundesliga aufgestiegen. Ich habe gedacht, alles funktioniert, was ich anpacke. Das war der erste Fehler, denn es kann auch anders laufen. Ich wollte den Fürther Weg auf Sankt Pauli überstülpen, dafür hatte man mich auch geholt. Doch der Verein hat auch seine eigene Kultur und Identität. Ich hätte das mehr berücksichtigen müssen.

"Vielleicht wäre ich ein guter Capo geworden"

Wie haben Sie das Umfeld in Hamburg wahrgenommen, auch im Vergleich zum beschaulichen Fürth?

Wenn man arbeitet und etwas bewirken will, braucht es auch Zeit. Das hat man in dem schnelllebigen Fußballgeschäft nicht. Bei größeren Vereinen ist das noch schwieriger, weil sich viele Menschen einbringen, es gibt viel Politik hintenherum und Eitelkeiten. Das ist bei uns in Fürth nicht so. Bei uns in den Gremien sind sich alle klar darin, was wir wollen. Wir können das einordnen, besonders in diesem Moment der Euphorie. Wissen Sie, ich kann es immer noch nicht begreifen. Wir sind aufgestiegen in die Bundesliga! Können Sie mir erklären, wie wir in Unterzahl gegen Fortuna Düsseldorf gewinnen konnten?

Der Wille der Mannschaft...

Mentalität, Charakterstärke, der Zusammenhalt im Verein wird manchmal zurückgezahlt. Die Mannschaft und das Trainerteam um Stefan Leitl haben sich das verdient.

Rachid Azzouzi:

In dieser Saison durften kaum Zuschauer ins Stadion. Gewöhnt man sich daran?

Nein. Man macht das für die Menschen, die im Stadion dabei sind. Für diese Emotionen, diese Freude. Zusammen etwas zu erreichen, das geht nur, wenn man auch ein Feedback bekommt. Ich bin froh, wenn man mich auf der Tribüne nicht mehr hört. Normalerweise geben die Fans ein positives Gefühl weiter, durch ihren Applaus. Doch mein Gefühl war, dass in dieser Saison niemand da war, der die Jungs unterstützt oder den Schiedsrichter unter Druck setzt. Ich will für meine Jungs und meinen Verein da sein.


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Hätte das mit dem Manager-Job nicht geklappt, wären Sie ein guter Vorsänger.

Vielleicht wäre ich ein guter Capo geworden. (lacht) Wenn Zuschauer im Stadion sind, bin ich aber komplett ruhig auf der Tribüne.

Viele hat die starke Leistung Ihrer Mannschaft überrascht. Sie auch?

Im Vorjahr sind wir Neunter geworden. Intern waren wir aber darauf gepolt, noch besser zu werden. Während dieser Saison sind wir dann fast ein wenig unter dem Radar geflogen. Dabei haben mir jetzt so viele geschrieben: "Verdienter geht ein Aufstieg nicht." Und das ist Fakt: Wir haben die wenigsten Niederlagen, die meisten Torchancen, die zweitmeisten Tore geschossen, die wenigsten Torchancen zugelassen, sind am meisten gelaufen, bei den Sprints und beim Ballbesitz sind wir bei den Top drei. Dazu war die Mannschaft sehr diszipliniert in dieser Corona-Saison.

Kann man dieses Spitzen-Team halten?

Wären wir in der zweiten Liga geblieben, wäre es schwieriger geworden. Ich glaube, dass wir jetzt bessere Möglichkeiten haben. Wir werden alles versuchen, die Jungs zu halten. Es geht darum, eine Perspektive aufzuzeigen und – ich bin aus dem Rheinland – positiv zu denken. Ich habe Lust darauf, die anderen Vereine in der Bundesliga zu ärgern. Ich glaube auch, dass unsere Spieler und der Trainer Lust darauf haben.

Wie oft sind Sie als Rheinländer an den Franken verzweifelt?

Ich bin schon so lange hier, habe ja auch eine Fränkin geheiratet... Ich bin schon ein halber Franke. Am Anfang aber war es gewöhnungsbedürftig, der Franke ist verschlossener und zurückhaltender als der Rheinländer. Ich möchte optimistisch und mutig sein, ohne eine große Klappe zu haben.

Ist das so einfach?

Wir brauchen eine gute Balance. Wir sind aufgestiegen, damit wir vielleicht bleiben können. Wichtig ist, dass du grundsätzlich weißt, dass du mehr Spiele verlierst als du gewinnst. In der ersten Liga geht die Schere noch weiter auseinander, du kannst mit sehr wenigen Punkten drinnen bleiben. Du darfst nur nicht nervös werden.


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Wird die Mannschaft gut genug sein?

Der Fürther Weg bedeutet doch nicht Fürther Ramschladen. Wir sind einen Weg gegangen, der sehr erfolgreich war, haben einen Kader zusammengestellt, der auch von den Charakteren her gepasst hat. Genau das wird unser großes Pfund sein, dass wir eine Mannschaft haben, die zusammen durchs Feuer geht. Dazu kommen Spieler, die den nächsten Schritt machen wollen.

2018 stieg das Kleeblatt beinahe in die dritte Liga ab. Was hätte das bedeutet für die Laufbahn von Rachid Azzouzi?

Das war schon ein Risiko, als ich damals zurückgekommen bin. Damals hatten wir elf Punkte nach 14 Spielen. Das ist echt wenig. Davor hatte ich eineinhalb Jahre keinen Job, habe für mich sehr viel reflektiert und bin raus aus der Blase Fußballgeschäft. Das hat mir gut getan. Mir war klar, dass bei meinem nächsten Job als Sportdirektor der Schuss sitzen muss. Ich war mir aber relativ sicher, dass wir das im Team mit Helmut Hack, Holger Schwiewagner, Dirk Weißert und Martin Meichelbeck hinbekommen.

Das hat geklappt.

Richtig. Auch wenn wir wussten, dass wir bis zum Schluss unten dabei sein werden. Wir haben dank Trainer Damir Buric die Klasse gehalten, am letzten Spieltag mit einem 1:1 in Heidenheim. Das war ganz wichtig. Ich vergesse nicht, wo wir herkommen. Auch jetzt nicht.

"Man stellt sich die Frage: Ist es das alles wert?"

Hätte das mit Fürth nicht funktioniert, wären sie raus aus dem Geschäft?

Nein, ich lebe für den Fußball. Irgendwann bist du aber in einem Alter, in dem du überlegst, wie wichtig Karriere und Beruf sind im Gegensatz zur Familie oder zur Qualität des Lebens. Jedes Wochenende unterwegs zu sein, nach der Saison an der Belastungsgrenze weiter zu arbeiten, im Urlaub immer angerufen zu werden – ich mache es gerne. Doch man stellt sich manchmal die Frage: Ist es das alles wert?

Sie wurden auf Schalke gehandelt. Wie steht es um die eigenen Ambitionen?

Als Spieler war ich nur bei drei Vereinen, als Manager bin ich nach Sankt Pauli und Düsseldorf wieder in Fürth. Natürlich will man Geld verdienen und ist ehrgeizig. Doch das ist nicht das Allesentscheidende. In Fürth habe ich Menschen, denen ich vertraue. Die Freude, die man hier erlebt, ist nicht mit dem Geld oder Glanz anderer Vereine aufzuwiegen. Ich versuche auch immer einzuordnen, was ich bewirkt habe. Dabei glaube ich, dass es ein Marokkaner in Deutschland schwieriger hat, dass das unterbewusst eine gewisse Rolle spielt. Das Feedback auf mein Erreichtes ist anders, als wenn ich Hans Müller heißen würde.

In Fürth hatten Sie eine Chance, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe.

Ja. Auch innerhalb der Fankurve hat sich das reguliert, weil Menschen gesagt haben: Unschöne Äußerungen in dem Zusammenhang wollen wir nicht. In Fürth hat man mich so genommen, wie ich bin. Auf Sankt Pauli oder in Düsseldorf hatte ich den Eindruck, dass mein Handeln schnell infrage gestellt wurde.

"Das wahre Leben ist eher Greuther Fürth als Bayern München"

Hatten Sie diesen Eindruck auch bei Gesprächen auf Schalke?

Das war aktuell überhaupt kein Thema. Es gab einmal eine Anfrage, als Jochen Schneider dorthin gewechselt ist. Damals im Gespräch habe ich ihn gewarnt, dass es problematisch werden könnte mit mir. Bei jemandem, der einen großen Namen hat und nicht meinen, gibt es vielleicht eine größere Akzeptanz. Es geht dabei nicht um Inhalte, sondern um Reputation. Damals habe ich abgesagt, auch weil ich in Fürth etwas aufbauen wollte.

Sie haben mit Holger Schwiewagner verlängert. Wollen Sie eine Ära prägen?

So denke ich nicht. Ich möchte einfach gut arbeiten. Das, was Helmut Hack hier gemacht hat, ich habe davon viel gelernt und mitgenommen, habe aber auch viel zurückgegeben. Ich möchte, für den Verein erfolgreich sein und ihn weiterentwickeln, und das, was wir in den vergangenen mehr als 20 Jahren hervorragend gemacht haben, einfach fortführen. Die Bedingungen sind nicht einfach, doch das Leben ist es auch nicht. Das wahre Leben ist eher Spielvereinigung Greuther Fürth als FC Bayern München.

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